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Berlin Daily 28.03.2024
Kyiv Perenniale: Connected Tour

15-18.30h: Von Ort zu Ort durch die Ausstellungen. station urbaner kulturen/nGbK Hellersdorf, nGbK am Alex. anmeldung[at]ngbk.de

Two on tour à rebours - Michał Solarski und Tomasz Liboska im KVOST e.V.

von Urszula Usakowska-Wolff (27.03.2019)
vorher Abb. Two on tour à rebours - Michał Solarski und Tomasz Liboska im KVOST e.V.

Tomasz Liboska / aus der Serie „Melody No 7“, courtesy: KVOST / Berlin

KVOST e.V. – der Kunstverein Ost in Berlin-Mitte zeigt die Ausstellung Past Perfect, in der die Fotografen Michał Solarski und Tomasz Liboska an die Orte ihrer Vergangenheit zurückkehren, um ihre Erinnerungen für sich selbst und andere greifbar zu machen.

Eine kleine Schau mit knapp 35 Fotografien, die wie großes Kino anmutet: Es gibt ein Intro mit zwei mageren, von hinten aufgenommenen Teenagern, die an einem trüben Sommertag auf einer Wiese hocken. Der eine presst seinen Kopf ans rechte Knie, der andere kratzt sich mit der linken Hand am Rücken. Dann sind die Beiden zu sehen, wie sie sich in einer verschneiten Landschaft fast im Nebel auflösen. Nur ein einsamer Baum ist Zeuge ihres Aufbruchs. Wohin? Im Outro verharrt ein Schwan inmitten eines Sees: Das Leben mag turbulent sein, beim Anblick der Natur kehrt wieder Ruhe ein.

Fotos, die meine Eltern nicht gemacht haben
Zu zeigen, wie es einmal war, um sich darin zu bestärken, dass Erinnerungen keine Trugbilder sind und somit eine universelle grenzüberschreitende Gültigkeit haben, ist die künstlerische Intention von Michał Solarski und Tomasz Liboska. Was die polnischen Fotografen trotz unterschiedlicher Ausdrucksweisen verbindet, ist ihre kontinuierliche Beschäftigung mit der Vergangenheit und die Tatsache, dass sie beide vorwiegend Analogkameras benutzen. Ihre individuellen und gemeinsamen Werke sind das Ergebnis von Reisen an die Sehnsuchtsorte ihrer Kindheit und Jugend. Zum Beispiel an den Plattensee, wo Michał Solarski mit seinen Eltern in den 1980er Jahren wiederholt den Sommer verbrachte. Als er 20 Jahre später in den Familienalben blätterte, fand er ein einziges Foto aus dem Ort, um den seine positiven Erinnerungen kreisten. „2010 entschloss ich mich, an den Plattensee zu fahren, um Fotos zu machen, die meine Eltern nicht gemacht haben“, sagt Solarski. „Für uns war das ein Ort, wo man sehen konnte, was hinter dem Eiserenen Vorhang wirklich möglich ist. Am Balaton und auch sonst in Ungarn hatten wir den Eindruck, in einem westlichen Land zu sein.“


