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Die Untoten: Letzte Etappe von bauhaus imaginista im Haus der Kulturen der Welt

von Inge Pett (09.06.2019)
vorher Abb. Die Untoten: Letzte Etappe von bauhaus imaginista im Haus der Kulturen der Welt

Kurt Schwerdtfeger
Reflektorische Farblichtspiele, 1922
Lichtperformance, Detailfoto des rekonstruierten Apparats von 2016
Courtesy of Microscope Gallery and Kurt Schwerdtfeger Estate © 2016


„Meisternarrative oder einen Kanon dürfen Sie nicht erwarten“, stellte Marion von Osten gleich zum Anfang klar. Gemeinsam mit dem Briten Grant Watson leitet sie das Projekt bauhaus imaginista, das seit März 2018 die globalen Verflechtungen und lokalen Ausprägungen des Bauhauses untersucht.

Zwanzig internationale Experten haben ein Kaleidoskop von Bauhaus-Einflüssen und Parallelentwicklungen von Brasilien bis Japan zusammengetragen. Herausgekommen ist einer Serie von Fallstudien, die sich in ihrer Gesamtheit zu einer Metaerzählung des internationalen Bauhauses verbinden.

„Das Bauhaus war immer international.“ Johannes Ebert, Generalsekretär des Goethe-Instituts, unterstreicht, dass die Schule von ihren transkulturellen Beziehungen stets auch selbst profitiert habe. Um zu erforschen, wie sich diese Transkulturalität manifestiert und welche Möglichkeiten sie für die Zukunft bietet, hat das Goethe-Institut gemeinsam mit dem Haus der Kulturen der Welt sowie den Bauhäusern Berlin, Dessau und Weimar das von der Bundeskulturstiftung mit 17 Millionen Euro geförderte Großprojekt ins Leben gerufen.

Im Haus der Kulturen der Welt, selber „ein Kind des Bauhauses“, wie Intendant Bernd Scherer hervorhebt, ist derzeit die Ausstellung „Still Undead“ zu sehen. Diese vierte und letzte Sektion bildet so etwas wie die Quintessenz der drei vorangegangenen Kapitel von bauhaus imaginista. Diese fanden in Hangzhou, Kyoto und Tokyo, Saõ Paulo, Lagos, Delhi, New York sowie Moskau statt – jeweils in unterschiedlichen Formaten, von Ausstellungen über Symposien hin zu Workshops.

Wer sich zur ehemaligen Kongresshalle im Berliner Tiergarten aufmacht, um sich an den Ikonen des Bauhauses zu erfreuen – das „bauhaus archiv - museum für gestaltung“ wird derzeit umgebaut – , der wird enttäuscht sein. „Es sind vier vordergründig eher unspektakulären Objekte, die im Fokus stehen“, erklärt Grant Watson das Konzept.


Takehiko Mizutani
Studie zum Simultankontrast (Unterricht Josef Albers), 1927
Gouache auf Karton
80.4 x 55 cm
Bauhaus-Archiv Berlin


So ist die Sektion Corresponding With rund um Walter Gropius´ Bauhaus Manifest von 1919 aufgebaut. Hier stehen die pädagogischen Ansätze des Bauhauses im Zentrum. Spannend ist dabei der Blick über den Tellerrand: Etwa auf frühe moderne Bildungsreformen in avantgardistischen Kunstschulen in Indien und Japan. Der japanische Architekt und Journalist Renshichiro Kawakita beispielsweise rief 1931 das Institut für Lebensgestaltung in Tokio ins Leben. Er unterhielt enge Freundschaften zu Lehrern und Schülern des Bauhauses, darunter unter anderem zu Takehiko Mizutanti, einem der ersten japanischen Studenten in Dessau. Kawakita verstand das Bauhaus weniger als Designstil, sondern vielmehr als kollektive Bemühung, die Kunstausbildung zu reformieren.

Etwa 150 Kilometer südlich von Kalkutta wiederum richtete Rabindranath Tagore bereits 1919 die Kunstschule Kala Bhavan ein. Sein Ziel: Der von der britischen Kolonialherrschaft dominierten indischen Kultur etwas Eigenes entgegenzusetzen. Auf der Suche nach einer neuen Ästhetik befassten sich die Studierenden ebenso mit altem indischen Handwerk wie mit der britischen Arts-and-Crafts-Bewegung. Die Akzeptanz von Kunst und Handwerk zählten zum Selbstverständnis einer lebendigen Gemeinschaft.


Nandalal Bose
Anleitung zur Wandmalerei, n.D. (1929/30)
Fresko auf Zementwand
ca. 80 x 100 cm
Kala Bhavana, Santiniketan, Indien
Kala Bhavan, Visva Bharati, Santiniketan


In Berlin bildet ein reflektorisches Lichtspiel von Kurt Schwerdtfeger den Ausgangspunkt. Wie haben die Bauhäusler mit Licht und Ton, Film und Fotografie experimentiert? Und welche Nachwirkungen hat dies auf die Gegenwart, etwa auf die Visualisierung von Daten?

