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Melancholisch, ironisch, politisch: Kunst aus Athen in Berlin

von Urszula Usakowska-Wolff (01.02.2020)
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Dimitris Tzamouranis, Melancholia, Altar 2012, Polyptychon auf Holz, Leihgabe der Galerie Michael Haas Berlin, Foto: Jens Kunath

Die Ausstellung Homemade Exotica im Freiraum in der Box (Berlin-Friedrichshain) zeigt Malerei, Zeichnungen, Fotografien, skulpturale Objekte und Videoinstallationen von 16 Athener Künstlerinnen und Künstlern, die das von Stereotypen und vermeintlicher Exotik geprägte Bild Griechenlands hinterfragen.

Was für ein Tableau! Das siebenteilige Altarbild, 640 cm breit und 420 cm hoch, von Dimitris Tzamouranis in altmeisterlicher Manier beidseitig mit Öl auf Holz gemalt, verwandelt die linke Halle des Backsteinbaus im Hof der Boxhagener Straße 96 in eine Kapelle. Doch das Publikum, das vor dem imposanten Polyptychon unter dem Titel Melancholia andächtig stehen bleibt, merkt bald, dass die darauf Verewigten keine Heiligenfiguren, sondern junge Leute von heute sind. Die Liegenden und Sitzenden scheinen sich in einem Zustand zwischen Wachsein und Schlaf zu befinden. Sie wirken entrückt und doch präsent, distanziert und nahe. Dieses vielschichtige, hintergründige und mit vielen Zitaten aus der Kunstgeschichte gespickte Gemälde kann auch als ein Symbol des menschlichen Zusammenlebens und des Nebeneinanders von Geschichte und Gegenwart interpretiert werden.


Dionysis Christofilogiannis, Feels like home Acropolis, Photograph lambda on dibond, 2017, © the artist

Tote Bienen und Ruinen

Melancholia ist eines der Werke, die in der von Sotirios Bahtsetzis kuratierten Ausstellung Homemade Exotica präsentiert werden. Es ist eine anregende, stellenweise aufregende Gruppenschau, die von Lebendigkeit, Aufgeschlossenheit und Vielseitigkeit der Athener Kunstszene zeugt. Die griechische Hauptstadt scheint ein geeigneter Ort für Künstlerinnen und Künstler zu sein, die sich mit Tradition, Mythologie, Vergangenheit oder aktuellen Zeitfragen auseinandersetzen. So demonstriert die Installation Rush, Rush, Rush von Yorgos Maraziotis, wie sich durch die rasante Umweltzerstörung Unheimlichkeit in die Häuslichkeit einschleicht: In einer Holzvase, deren Form an eine Kerze erinnert, liegen tote Bienen; der schwarze Fleck auf dem weißen Lederpuffer ist aus Motoröl. In den drei Fotografien aus der Serie Feels Like Home kombiniert Dionysis Christofilogiannis Bilder der bei den Touristen beliebten Orte in Berlin und Athen mit den Ruinen von Damaskus. Die mehrteilige und ausgeklügelte Bilderreihe It´s My Property von Theodoros Zafeiropoulos widmet sich den Grenzen, die zum Schutz des privaten Eigentums und der Staaten vor ihren unmittelbaren Nachbarn errichtet wurden. Doch das, was gestern ein gepflegtes Anwesen oder ein funktionierender Staat gewesen war, kann sich morgen in eine Ruine verwandeln. Zwischen weit entlegener Vergangenheit und der Gegenwart bewegt sich die Handlung des Einkanalvideos Skin Shedding von Alexandros Kaklamanos, in dem er in einer der letzten traditionellen griechischen Gerberei die archaische Skulptur des Jünglings Kouros zum Leben erweckt. Wie in Höflichkeitsposen erstarrt wirken dagegen die unbetitelten und strichartigen Stahlskulpturen von Yorgos Stamkopoulos, die vielleicht darauf warten, dass jemand mit ihnen einen Smalltalk beginnt.