Michal Solarski / aus der Serie „Hungarian Sea“, courtesy: KVOST / Berlin

Hungarian Sea oder die Liebe zur Harmonie
Seine Eindrücke hielt Michał Solarski in der am Anfang der Ausstellung gezeigten Serie Hungarian Sea fest. Für die Schau im KVOST wählte er elf Bilder mit Menschen am Strand und im Wasser, mit gestapelten bunten Booten und dem See, den die Sonnen- und Badehungrigen nicht aus der Ruhe bringen können. Ihre Ruhe genießen die Urlauber dann in schmucken Ferienhäusern. Die bürgerliche Idylle wird auch nicht von den Männern gestört, die sich auf dem Rasen vor einer Villa breit gemacht haben. Ihr weißer Husky ist so regungslos wie eine Gartenskulptur. Obwohl manche Bilder inszeniert wirken, sind sie es nicht. „Ich gehe generell sehr viel zu Fuß. Wenn mir etwas interessant erscheint, bleibe ich stehen und bitte um Erlaubnis, ein Foto zu machen“, erklärt Solarski seine Arbeitsweise. „Die meisten Leute willigen ohne Bedenken ein.“ Auch wenn manches etwas skurril wirkt, merkt man, dass der Fotograf seinen Sujets mit Sympathie begegnet und viel Verständnis für ihre Unzulänglichkeiten hat. Da ist zum Beispiel die füllige Dame im roten Badeanzug, die sich nicht scheut, ihre Rundungen öffentlich zur Schau zu stellen; da sind die eineiigen spindeldürren Zwillingsschwestern, deren Schuhe genauso olivgrün sind wie der alte Trabi, vor dem sie posieren. Das Ungarische Meer ist für Michał Solarski eine Erinnerung, die Realität geworden ist. Es gab den Balaton gestern, es gibt ihn heute – und an manchen Stellen scheint die Gegend noch in der Vergangenheit zu leben. Vor allem die Interieurs, die der Fotograf in Siófog, der größten Stadt am Balaton aufgenommen hat, „zeugen davon, dass dort noch immer eine kommunistische Atmosphäre herrscht.“ Michał Solarski ist ein genauer Beobachter, der das Verbindende und nicht das Trennende sucht und auch findet. Seine Bilder sind ein bisschen ironisch, ein bisschen melancholisch und sehr harmonisch, denn „die Harmonie ist das, was ich am meisten liebe.“

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Foto: Michał Solarski & Tomasz Liboska im KVOST, 2019. Foto © Urszula Usakowska-Wolff

Viele Wege führen nach Goleszów
Im Mittelpunkt der die Vergangenheit evozierenden Ausstellung Past Perfect steht das gemeinsame und mehrfach preisgekrönte Werk von Michał Solarski & Tomasz Liboska unter dem Titel Cut It Short. Wie alle ihre individuellen Fotoarbeiten ist auch diese in Kooperation entstandene Serie autothematisch und biografisch. Beide Künstler wurden in Goleszów, einer polnischen Kleinstadt im Schlesischen Vorgebirge direkt an der Grenze zur Tschechischen Republik geboren: Solarski 1977, Liboska 1976. Seit ihrer frühesten Kindheit sind sie befreundet. Bis zu ihrem Abitur waren sie unzertrennlich. Gemeinsam erlebten sie die Höhen und Tiefen der Adoleszenz, die Enge ihres malerischen Kaffs, die Rebellion gegen Erwachsene und den von ihnen geduldeten grauen realsozialistischen Alltag, die erste Liebe, das erste Mal, die erste Fahrt zu einem Rockkonzert, die Träume von der eigenen Grunge-Band und einem spannenden Leben weit weg von Goleszów: am besten in Seattle. Nach der Matura trennten sich ihre Wege: Michał Solarski ging nach Opole, um an der dortigen Universität Politologie zu studieren, Tomasz Liboska studierte an der Schlesischen Universität in Cieszyn Ethnologie. Doch damit gaben sie sich nicht zufrieden, denn obwohl sie das früher nie vorhatten, wollten sie Fotografen werden. Solarski zog nach London, begann ein Studium am London College of Communication und absolvierte es als Master der Dokumentarfotografie. Liboska zog nach Opava (Tschechische Republik), wo er im Institut für Kreative Fotografie studierte. Er lebt seit vielen Jahren in der oberschlesischen Stadt Chorzów, sein Freund in London.

