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Das Unsichtbare wird sichtbar: Caline Aoun im PalaisPopulaire

von Urszula Usakowska-Wolff (02.03.2020)
vorher Abb. Das Unsichtbare wird sichtbar: Caline Aoun im PalaisPopulaire

Caline Aoun,
Installationsansicht. Caline Aoun: seeing is believing,
Foto: Mathias Schormann, © Caline Aoun


Caline Aoun ist Artist oft the Year der Deutschen Bank. Aus diesem Anlass präsentiert das PalaisPopulaire ihre Ausstellung seeing is believing, in der die 1983 in Beirut geborene Künstlerin veranschaulicht, wie Technologie und Digitalisierung unsere Wahrnehmung der Bilder und somit die Realität beeinflussen.

Es ist ein schönes und harmonisches Ambiente, das Ruhe ausstrahlt und zum Verweilen einlädt. Vier kleine Brunnen plätschern leise, dahinter scheinen zwei auf Stellwände tapezierte Koronen zu kreisen, die rechte Wand ist mit einer mosaikähnlichen Textur bedeckt, welche an einen abstrakten Teppich erinnert. Alles ist perfekt inszeniert und minutiös aufeinander abgestimmt: die klaren geometrischen oder organischen Formen und die Farben. Dass aber Caline Aoun mit ihrem minimalistischen und raumgreifenden Gesamtkunstwerk unter dem Titel seeing is believing mehr im Sinne hat als bloß einen ästhetischen Genuss zu bereiten, wird auf den zweiten Blick ersichtlich: Aus den Fontänen sprudelt kein Wasser, sondern blaue, magentafarbene, gelbe und schwarze Tinte. Diese Farben zieren auch die benachbarte Wand: Das monochrome Schwarz löst sich dort allmählich in pastellige Farbfelder und blasse Balken auf, bis nur eine weiße Fläche übrig bleibt. Auf einmal leuchtet es jenen, die einen Drucker haben und ihn häufig benutzen, ein: Die beiden Installationen in der Mitte (Infinite Energy, Finite time) und auf der rechten Seite (Contemplating Dispersions) der großen Halle im ersten Stock des PalaisPopulaire beziehen sich auf das CMYK-Farbmodell, das auf den Farben Cyan (Blau), Magenta, Yellow (Gelb) und Schwarz (K wie Kontrast) basiert und mit dem die meisten Druckmaschinen und Tintenstrahldrucker arbeiten. Wenn den Patronen die Tinte ausgeht, verschwinden allmählich die Farben und der Drucker druckt leeres Papier aus.


Caline Aoun, 2018
Porträt,
Foto: © Luis Do Rosario, © courtesy Fondazione MAXXI


Digitaler Lärm und Leere

Caline Aouns Interesse gilt der Digitalisierung, die gigantische Datenmengen produziert, welche im Internet rund um die Uhr zugänglich sind, sodass Menschen, die einen Großteil ihrer Zeit im World Wide Web verbringen, nicht mehr wissen, was virtuell und was real ist. Sie werden von der Informations- und Bilderflut, zu der sie mit ihren eigenen Beiträgen in den Sozialen Medien beitragen, mitgerissen. Sie leben in einer Welt der ständigen Zerstreuung und Ablenkung, in der die Bilder ihre Bedeutung und Substanz verlieren, denn, so die Künstlerin, „je mehr wir zu sehen bekommen, desto weniger sehen wir.“ Mit einfachen Mitteln gelingt es ihr, das Unsichtbare zu visualisieren und dem Immateriellen, also dem digital hergestellten und verbreiteten Bild Materialität zu verleihen. Caline Aoun definiert Bilder als Objekte, zerlegt sie in physikalische Einzelteile und stellt sie als Elemente eines Systems dar, das zu kollabieren droht, wenn es an die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit gelangt. Das Überangebot an Bildern und anderen Massendaten bezeichnet die Künstlerin als „Lärm“, dem sie ihre minimalistischen und scheinbar abstrakten Arbeiten entgegensetzt, um „neue Erfahrungen zu gewinnen, neue Formen der Stille und Leere zu schaffen.“ Der Stoff, aus dem ihre ephemer wirkenden Werke sind, ist mitnichten digital, denn sie fertigt sie meistens aus Papier, Kupfer, Aluminium und Plexiglas. Sie entstehen während eines langwierigen und anstrengenden Arbeitsprozesses, in dem Caline Aoun mit dem Material ringt: Es ist ein Kraftakt, der sie und das von ihr eingesetzte Werkzeug, wie zum Beispiel Tintenstrahldrucker, an das Limit ihrer physischen Kapazitäten bringt.