In der Sektion Moving Away wiederum, die in Hangzhou, Moskau und Lagos stattfand, steht eine Collage von Marcel Breuer im Mittelpunkt. Moving Away untersucht, wie die gestaltungstheoretischen Debatten des Bauhauses in andere politische und kulturelle Kontexte, etwa in den der damaligen Sowjetunion und Chinas, übersetzt wurden.

Das Kapitel Learning From dreht sich um eine Zeichnung von Paul Klee, die einen orientalischen Teppich darstellt. Wer lernt von wem? Diese harmlos daherkommende und vermeintlich einfach zu beantwortende Frage bietet manch überraschende Antwort.

Anni und Josef Albers etwa trugen auf ihren Reisen eine beachtliche Sammlung mesoamerikanischer und amerindischer Handwerkskunst zusammen, von denen die Berliner Schau eine Auswahl präsentiert. In der Gegenüberstellung wird deutlich, wie sehr vor allem die geometrischen Muster und die Farbigkeit das Paar beeinflussten – ebenso wie zuvor bereits Paul Klee, ihren Lehrer am Bauhaus.

Auch die modern anmutende Keramik von Maria Martinez aus den 1920er-Jahren zeugt vom Einfluss der mexikanischen Hochkulturen. Die Mexikanerin, die in einem kleinen Dorf aufwuchs, hatte keinerlei Kontakt zu den westlichen Avantgarden. Ihre Lehrerin war die Keramik-Matriarchin aus dem kleinen Nachbarort Santa Clara Pueblo. Martinez selber entwickelte die uralte Technik weiter und kam zu einer ähnlich klaren Formensprache wie die Bauhäusler.

Bezüglich der „kulturellen Aneignung“ sind auch kritische Stimmen zum Bauhaus zu vernehmen. So nimmt der französisch-algerische Künstler Kader Attia in seinem aktuellen Video Colonial Melancholia Paul Klees Tunis-Reise im Jahr 1914 zum Anlass, über Kunst und Kolonialismus zu reflektieren.


The Otolith Group. O Horizon, 2018, Filmstill
Courtesy and copyright the artists


So oder so – bauhaus imaginista zeugt von den weltweiten Spuren, die das Bauhaus hinterlassen und somit viele lokale (Kunst)-geschichten maßgeblich geprägt hat.

Wie bereits Okwui Enwezors Münchner Ausstellung Postwar: Kunst zwischen Pazifik und Atlantik, 1945-1965 und jüngst auch Hallo World im Hamburger Bahnhof gezeigt haben, ist es nicht leicht, die vertraute eurozentrische „Meisternarrative“ aufzugeben. Wo anfangen, wo aufhören, wenn es um wahre Internationalität geht? Was einbeziehen, was weglassen? bauhaus imaginista ist ambitioniert bis überambitioniert, bisweilen überaus textlastig. Für manchen Besucher ist das sicher zu voraussetzungsvoll.

Und dennoch sind „Meta-Erzählungen“ wie bauhaus imaginista, mit all ihren Schwächen, ein notwendiger Schritt in die richtige Richtung. Gerade die Abwesenheit „unserer“ Ikonen macht den Blick frei auf grandiose, bisher unbekannte Entwicklungen und künstlerische Kleinode aus anderen Teilen der Welt. Die alle eines gemeinsam haben: Sie atmen den Geist des Bauhauses. Still Undead. Immer noch untot.

Mit Arbeiten von Anni Albers, Josef Albers, Arthur Amora, Gertrud Arndt, Ruth Asawa, Kader Attia, Lena Bergner, Lina Bo Bardi, Farid Belkahia, Susie Benally, Nandalal Bose, Mohamed Chabâa, Ahmed Cherkaoui, Lygia Clark, Alice Creischer, Muriel Cooper, Zvi Efrat, T. Lux Feininger, Luca Frei, Walter Gropius, Brion Gysin und Ian Sommerville, Trude Guermonprez, Sheila Hicks, George Hinchliffe und Ian Wood, Kenneth Josephson, Renchinchirō Kawakita, György Kepes, Paul Klee, Kurt Kranz, Otto Lindig, Elisa Martins da Silveira, Doreen Mende, Hannes Meyer, Takehiko Mizutani, László Moholy-Nagy, Max Peiffer Watenphul, Wendelien van Oldenborgh, Hélio Oiticica, The Otolith Group, Nam June Paik, Lygia Pape, I. M. Pei, Margaretha Reichardt, Geraldo Sarno, Oskar Schlemmer, Kurt Schwerdtfeger, Ivan Serpa, Arieh Sharon,Soft Cell, Rabindranath Tagore, Paulo Tavares, Lenore Tawney, Frank Tovey, Edith Tudor-Hart, Stan VanDerBeek, Andy Warhol, Marguerite Wildenhain, Margarete Willers, Iwao und Michiko Yamawaki und vielen anderen mehr

Ausstellungsdauer: 15.3.–10.6.2019

Haus der Kulturen der Welt
John-Foster-Dulles-Allee 10
10557 Berlin
www.hkw.de
www.bauhaus-imaginista.org

Inge Pett

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