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Erlebbare Geschichte: 50 Jahre neue Gesellschaft

von Urszula Usakowska-Wolff (04.08.2019)
vorher Abb. Erlebbare Geschichte: 50 Jahre neue Gesellschaft

1976 „Avante Portugal“, NGBK, Hardenbergstr. 9, Foto: Jürgen Henschel

Ihren 50. Geburtstag feiert die Neue Gesellschaft für Bildende Kunst (nGbK) in Berlin-Kreuzberg mit einer Jubiläumsausstellung und mit vier Lernorte genannten ganztägigen Symposien zu den Themen Solidarisieren, Forschen, Arbeiten und Begehren, wo darüber diskutiert wird, ob sie auch in Zukunft eine wichtige Rolle in den kollektiven, künstlerischen und aktivistischen Handlungsstrategien des Vereins spielen.

Mit 950 Mitgliedern ist die Neue Gesellschaft für bildende Kunst einer der mitgliederstärksten Kunstvereine in Deutschland. 1969 als Folge der Studentenproteste gegründet, standen von Anfang an die gesellschaftspolitische Rolle der Kunst, Genderfragen, die Auseinandersetzung mit dem Faschismus, Rassismus und Kapitalismus, die Solidarität mit den linken Befreiungsbewegungen in Lateinamerika und die Beschäftigung mit der Zukunft der Arbeit im Mittelpunkt ihrer Aktivitäten. Die nGbK hat bis heute eine transparente, basisdemokratische Struktur, was bedeutet, dass jedes Ausstellungsprojekt von einer Arbeitsgruppe in der Jahresmitgliederversammlung vorgeschlagen und dann gemeinsam umgesetzt wird. In den 50 Jahren ihres Bestehens wurden in der nGbK 554 Ausstellungs- und Veranstaltungsprojekte realisiert, darunter Kunstaktionen und Interventionen im öffentlichen Raum, und 440 Publikationen wie Ausstellungskataloge, Materialsammlungen, Textbücher und andere Schriften wurden im Verlag der nGbK veröffentlicht.

Viel Platz für Kunst

„Wir wollten unsere 50-jährige Geschichte nicht in eine historische Ausstellung packen, sondern sie aus der Sicht der Künstlerinnen und Künstlern zeigen, um sie erlebbar zu machen“, sagt Benita Piechaczek, die in der nGbK für Presse und Kommunikation zuständig ist. Die spontan gebildete Arbeitsgruppe Kunst, ein siebenköpfiges kuratorisches Team bestehend aus Christian Hanussek, Ulrike Jordan, Hannah Kruse, Vincent Schier, Olga von Schubert, Eylem Sengezer und Anna Voswinckel durchsuchte das Vereinsarchiv und sortierte das Material nach den für die nGbK relevanten Themen: Forschung, Arbeit, Begehren und Solidarisieren. Dann beauftragten sie Özlem Altin, Alice Creischer/Andreas Siekmann und Aykan Safoğlu, der seinen Freund, den Fotografen Nihad Nino Pušija zur Zusammenarbeit eingeladen hatte, Werke zu schaffen, in denen sich diese Aspekte der Vereinsgeschichte widerspiegeln. Die drei multimedialen Installationen werden jetzt unter dem schlichten Titel Arbeitsgruppe Kunst in der nGbK-Galerie gezeigt, wo sie viel Platz haben, um ihre Wirkung und ihren zum Teil melancholischen Charme zu entfalten. Die fotokopierten Funde aus der Archiv, darunter Titelblätter wichtiger Einzel- und Gruppenschauen, Schriftstücke, Fotos und Zeitungsausschnitte hängen in übersichtlicher Anzahl rasterförmig an den großen, aber dezent an den Wänden oder im Hof aufgestellten Holzpaneelen, sodass sie die Kunstbetrachtung weder beeinflussen noch stören.


Alice Creischer/Andreas Siekmann, Bonjour tote Stadt, 2019, Installationsansicht nGbK. Foto Urszula Usakowska-Wolff

Adieu, lebendige Arbeit!