Caline Aoun,
Contemplating Dispersions, 2, 2018/2019,
Inkjetdruck auf Reispapier, Maße variabel,
© Caline Aoun


Unendliche Energie, endliche Zeit

An der Installation Contemplating Dispersions arbeitete die Künstlerin über ein Jahr. Sie gab einem A3 Drucker den Auftrag, ununterbrochen tiefschwarze Seiten zu drucken. Die mit der Zeit immer mehr überforderte Maschine, deren Leistung von der Füllmenge der Tintenpatrone abhängt, versuchte tapfer, den Befehlen zu folgen, bis sie zum völligen Erliegen kam. Um die Betrachtung der Farbzerlegung trotzdem zu einem vorzeigbaren Ende zu führen, benutzte Caline Aoun insgesamt fünf Drucker, von denen nur zwei das Experiment überstanden. So konnte sie in ihrem wandfüllenden Papierteppich den Mythos digitaler Perfektion dekonstruieren und zeigen, dass nichts perfekt ist, denn jedes System bricht zusammen, wenn es exzessiv genutzt wird. Übersättigung und Überforderung, Leistung und Erschöpfung, Zirkulation und ihr möglicher Kollaps sind auch die Themen der Installation Infinite Energy, Finite Time, zu der sich die Künstlerin ebenfalls vom CMYK-Farbmodell inspirieren ließ und die im Mittelpunkt ihrer Soloschau seeing is believing im PalaisPopulaire steht. Die vier Brunnen, die wie eine ausgefallene Gartendekoration aussehen, sind eine Art kommunizierende Röhren: Verbunden durch transparente Schläuche, vermischen sich ihre Farben in einem extrem langsamen Tempo, sodass die Betrachter davon nichts merken. Im Laufe der Ausstellung „zerfließen sie zu einer immer trüberen Brühe – der Kreislauf droht zu unterbrechen“, klärt der Wandtext auf. Der Titel Infinite Energy, Finite Time weist darauf hin, dass die heutige global vernetzte Welt von einer unendlichen Energie (an)getrieben zu sein scheint. Ihr Ausdruck sind die von den Tintentropfen erzeugten Töne, Sinnbilder des Datenrauschens, das uns ständig begleitet. Wir versinken darin und vergessen, dass die Lebenszeit von Menschen und der von ihnen geschaffenen Systeme endlich ist.


Caline Aoun in der Ausstellung seeing is believing,
Foto: © Urszula Usakowska-Wolff


Landschaften erzählen Geschichten

Was wird noch in einer Ausstellung geboten, die den Namen Sehen ist Glauben trägt? Es sind, mit Ausnahme von Contemplating Dispersions, vor allem Landschaften oder ihre Fragmente, die in der geräumigen Halle hängen, liegen oder stehen: eine Gartenlandschaft; eine hügelige Landschaft; ein steinähnliches Objekt, mit so einer leuchtend blauen Farbe bedeckt, dass sich dafür sogar Yves Klein hätte begeistern können; ein Gebilde aus in Kupfer gegossenen Piniennadeln. Der Ausgangspunkt von Celine Aouns Werken sind meistens Dinge, die sie in ihrer unmittelbaren Umgebung sieht und in Kunst verwandelt. Diesen Vorgang nennt sie „Datentransfer“. Und so zeigt die aus 192 schwarzweißen Papierarbeiten bestehende Serie Lands of Matters faktisch Diagramme, das Resultat ihrer Beschäftigung mit den zwischen 2004 und 2018 als See-und Luftfracht in Beirut umgeschlagenen Waren. Das sind, genauso wie Pine Needles „stumme Landschaften“, die Geschichten über ihre Heimat erzählen: über den Überschuss an Gütern als Folge eines enthemmten Konsums, über die Schönheit der Natur, die viele Menschen erst dann als etwas Kostbares und Wertvolles betrachten, wenn sie in eine Skulptur transformiert wird, über den Kreislauf aus Vergehen und Werden. Wir müssen zwar nicht alles glauben, was wir sehen, aber das, was uns Caline Aoun in ihrer ersten großen Einzelschau in Deutschland zeigt, beweist, dass sie ein feines Gespür für das Wesentliche hat: Ihre Kunst macht es nun auch für unsere Augen sichtbar.

Caline Aoun: seeing is believing
Kuratorin: Britta Färber
bis 2. März 2020

PalaisPopulaire
Unter den Linden 5, 10117 Berlin
Öffnungszeiten: täglich außer Di 11-18 Uhr; Do 11-21 Uhr
www.db-palaispopulaire.de

Urszula Usakowska-Wolff

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