George Drivas, Empirical Data, HD Video mit Ton, 200, Foto: George Drivas

Roles, Steps & Scotch on the Holly Rocks

Auch andere an der Ausstellung Homemade Exotica Beteiligte stellen die Paradoxien der heutigen Zeit ironisch dar. Dionysis Kavallieratos zeigt in der Zeichnung Theater Plays An Important Role, dass ganz normale Menschen mörderische Instinkte freisetzen, wenn sie das Leben mit einer Theaterbühne verwechseln. Die Geschichte eines aus Georgien stammenden Schauspielers und wie er in seiner Wahlheimat Athen zu einem erfolgreichen Hiesigen wurde, erzählt das dokumentarisch-fiktive Video Emprical Data von George Drivas. Wie Reliquienschreine muten die drei Vitrinen aus James Lanes Werkreihe Redemptions an, in denen er Zeugnisse seiner interkulturellen Familiengeschichte versammelt. Ein Kommentar zur unbefriedigenden Entwicklung Griechenlands und seinem Festhalten an rückwärtsgewandten militärischen Zeremonien ist die Videoinstallation One Step Two Steps Back (The Greek Parliament) von Stefanos Tsivopoulos. Typisch griechisch und ausgesprochen poetisch ist der Käse Feta, dem Yannis Theodoropoulos in seinem Fetascape ein fotografisches Denkmal setzt. Der Griechische Bürgerkrieg und seine Auswirkungen auf die Kultur des zum Spielball der Großmächte gewordenen Landes sind das Thema der Zeichnungen, die der Installation The Concession des diesjährigen Teilnehmers der Biennale von Venedig, Zafos Xagoraris, zugrunde liegen. Georgia Kotretsos nimmt die Klippe auf die Schippe. In ihrer Bar unter dem Titel Scotch on the Holy Rocks stehen kristallene Whiskygläser mit Marmorsteinen statt Eiswürfeln. Wer daraus trinkt, darf nicht allzu sehr schütteln, denn die Brocken sind groß und können über den Glasrand springen oder die Glaswände durchschlagen.


Vassiliea Stylianidou, Somatic TaleOhrZ, 2019, © Vassiliea Stylianidou

Kleine und große Überraschungen

Die Leiden und Freuden eines jungen queeren und fiktiven Pakistaners zwischen Exil, Textil und Kleidung ohne Ziel schildert wortreich die Zweikanalvideoinstallation der Künstlerin Vassiliea Stylianidou, die in Berlin in den letzten Jahren immer wieder durch ihre komplexen Video-Installationen auf sich aufmerksam macht. Der enigmatische Titel ihrer text-, sound- und performancebasierten Arbeit lautet Somatic TaleOhrZ - eine Mischung aus Tale (Märchen), dem deutschen Ohr und dem Englischen Taylor (Schneider). Das Z am Ende des Wortes verweist auf eine linguistische Störung, die von einer Sprache in eine andere übergeht. Ganz ohne Kleider kommt dagegen Georgia Sagri aus, die auf drei Fotografien als Diana Very Dog durch ein etwas heute heruntergekommenes, in den 1920er Jahren von griechischen Vertriebenen aus Kleinasien gebautes Athener Stadtviertel schleicht. Doch die größte Überraschung, die in der Ausstellung geboten wird, sind die vom dadaistischen Geist durchdrungenen Deathropozänzeichnungen: Professor*innen der Avtonomi Akadimia von der Superkatze Schamanin politischen Aktivistin Joulia Strauss. Die knapp 20 Porträts zeigen Menschen aus dem Umkreis der von Strauss gegründeten Autonomen Akademie, einer selbstverwalteten Graswurzeluniversität, die sich im Garten der einstigen Platon-Akademie in Athen befindet, als Fabelwesen. Dazu gehören unter anderem Prof. Delphin Soritoris Bathtsetzis, Prof. Luchs Clara Stella Hünecke, Prof. Hund Raimar Stange und Prof. Sibirischer Caracal Thomas Oberender. „Wir zusammen, all die Tiere, haben 2018 gegen den supranationalen Konzern BlackRock gewonnen, der in der Nähe der archäologischen Stätte und des großen öffentlichen Gartens von Akadimia Platonos das 45.000 m² große Einkaufszentrum Academy Gardens bauen wollte“, so Joulia Strauss. Das ist ganz im Sinne Platons, von dem das Zitat stammt: „Wenn die Guten nicht kämpfen, werden die Schlechten siegen.“

Athen SYN I: HOMEMADE EXOTICA
Ausstellung und Festival zeitgenössischer griechischer Kunst in Berlin
Kurator: Sotirios Bahtsetzis
Konzept: Katja Ehrhardt, Sotirios Bahtsetzis
bis 1. Februar 2020

Freiraum in der Box
Boxhagener Straße 96 (im Hof), 10245 Berlin
Mi-Sa 14-18 Uhr

www.freiraum-berlin.org
www.athensyn.com
www.dock11-berlin.de

Urszula Usakowska-Wolff

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Melancholisch, ironisch, politisch: Kunst aus Athen in Berlin
Letzter Ausstellungstag von Athen SYN I: HOMEMADE EXOTICA. Ausstellung und Festival zeitgenössischer griechischer Kunst in Berlin

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