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Maskeraden, Medien & Monaden: Nadja Schöllhammer im Kunstverein Tiergarten

von Urszula Usakowska-Wolff (20.09.2019)
vorher Abb. Maskeraden, Medien & Monaden: Nadja Schöllhammer im Kunstverein Tiergarten

© Nadja Schöllhammer, Foto: Eric Tschernnow

Wandler. Expandierende Raumzeichnungen ist der Titel der Einzelausstellung von Nadja Schöllhammer (* 1971 in Esslingen am Neckar) in der Galerie Nord | Kunstverein Tiergarten mit einer mehrteiligen In-situ-Installation und über 30 Zeichnungen und Buchobjekten aus den Jahren 2013-2019.

Nadja Schöllhammer kreiert eine Welt, die begeistert, verblüfft und in Atem hält. Ihr Medium ist Papier, worauf und woraus sie eigentümliche Landschaften gestaltet, die durch barocke Opulenz, Fantasie und Experimentierfreude bestechen. Um sie zu fertigen, benutzt sie konventionelle und unkonventionelle Werkzeuge und Bildträger: Bleistifte und Pigmentstifte, Tusche, Aquarell-und Acrylfarben, Scheren, Heißkleber, Silikon, Gasbrenner, Wabenplatten, Holz, Fragmente aus Hochglanzmagazinen, Plakatfetzen, Wollmäuse, Federn und Asche. Ihre herkömmlichen oder raumgreifenden Zeichnungen, Cut-Outs und Papierobjekte, die auf den ersten Blick wie ein undurchsichtiges Gestrüpp aus geschwungenen Linien anmuten, entpuppen sich beim näheren Hinschauen als anthropomorph. Aus dem Dickicht der scheinbar abstrakten Formen tauchen verschwommen grinsende Gesichter, manchmal ganze Gestalten auf, die sich im Kreis zu drehen scheinen und aussehen, als wollten sie diesem Reigen flugs entkommen. In himmlische Sphären oder in die Abgründe der Hölle? Das ist nicht eindeutig, denn das Schöne und das Schaurige, das Gute und das Böse, der Traum und der Alptraum liegen im einzigartigen Universum der Künstlerin eng beieinander.


© Nadja Schöllhammer, Foto: Eric Tschernnow

Karnevaleske Groteske

Kultur und Natur; Rituale, die den Kreislauf des Lebens bestimmen und aufrecht erhalten; die entfesselten und sublimierten Triebe; Mythen und Märchen, welche dabei helfen, die Welt zu verstehen, und sie zugleich verklären; der dünne Firnis der Zivilisation; die schöpferische und zerstörerische Kraft der Menschen; der Triumph des Lebens und der Tanz des Todes, das Verzehren, Verdauen und Ausscheiden, also die Ambivalenz, Vehemenz, Sinnlichkeit, Komik und Tragik der Existenz: Das alles spiegelt sich in den facettenreichen Papierarbeiten von Nadja Schöllhammer, die in der beeindruckenden Ausstellung Wandler in der Galerie Nord gezeigt werden. Ihre konventionellen oder dreidimensionalen Zeichnungen, die im linken und rechten Galerieraum hängen und stehen, sind mehrschichtig und laden ein, unter die Oberfläche, die häufig wie ein Spinnennetz aussieht, zu blicken. Da gibt es vieles zu entdecken: Phalli und Vaginen, die sich vereinigen, Symbole einer ungestümen Vitalität; grimassierende Putti mit ungewöhnlich vielen Fingern und Zehen, die sich in Wolken oder Bäume verwandeln und Wurzeln schlagen, verbunden durch Formen, die an Gedärme oder Ausscheidungsprodukte erinnern. Das Leben ist, wie Nadja Schöllhammer es zeigt, eine Ritualmaschine (2012-2015), in der Chaos und Ordnung, Lust und Schmerz produziert werden. Das Sein ist auch ein Maskenball (2014), eine karnevaleske Groteske, wo hinter den Masken und Verkleidungen schon die Sensenmänner lauern. So endet das ausgelassene Fest häufig mit einem Delirium (2015), aus dem es ein unangenehmes oder kein Erwachen geben kann: Dann steht der Teilnahme an einem Geistertanz (2013) nichts mehr im Wege. Leben und Tod, Tod und Leben sind unterschiedliche Stadien einer fortdauernden Metamorphose.

