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Berlin Daily 18.04.2024
Ausstellungsrundgang Flesh&Bone + Boosted Mimicry

18 Uhr: Ins Gespräch kommen mit den anwesenden Künstler*innen und dem Kuratorenteam des ZAK – Zentrum für Aktuelle Kunst | Zitadelle, Am Juliusturm 64, 13599 Berlin

Ambivalente Bildwelten - Stan Douglas in der JSC Berlin

von Urszula Usakowska-Wolff (28.02.2020)
vorher Abb. Ambivalente Bildwelten - Stan Douglas in der JSC Berlin

Stan Douglas, Two Friends, 1975, 2012, Digitaler C-Print auf Aluminium: 106,7 x 142,2 cm. Courtesy of the artist, Victoria Miro and David Zwirner.

Unter dem Titel Splicing Block zeigt die Julia Stoschek Collection (JSC) einen Ausschnitt aus dem filmischen und fotografischen Werk von Stan Douglas, dessen aufwändige und scheinbar dokumentarische Inszenierungen der historischen Ereignisse international für Aufsehen sorgen. Kaum zu glauben, aber wahr: Es ist seine erste Einzelausstellung seit fast 20 Jahren in Berlin.


Stan Douglas, Hors-champs, 1992, Zweikanal-Videoinstallation, 13’20’’, S/W, Ton, Dimensionen variabel. Videostill. Courtesy of the artist, Victoria Miro and David Zwirner.

Ganz großes Kino erwartet das Publikum in der kleinen Retrospektive des kanadischen Künstlers Stan Douglas, der die JSC zum Schwingen und das Publikum zum Staunen bringt. Ein Klangteppich aus hinreißenden Jazzrhythmen macht sich in den Ausstellungsräumen breit und verwandelt sie in eine musikalische und visuelle Wohlfühloase. Eine Art Vorspann zu Splicing Block – der Titel leitet sich vom Werkzeug zum Schneiden und neuem Zusammenfügen des analogen Bild- und Tonmaterials ab – ist die schwarzweiße Zweikanalvideoinstallation Hors-champs (1992). Zu sehen und zu hören sind vier Musiker (George Lewis / Posaune, Douglas Ewart / Saxophon, Kent Carter / Bass, Oliver Johnson / Schlagzeug), die das Free-Jazz-Stück Spirits Rejoice (1965) des US-amerikanischen Saxophonisten und Komponisten Albert Ayler spielen. Das 13 Minuten dauernde Konzert wurde von Stan Douglas im audiovisuellen Studio des Centre Pompidou inszeniert und zeichnet sich durch rasante Kameraführung aus. Hors-champs ist bemerkenswert in zweierlei Hinsicht: Die Videoinstallation täuscht eine französische TV-Musiksendung aus den 1960er Jahren vor, also aus einer Zeit, in der Paris das Zentrum des US-amerikanischen Free Jazz war. Zum anderen steht der Fachbegriff Hors-champs für das unsichtbare Feld eines Films, für Fragmente, die daraus in der Postproduktion herausgeschnitten werden. Weil Douglas die Kulissen der Filmherstellung zeigen wollte, besteht diese Installation aus zwei Projektionen. Auf der Vorderseite läuft das Konzert, auf der Rückseite das gecuttete Material.

Was echt wirkt, ist erfunden

„Manchmal gibt es mehr Wahrheit in der Lüge als in der Dokumentation“, sagt Stan Douglas. Das will heißen: Traue deinen Augen nicht, denn das Bild der Welt und die damit verbundenen Geschichten könnten anders als ihre Visualisierung sein. Seine filmischen und fotografischen Arbeiten sind „Kostümdramen in Fragmenten“, Paradestücke einer konstruierten Authentizität und Faktizität.
Die Videos und Fototableaus des 1960 in Vancouver geborenen Künstlers sind das Ergebnis eines langwierigen Prozesses, in dem er historische Ereignisse recherchiert, ihre Szenerien nachbaut, sie mit Mobiliar und Kleidung bestückt, die aus der ihn gerade interessierenden Zeit stammen: Auch bei der Produktion seiner Fotografien agiert Douglas wie ein Filmregisseur, Drehbuchautor, Requisiteur, Bühnenbildner und Fotograf in einer Person. Die Ausstellung Splicing Block ist vor allem eine Reise in die 1970er Jahre und ein Versuch, die Gemeinsamkeiten zwischen der Disco-Szene in New York City und dem Befreiungskampf in Angola aus der Sicht eines fiktiven Fotojournalisten, in dessen Rolle Stan der Künstler schlüpft, zu veranschaulichen. „Was der angolanische Bürgerkrieg und die Disco in ihren frühesten Augenblicken teilten, war, dass sie beide utopische Räume waren, die durch das Eindringen von Außenstehenden zerstört wurden.“ Im Fall der New Yorker Underground Disco handelte es sich um die Musikindustrie, im südafrikanischen Land führten damalige Großmächte zeitweise einen Stellvertreterkrieg.