Reaktivierte Erinnerungen
„Weil wir beide als Fotografen arbeiten, uns eine tiefe Freundschaft verbindet und wir in Goleszów geboren und aufgewachsen sind, wollten wir unsere Erinnerungen reaktivieren“, sagt Michał. Um ihre Vergangenheit glaubhaft zu inszenieren, betrauten sie zwei Teenager aus ihrem Verwandten- und Bekanntenkreis damit, ihre damaligen Erlebnisse und Erfahrungen zu mimen. Zusammen mit ihren jugendlichen Alter Egos – Dominik und Marek aus Chorzów – reisten sie in ihre Heimat. Entstanden ist dort die aus über 20 Fotografien, von denen im KVOST elf gezeigt werden, bestehende Serie Cut It Short. Der Titel kommt von dem seinerzeit verbreiteten Männlichkeitsritual, sich beim Eintritt ins Erwachsenenalter die Haare scheren zu lassen. Die Schur spielt zwar im beschaulichen Goleszów, doch sie berührt Themen, die einen universellen Charakter haben: Die Jugend ist schön und manchmal grausam, aber wie alles schnell vergänglich. Erinnerungen sind wahr, auch wenn sich vieles an vertrauten Orten nicht immer zum Vorteil verändert. Doch Heimat ist der Ort, an den es sich zurückzukehren lohnt, auch wenn man sein Glück in der großen weiten Welt gefunden hat.


Michal Solarski & Tomasz Liboska / aus der Serie „Cut it short“, courtesy: KVOST / Berlin

Fotografie als Therapie
Eine Art Epilog der Ausstellung Past Perfect ist die Serie Melody No 7 von Tomasz Liboska. Die zehn kleinformatigen, fast monochromen Bilder, die der Künstler zum ersten Mal mit einer digitalen Kamera aufgenommen hat, sind ein Versuch, sich mit der eigenen Geschichte auseinanderzusetzen. Bisher ist der Ethnologe, der unter die Fotografen gegangen ist, vor allem durch sensible Porträts von Außenseitern aufgefallen, die er auf seinen Fahrradtouren in Chorzów und Umgebung aufgenommen hat. Melody No 7 erzählt auf eine minimalistische und ergreifende Weise über den Versuch, sich dem Mann zu nähern, der Tomasz´ Mutter unmittelbar vor seiner Geburt verlassen hatte. Dass Adam Liboska nicht sein Onkel, der ihm zum siebten Geburtstag eine Armbanduhr schenkte, sondern sein biologischer Vater war, erfuhr der Sohn erst nach dessen Tod 2009. Unter den wenigen Habseligkeiten, die der Vater hinterlassen hatte, fand er ein Häuschen aus Streichhölzern, mit dem er als Kind gespielt hatte. Er überzog das Häuschen mit im Wasser aufgeweichtem Mehl und ließ es im Keller verschimmeln. „Es war für mich sehr wichtig, dass meine Kindheit sich mit Schimmel bedeckt hat. Hier zeige ich auch das Bild meines Vaters, das einzige, das ich habe. Ich will meinen Vater nicht verurteilen, ich weiß nicht, warum er so gehandelt hat“, sagt Liboska. „Ich habe ihm verziehen, erst mit 42 Jahren war ich imstande, diese Geschichte irgendwie zu verarbeiten. Dieser Schwan, der die Melody No 7 beendet, drückt aus, was ich nach ihrer Fertigstellung empfand: Ruhe, ganz einfach Ruhe.“

Die Tour á rebour, auf die uns Tomasz Liboska und Michał Solarski mitnehmen, zeigt: Es ist gut, sich den Erinnerungen zu stellen, auch wenn ihre Melodien nicht immer harmonisch, sondern manchmal schmerzlich klingen.

KVOST
Leipziger Straße 47 / Jerusalemer Straße, 10117 Berlin-Mitte
bis 30. März 2019
Mi – Sa 14 bis 18 Uhr, Eintritt frei
kvost.de

Urszula Usakowska-Wolff

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Titel zum Thema KVOST :

Two on tour à rebours - Michał Solarski und Tomasz Liboska im KVOST e.V.
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