Schönheitsköniginnen aus Magazinen

Nadja Schöllhammer schafft ein statisches Theatrum mundi, das sehr dynamisch wirkt. Es ist das Vanitas-Motiv, das sich wie ein roter Faden durch ihre Papierarbeiten zieht. Obwohl sie die Eitelkeit, die Täuschungsmechanismen, den Narzissmus und Hedonismus der heutigen, vom Konsum angetriebenen und getriebenen Welt zeigt, ist ihre groteske Kunst affirmativ: Sie bejaht das Leben, ein buntes Feuerwerk, das irgendwann erlischt. Ihre expandierenden Raumzeichnungen scheinen gleichzeitig zu explodieren; neben dem Maskenball vor allem Doragon (2011-2019), ein Drache, der mit einer wie Äolus (Gott des Windes) anmutenden Figur durch eine Nabelschnur verbunden ist, und Incorporator (2013) mit einem Flötenspieler (Pan?), der menschliche und tierische Wesen tanzen lässt. Nadja Schöllhammers Papiertheater ist eine Bühne, auf der sich mythologische Gestalten tummeln, die von der Popkultur inkorporiert und appropriiert werden. Sie treten zusammen mit verfremdeten Gesichtern der heutigen Schönheitsköniginnen aus den Hochglanzmagazinen (Beauty Queen I-III, 2014) auf, versehen mit Fratzen, welche ihnen die Künstlerin verpasst und aufgesetzt hat. Sie verkörpern eine defragmentierte und fragile Welt, die sich von Illusionen nährt, welche ihnen Werbung und Medien verkaufen. Doch der Mensch sollte seine Unvollkommenheit akzeptieren, keinen falschen Vorbildern nacheifern und jeden Augenblick genießen, zumal die Monadenimplosion (2018) bereits voll im Gange ist.


© Nadja Schöllhammer, Foto: Eric Tschernnow

Wandler wirkt Wunder

Im Mittelpunkt der Soloschau von Nadja Schöllhammer im Kunstverein Tiergarten befindet sich die In-situ-Installation Wandler, welche die in Berlin lebende Künstlerin speziell für den zentralen Raum der Galerie Nord konzipiert und konstruiert hat. „Wandler“ bedeutet dreierlei. Laut Wikipedia ist das „der Oberbegriff für Baugruppen oder Bauelemente, die eine Energieform in eine andere umwandeln oder den Wert einer physikalischen Größe in einen anderen überführen.“ Darüber hinaus gibt es „Gestaltwandler“, fiktive, meistens mythologische Wesen, die ihr Aussehen willentlich verändern können, und Nachtwandler, die Somnambulen. Was hat das mit Nadja Schöllhammers Wandler zu tun? Zuallererst fallen darin die etwas wackeligen weißen Regale ins Auge, welche an die Abteilung für Wohnaccessoires eines Möbelhauses erinnern. Viele der dreieckigen Regale sind leer, auf einigen stehen oder hängen Artefakte, die wie Wandschmuck oder ausgefallene Lampen aussehen. Nadja Schöllhammer hat den Wandler aus Alltagsmaterialien, das heißt aus Holzpfählen, Polystyrol, Papier-, Plakat- und Zeitschriftenfragmenten gefertigt und mit Silikon überstrichen. Durch ihre kreative Energie wurden diese Dinge willentlich verändert und in ein Kunstwerk verwandelt. Somnambule oder andere Nachtschwärmer kommen auch auf ihre Kosten, denn sie können an den hell beleuchteten Räumen lustwandeln, durch die Fenster ins Innere blicken und ein Wunder erleben: Im strahlenden Licht erscheint auch die hässlichste Fratze wie ein menschliches Gesicht.

Nadja Schöllhammer
Wandler. Expandierende Raumzeichnungen
Bis 20. September 2019

Galerie Nord | Kunstverein Tiergarten
Turmstraße 75 EG, 10551 Berlin

Di-Sa 12 bis 19 Uhr, Eintritt frei

Begleitveranstaltungen
Di, 3. September, 19 Uhr:
Künstlerinnengespräch mit Barbara Heinrich und Nadja Schöllhammer

Mi, 18. September, 18 Uhr:
Ausstellungsrundgang mit Nadja Schöllhammer und Veronika Witte
www.kunstverein-tiergarten.de

Urszula Usakowska-Wolff

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