Stan Douglas, A Luta Continua, 1974, 2012, Digitaler C-Print auf Aluminium, 120,7 x 181 cm. Courtesy of the artist, Victoria Miro and David Zwirner.

Disco Angola und Luanda-Kinshasa

Die Ambivalenz der fünf Fototableaus aus der Serie Disco Angola, die im mittleren Teil der Ausstellung der Julia Stoschek Collection Berlin hängen, lässt sich erst auf den zweiten Blick erkennen. Was sofort auffällt, ist die perfekte Komposition und Ausleuchtung der großformatigen Bilder, die wie Genremalerei oder Stillleben wirken. Was jedoch stutzig macht, sind die Datierungen auf den Titelkärtchen. Können das wirklich Fotografien aus den Jahren 1974 und 1975 sein, die 2012 digitalisiert, stark vergrößert und farblich aufgefrischt wurden, um den Erwartungen des heutigen Publikums zu entsprechen? Nein, denn sie entspringen der Imagination des Künstlers, der anhand von Zeitdokumenten und historischen Aufnahmen Geschichtsbilder nach seiner Fasson kreiert hat. Sie beziehen sich zwar auf die 1970er Jahre, könnten aber aus der Gegenwart stammen, was ja auch stimmt. So posiert eine junge Frau im modernen, blassgrünen Schlaghosenkleid vor einer Fassade mit Farben und Symbolen der MPLA (Volksbewegung zur Befreiung Angolas). Oben steht die Parole „A luta continua, vitória é certa“ – „Der Kampf geht weiter, der Sieg ist gewiss.“ Ist es ein Erinnerungsfoto? Woran? An den Kampf der MPLA gegen die Kolonialmacht Portugal? An einen Ausflug, an dessen markantestem Schauplatz sich die Frau verewigen ließ? Ähnliche Fragen tauchen auch beim Betrachten der Disko-Tableaus auf, sie zeigen nur sehr kleine Ausschnitte aus einer Geschichte, die wenig darüber aussagen, worum es eigentlich geht: Worauf starrt ein gelangweiltes Paar (Two Friends, 1975, 2012), das in einem ballsaalähnlichen Interieur sitzt? Weil Disco Angola von Musik aus den 1970er Jahren begleitet wird, muten die Fotografie auch wie Film-Stills eines neu aufgearbeiteten Stummfilms an.


Stan Douglas, Luanda-Kinshasa, 2013, Einkanal-Videoinstallation, 361’ (Loop), Farbe, Ton, Dimensionen variabel. Videostill. Courtesy of the artist, Victoria Miro and David Zwirner.

Splicing Block ist etwas für Eingeweihte, denn sie verstehen die vielen Fachbegriffe aus der Filmbranche, ohne im lehrreichen Ausstellungskatalog nachzublättern. Die Laien, zu denen wohl nicht wenige Besucherinnen und Besucher der Soloschau von Stan Douglas gehören, können sich unvoreingenommen an den schönen Bildern und Tönen erfreuen: Besonders lange beim Anschauen seiner genau 361 Minuten dauernden Videoinstallation Luanda-Kinshasa (2013) mit einer Jam-Session, an der sich zehn Musikerinnen und Musiker beteiligen, die eine extra für diese Produktion entwickelte Improvisation zwischen Jazz, Funk und Afrobeat spielen. Wie immer bei Douglas hat auch dieses dokumentarisch-fiktive Werk mehrere Ebenen. Das ist aber unerheblich, denn die zugleich belebende und beruhigende Musik kann man auch ohne Hintergrundwissen in vollen Zügen genießen.

STAN DOUGLAS / SPLICING BLOCK
noch bis 1. März 2020
Julia Stoschek Collection
Leipziger Straße 60 (Eingang Jerusalemer Straße)
Öffnungszeiten: Sa-So 12-18 Uhr
www.jsc.art

Urszula Usakowska-Wolff

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endet am 1.3.20

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