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19 Uhr: eine Performance, konzipiert und präsentiert von Katrina E. Bastian. Uferstudios_Studio 1 | Uferstr. 8/23 | 13357 Berlin

Sehen, ohne viel zu verstehen: Die Shortlist-Ausstellung im Hamburger Bahnhof

von Urszula Usakowska-Wolff (15.02.2020)
vorher Abb. Sehen, ohne viel zu verstehen: Die Shortlist-Ausstellung im Hamburger Bahnhof

Gruppenbild Shortlist-Kandidat*innen Preis der Nationalgalerie 2019
Pauline Curnier Jardin, Simon Fujiwara, Katja Novitskova, Flaka Haliti (v.l.n.r.)
Foto: David von Becker


Für die Shortlist des Preises der Nationalgalerie 2019 wurden Pauline Curnier Jardin, Flaka Haliti, Katja Novitskova und Simon Fujiwara nominiert, weil die Jury „sie als wichtige und wegweisende Akteure in der gegenwärtigen künstlerischen Landschaft erachtet.“ Ihre Werke zeigt die Shortlist-Ausstellung im Hamburger Bahnhof. Wer von ihnen den Preis der Nationalgalerie bekommt, wurde am 12. September bekannt gegeben: Pauline Curnier Jardin

Alle vier für den Preis der Nationalgalerie 2019 Nominierten arbeiten wie Bühnenbildner und inszenieren ein großes Spektakel, von dem sich der Betrachter manchmal überwältigt, manchmal überfordert oder erdrückt fühlt, denn die Masse der optischen und akustischen Reize und der eingesetzten Medien ist nicht einfach zu bewältigen. Mit einer Ausnahme sind die „räumlichen Ensembles“ ein Mix aus Konzeptkunst und Readymades. Der Aufwand, den diese Art von Kunst erfordert, ist riesig. Ihr Inhalt ist vage. Das was man wahrnimmt, stimmt selten mit den künstlerischen Absichten überein. Deshalb braucht diese Kunst einen schriftlichen Unterbau, aus dem hervorgeht, mit welchen wichtigen aktuellen und historischen Problemen sie sich auseinandersetzt. Dieser Eindruck macht sich bereits beim Begehen des ersten Ausstellungsraumes breit: Seine Wände sind mit graffitiartigen Zeichnungen und verschlungenen Neonröhren dekoriert und wirken dennoch kahl und kühl, dazwischen stehen metallene Konstruktionen, die wie Stände einer Designmesse wirken. Ihr Inneres ist mit Tapeten bedeckt, deren Muster an Waben, Netze und Flügeln erinnern. Darin liegen zwei etwas antiquierte menschenähnliche Roboter auf Aluminium-Matten: rücklings der blaue mit einer Glühbirne statt Penis, bäuchlings der türkisfarbene mit einer runden Glasvase statt Kopf. Sind das Erinnerungen an die Kinderjahre der Elektronik mit Prototypen künstlicher Intelligenz? Das Penislämpchen blinkt, doch keine Erleuchtung ist in Sicht.


Flaka Haliti
Installationsansicht im Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart – Berlin
© Nationalgalerie – Staatliche Museen zu Berlin, Courtesy the artist and Deborah Schamoni, Foto: Mathias Völzke


Müßiggang freundlicher Maschinenwesen

So sieht der mit zwei Werkgruppen bestückte Schauraum von Flaka Haliti (* 1982 in Pristina, lebt in München) ohne Blick ins Booklet aus. Dass der optische Eindruck der Werkserie unter dem mysteriösen Titel Its urgency got lost in reverse (while being in constant delay #2, 2018 und #3, 2019) nicht ganz richtig und oberflächlich ist, versteht man erst nach dem Lesen: „Die Figuren sind Assemblagen aus Utensilien aller Art: Rohre, Filter, Kühlschlangen, Glühbirnen, Gewinde, Trittbretter und Lochbleche verstecken sich unter der vereinheitlichten Farbschicht (…). Sie entstammen den zahlreichen inzwischen aufgegebenen Feldlagern der Kosovo Force (KFOR). In einer Geste der Demilitarisierung durch einen ästhetischen Akt fügt Haliti die ausrangierten Bausteine eines Friedensprozesses zu freundlichen Maschinenwesen zusammen, die sich einer artfremden Beschäftigung widmen, dem Müßiggang.“ Ihr Gegenstück ist Neon-Joe, eine geschlechtslose Figur von „fluider Präsenz“, die nicht nur das Alter Ego der Künstlerin ist, sondern ihre „immer wieder wichtigen Fragen nach Identität und nach der Art und Weise, wie die gesellschaftliche Einordnung auf der Basis von Aussehen, Herkunft und Geschichte“ reflektiert.