Die Ausstellung beginnt mit der Installation Bonjour tote Arbeit von Alice Creischer/Andreas Siekmann, die wohl eine Anspielung auf das Verschwinden der von Karl Marx im Kapital beschriebenen lebendigen Arbeit ist, welche er als wertschaffenden Prozess menschlicher Tätigkeiten verstand. Der weiße Turm des Künstlerduos wirkt wie das Modell einer Konzernzentrale. Er ist aus weißgestrichenen Versandkartons von Zalando, Europas führender Online-Plattform für Mode mit Kunden in 17 Ländern gebaut. Durch die ausgeschnittenen Fenster kann man einen Blick ins Innere werfen und die Beförderung der bestellten Waren auf Fließbändern verfolgen, die vollautomatisch sind. Es ist eine vielschichtiges Werk über das Ersetzen der menschlichen Arbeit durch digital gesteuerte Produktion, über unübersichtliche Wertschöpfungsketten, ausgeklüngelte Marketingstrategien und letztendlich auch über die Haltung der Konsumenten, die aus Bequemlichkeit immer mehr Waren online bestellen, wodurch auch sie für die Vernichtung der Arbeitsplätze in traditionellen Betrieben und Branchen verantwortlich sind.


Aykan Safoğlu in Zusammenarbeit mit Nihad Nino Pušija, Touching Feeling (nGbK), 2019

Freundschaft braucht keinen Titel

Die Geschichte eines Vereins, in dem eine offene, kreative und inspirierende Atmosphäre herrscht, ist auch durch Freundschaften gekennzeichnet. So wie die zwischen Aykan Safoğlu (* 1984) und Nihad Nino Pušija (* 1965), die sich 2014 in der nGbK kennen gelernt haben. Auf einem mitten im zweiten Ausstellungsabschnitt freistehenden semitransparenten Bildschirm wird Aykans unbetitelter Animationsfilm gezeigt, dem Ninos Porträts verschiedener Leute aus den Jahren 1996-2006 zugrunde liegen. Es ist eine begehbare Videoinstallation, die man sowohl auf der Vorder- und Rückseite betrachten kann. Auf eine poetische, melancholische, leise und zugleich rasante Weise erzählt er über diese Freundschaft in ungewöhnlichen Bildern und ruhigen Worten: Auf dem schwarzen Screen sind zuerst nur Striche zu sehen, die immer dichter werden, um sich allmählich aufzulösen und die darunter verborgenen Einzel- oder Gruppenporträts offenzulegen. „Das ist keine lineare Geschichte“, sagt Aykan Safoğlu. „Ich stamme aus Istanbul und wollte in die Rolle eines Vandalen treten, denn in Istanbuls Geschichte ist Vandalismus fest eigenschrieben. Ich habe Ninos Fotos zerkratzt und manipuliert, um zu zeigen, dass Handlungsfähigkeit manchmal gewaltsam ist.“ Die „unbehandelten“ Fotovorlagen sind Gegenstand von zwei parallel laufenden Diaprojektionen. Nach dem Ausbruch des Bosnienkriegs 1992 kam der junge, aus Sarajewo stammende Fotoreporter Nihad Nino Pušija für zwei Wochen nach Berlin. Die Stadt wurde seine neue Heimat. Hier lebt er bis heute und ist berühmt für seine Aufnahmen der Roma, der queren Szene in Kreuzberg und der Asylunterkünfte. Seit 1996 fotografiert er auch das Geschehen in der nGbK.


Özlem Altın, Shape, 2019, Installationsansicht, nGbK

Formen des Begehrens

Am Ende der Jubiläumsausstellung steht und hängt die mehrteilige Installation Shape (Desir) von Özlem Altin (* 1977 in Goch) über das weibliche Begehren mit Motiven, die sie im Archiv gefunden hat. Sie beziehen sich auf zwei Ausstellungen, die in der Vergangenheit für großes Aufsehen und zum Teil für Empörung sorgten: Perlen für die Säue (1991) mit dem zum Sexshop für Frauen umfunktionierten Laden für nichts und einem nackten Mann zum Anfassen im Eiszeitkino, und die erste, leider posthume Soloschau (2000) der radikalen US-amerikanischen feministischen Künstlerin Hannah Wilke (1940-1993) in Deutschland. Özlem Altin vermischt Motive und Fragmente beider Ausstellungen, bringt die ausgeschnittenen Körper oder Körperteile in einen neuen Kontext, schafft ein intimes und rätselhaftes Werk, dessen Hauptelement ein aus drei Teilen zusammengenähter Vorhang ist. Ein unsichtbarer Ventilator bewegt ihn und lässt den Stoff mal ganz sanft, mal etwas energischer schwingen. Im Takt der Liebe, der Triebe oder der Fantasie? Schwer zu sagen, denn das Begehren hat viele Namen und Formen.

50 Jahre neue Gesellschaft. Ausstellung und Lernorte

bis 4. August 2019

nGbK, Oranienstraße 25, 10999 Berlin
Täglich 12-18 Uhr, Fr. 12-20 Uhr, Eintritt frei
ngbk.de

Urszula Usakowska-Wolff

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