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Die 32. transmediale – Festival for art and digital culture eröffnete am Donnerstag ihr viertägiges Programm, das zum ersten Mal in ihrer Geschichte auf einen Titel verzichtet. Einer der verworfenen Namen der Veranstaltung, „What moves you?“ bleibt aber eine der Schlüsselfragen der diesjährigen Festivalausgabe, die sich mit Affekten, Emotionen und Empathie in der digitalen Welt beschäftigt.

Die Auslassung des Titels wird unter anderem damit begründet, einen möglichst offenen Raum zur Untersuchung vielfältiger Erfahrungen geben zu wollen. In diesem Sinne gilt: Begegnung und Diskurs statt abgeschlossene Diagnose, kritische Auseinandersetzung statt vorgefertigte Wertung. Wie der künstlerische Leiter des Festivals Kristoffer Gansing erwähnt, findet sich dieser Ansatz auch in der praktischen Struktur wieder, die eine offene Lernumgebung zum Ziel hat.
Auch auf die sonst übliche Ausstellung wurde verzichtet, stattdessen rückten Screenings, Performances, Vorträge und vor allem ein umfassendes und erweitertes Workshop-Programm in den Fokus. Dazu zählt neben zahlreichen einzelnen Veranstaltungen das Student Forum, dessen Studierendengruppen sich bereits im Vorfeld zum Thema weiterbildeten, sowie die transmediale Study Circles, die Inhalte mit entwickelten und reflektierten. Zumindest am Eröffnungsabend fehlte die Ausstellung trotz des insgesamt umfangreichen Programms, war die transmediale doch oftmals ein spannender Rahmen für interessante mediale und digitale Kunstprojekte.


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Die Vorträge zu Beginn des Eröffnungsabends gaben Einblicke in die Thematik des Festivals und beschäftigten sich insbesondere mit Gefühlsstrukturen auf digitaler und sozialer Ebene. Die Künstlerin Hannah Davis zeigte in ihrem spannenden Vortrag Aspekte maschinellen Lernens und subjektiver Daten auf. Unter anderem stellte sie ihr Projekt zu „emotional landscapes“ vor. Hier ging es um ein technisches System, das auf der Grundlage einer Umfrage selbstständig emotionale, das heißt beispielsweise als traurig oder fröhlich wahrgenommene Landschaften generierte. Der Beitrag von Anna Tuschling, Professorin für für Theorie, Ästhetik und Politiken digitaler Medien, in dem interessante Informationen eher aneinander gereiht denn synthetisiert wurden, konzentrierte sich auf die technische Gesichts- und Emotionserkennung und Regulierung aus kulturhistorischer und aktueller Perspektive. Das Bezahlsystem „Smile to pay“, das 2017 in einem KFC im chinesischen Hangzhou eingeführt wurde, ist nur ein Beispiel hierfür: per Gesichtsscreeen und Lächeln wird die Bezahlung automatisch eingeleitet. Stefan Wellgrafs ebenfalls etwas undurchsichtiger Input führte anschließend weg von digitalen Fragen. Der Ethnologe widmete sich der emotionalen Lage von Schüler*innen einer Hauptschule, die innere Abgrenzung als systemischen Widerstand gegen ein ungerechtes Schulsystem einsetzen. Wie auch dieser Vortrag ließ die erste Veranstaltung des Festivals das Publikum etwas verloren in die transmediale hineinschlittern.

Großartig war dagegen der über den ganzen Abend hinweg gezeigte Film des Künstlers Emanuel Almborg, der sich mit sozialen und solidarischen zwischenmenschlichen Verbindungen befasst. Almborgs Videoarbeit nimmt einen Theaterworkshop mit Jugendlichen aus Hackney, London und Mid Powys in den Blick, bei dem sie ein Stück über die Rebecca Riots (1839-1944) und die London Riots (2011) entwickelten und schließlich aufführten. Inspiriert war das Projekt von dem Theaterreformer Konstantin Stanislawski, bei dessen Methodik der emotionale Zugang zur Rolle und das Erleben der Figur besonders angesprochen wird. Der Film wechselt zwischen Szenen der Workshops und der Aufführungen hin und her. Immer wieder kommen die Jugendlichen einzeln zu Wort, beziehen Position zu ihren Rollen, den Aufständen, aber auch zu ihren persönlichen Erfahrungen. Sowohl durch ihre Statements als auch während des Schauspiels werden rassistische Gewalt, soziale und finanzielle Ungleichheit und die Notwendigkeit eines solidarischen Miteinanders eindrücklich verhandelt. Hierdurch und aufgrund der klugen filmischen Inszenierung sowie bemerkenswerter schauspielerischer Leistungen kann man sich dem 50 minütigen Film kaum entziehen – und möchte es auch gar nicht. Dass diese transmediale mit ihrer auf Zusammenkünfte konzentrierten Organisation gerade diesen Film ausgewählt hat, macht trotz des Fehlens einer digitalen Komponente Sinn, denn der Film hält ein, was das Festival verspricht: eine gemeinschaftliche Auseinandersetzung mit Emotion, Kultur und Gesellschaft.

In der Performance der Künstlerin Marija Bozinovska Jones dagegen kehrt das Digitale unverkennbar zurück. Die audiovisuelle Performance wird von einem Wummern begleitet, ein Laser malt durch den Nebel auf den Screens hin und her. Jones, aka (in der Performance) die virtuelle Sprachassistentin MBJ Wetware tritt auf und spricht selbst in scheinbaren Codes, während ein stimmliches Interface ihre Stimme nachahmt. Die Bilder auf den Monitoren bewegen sich irgendwo zwischen organischen und digitalen Strukturen. Dass der Performance-Begriff relativ weit gefasst wird, zeigt der Auftritt der Künstlerin und Musikerin Vika Kirchenbauer, deren stimmungsvolle und gelungene Live-Musikproduktion überzeugt – mehr Performance tritt jedoch nicht ein. Musik gab es außerdem noch auf dem „Crypto Raves“, wo verschiedene Dj´s auflegten. Zwischen Tanz und regem Austausch über die Inhalte und das Programm ließen die Besucher*innen den ersten Abend der transmediale ausklingen.

Haus der Kulturen der Welt
John-Foster-Dulles-Allee 10, 10557 Berlin
31. Januar: 17:00–23:00
1.–3. Februar: 10:00–21:00
transmediale.de