Pauline Curnier Jardin
Installationsansicht im Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart – Berlin
© Nationalgalerie – Staatliche Museen zu Berlin, Courtesy the artist and Ellen de Brujine Projects, Foto: Mathias Völzke


Haut, Blut und Wurst im Dienst der Kunst

Im angrenzenden dunklen Raum werden die Mixed-Media-Installationen Peaux de Dames in the Hot Flashes Forrest (2019), Explosion Ma Baby (2016) und Qu´un Sang Impur (2019) von Pauline Curnier Jardin (* 1980 in Marseille, lebt in Berlin) ausgestellt und ausgestrahlt. Es herrscht eine Atmosphäre wie in einem Untergrundtheater, an dessen Wand mit Stecknadeln befestigte Damenhäute aus Vinyl im Wald der Hitzewallungen hängen. Der weibliche Körper in den Wechseljahren fühlt sich ausgepumpt, verbraucht und abgehängt an. Dagegen wehren sich die Frauen im Video unter dem Titel Unreines Blut , der ein Zitat aus der französischen Nationalhymne La Marseillaise ist. Junge Männer würdigen die Frauen nach der Menopause keines Blicks, wenn sie ihnen Pakete bringen, Blutwurst verkaufen oder neben ihnen auf einer Parkbank sitzen. Dafür nehmen die Frauen blutige Rache und leben ihre einsame Lust im Knast aus. Mehr soll hier nicht verraten werden, denn der temporeiche Streifen beeindruckt durch Sinnlichkeit, überraschende Pointen, schwarzen Humor, spannende Momente, überzeugenden Darstellerinnen und Darsteller. Männliche Fruchtbarkeitsrituale sind das Thema des Films Explosion Ma Baby , den man, wie in einer Peepshow, durch einen großen Schlitz in einem Theatervorhang betrachten kann. Frauen sind dort nicht erwünscht, obwohl ihre Kinder von den Männern während einer heidnisch-katholischen Prozession Sankt Sebastian, dem Pestheiligen mit dem reinen Körper, dargeboten werden.


Katja Novitskova
Installationsansicht im Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart – Berlin
© Nationalgalerie – Staatliche Museen zu Berlin, Courtesy the artist, Kraupa-Tuskany Zeidler, Berlin and Sammlung Marta. Foto: Mathias Völzke


Horror vacui der Biotechnologie

In anderen Sphären bewegt sich Katja Novitskova (* 1984 in Tallin, lebt in Amsterdam und Berlin). Die jüngste für den Preis der Nationalgalerie Nominierte „wurde als eine der Pionier*innen einer künstlerischen Sprache, die als ´Post-Internet Art` Bezeichnung fand, bekannt.“ Ihre „großangelegte Installation“ ist ein Wunder der Technik, bestückt mit elektrischen Babyschaukeln, Roboterkäfern, Lasern, Digitaldrucken auf Aluminium- und Stahlskulpturen, einer digitalen Projektion und der Musik von Kareem Lotfy. Die Post-Internet-Artistin liebt den Horror vacui. Die Masse der durch Plastikschläuche verbundenen Objekte, die eng aneinander gedrängt im Raum stehen oder von der Decke hängen, summen, sich drehen und ihre Schatten an die Wände werfen, ist erdrückend. Doch das Ziel heiligt diese Mittel: Novitskova zeigt unter anderem die „koloniale Expansion“ der Biotechnologie (verkörpert durch den Fadenwurm C. elegans, dessen Erbgut vollständig entschlüsselt wurde) und die Robotisierung des Alltags. Ihre auf wissenschaftlichen Recherchen basierenden Arbeiten „kreisen um die Frage des zukünftigen Fortbestehens des Organischen als Bestandteil technologischer Prozesse.“ Das Ganze wird von Tierbildern flankiert, die wie Höhlenmalereien aussehen. Soll das bedeuten, dass wir am Ende unserer Zivilisation wieder als Höhlenmenschen anfangen müssen?


Simon Fujiwara
Installationsansicht im Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart – Berlin
© Nationalgalerie – Staatliche Museen zu Berlin, Courtesy Collection Lafayette Anticipations – Fonds de dotation Famille Moulin, Paris, Esther Schipper, Berlin and Dvir Gallery, Brussels and Tel Aviv, Foto: Mathias Völzke


Inszenierung und Instrumentalisierung

Im letzten Raum, der etwas versteckt hinter Nivitskovas Wissenskunst liegt, setzt sich Simon Fujiwara (* 1982 in London, lebt in Berlin) mit den ökonomischen, politischen und medialen Aspekten der heutigen Massengesellschaft auseinander. Präzise und schonungslos legt er die Mechanismen der Vermarktung offen, unabhängig davon, ob es sich um den Sadomacho-Roman Fifty Shades oder Anne Frank handelt. Sie wird zu einer Pop-Ikone inszeniert, missbraucht und kommerzialisiert. Likeness heißt diese Wachsskulptur, die auf zwei Bildschirmen zum Leben erweckt wird, sich beim Schreiben ihres Tagebuchs bewegt und süß lächelt: Ein beängstigendes Abbild unserer Welt, in der sich lohnt, keine Werte zu respektieren und alle(s) zu instrumentalisieren. Hauptsache, es bringt viel, viel Geld.

Preis der Nationalgalerie 2019
Bis 16. Februar 2020
Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart – Berlin Staatliche Museen zu Berlin
Invalidenstraße 50-51, 10557 Berlin

Öffnungszeiten
Di, Mi, Fr 10-18 Uhr; Do 10-20 Uhr; Sa, So 11-18 Uhr; Mo geschlossen
preisdernationalgalerie.de

Urszula Usakowska-Wolff

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