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Künstlerinnengespräch

17 Uhr: im Rahmen der Ausstellung Luise Marchand & Laura Schawelka »All Beauty Must Die« Villa Heike | Freienwalder Str. 17 | 13055 Berlin

Das Abwesende im Anwesenden. Ikonen. Was wir Menschen anbeten in der Kunsthalle Bremen

von chk (27.02.2020)
vorher Abb. Das Abwesende im Anwesenden. Ikonen. Was wir Menschen anbeten in der Kunsthalle Bremen

Sturtevant, Triptych Marilyn, 2004, Synthetischer Polymer-Siebdruck und Acryl auf Leinwand, 55 x 130 cm, Courtesy Galerie Thaddaeus Ropac, London, Paris, Salzburg, © Estate Sturtevant, Paris, Foto: Charles Duprat

Portale wie Instagram verweisen einmal mehr darauf, wie es heutzutage gang und gäbe ist, uns und das uns Umgebende zu Ikonen unseres Selbst zu stilisieren. Paradoxerweise hilft die künstliche Intelligenz, dieses Phänomen ad absurdum zu führen, indem virtuelle Menschenbilder kreiert werden können, die von den unseren nicht mehr unterscheidbar sind. Im Rahmen dieser Bilderfluten ist es fast schon mutig, eine Ausstellung zu konzipieren, die jeweils mit nur einem Kunstwerk (bzw. einer kleinen Werkgruppe) einen Raum bespielt. So geschehen in der Bremer Kunsthalle: In 60 Räumen – nahezu der gesamten Ausstellungsfläche des Museums -, wird noch bis 3. März 2020 die Ausstellung Ikonen. Was wir Menschen anbeten präsentiert. Zu sehen sind zumeist bekannte Kunstwerke aus 9 Jahrhunderten, von der russischen Ikone über Kasimir Malewitsch bis Elaine Sturtevant.

Was macht eine Ikone, das ursprüngliche Andachtsbild mit direktem Zugang zu Gott, heutzutage aus? Das Religiöse im Sinne der Heiligenverehrung wurde im Laufe der Zeit bedeutungslos. Doch die Sehnsucht nach Spiritualität, Kult und einer damit verbundenen Aura ist offensichtlich geblieben und hat mittlerweile inflationäre Ausmaße angenommen: So gut wie alles kann zur Ikone werden, die Stars und Sternchen aus der Musik-, Film-, Theater- oder YouTube-Welt, virtuelle Kreationen, selbst Tiere, Marken oder Sonnenuntergänge. Und, natürlich tragen Wissenschaft und Kunst das Potential in sich. Zugleich verdeutlicht dieses Phänomen wie wechselhaft und ephemer unsere Ikonenfixierung ist, zumindest was die Popkultur betrifft. In der Kunstwelt scheinen sich die Uhren langsamer zu drehen, aber auch hier sind besonders im Bereich der zeitgenössischen Kunst immer schnellere Umschwünge festzustellen.


Mandylion, Russland, 2. Viertel 16. Jahrhundert, Eitempera auf Holz, 71 x 58 cm, Ikonen-Museum Recklinghausen, Foto: Jürgen Spiler

Die Bremer Ausstellung versucht mit ihrem Konzept entgegen aller Schnelllebigkeit, einen Moment der Kontemplation und Reflexion entstehen zu lassen, sozusagen ohne allzu viel Didaktik wie von selbst.

Im ersten Raum steht, wie zu erwarten, das Bild einer Ikone. Das russische Mandylion, ein "... nicht von Menschenhand gemachtes Bild unseren Herrn Jesus Christus", stammt aus dem 16. Jahrhundert. Auch in den nächsten Räumen werden noch vereinzelt Andachtsbilder oder Reliquien gezeigt, die sich unmittelbar mit dem Göttlichen beschäftigen und die Idee des Übersinnlichen in sich tragen, wie bspw. eine Madonna mit Kind (1423) von Masolino da Panicale. Doch im Prinzip entfaltet sich der weitere Ausstellungsbesuch wie ein Gang durch das Who is Who der neueren europäisch/amerikanischen Kunstgeschichte inklusive der traditionellen Geschlechterverteilung. Ein bekanntes Meisterwerk reiht sich ans nächste, von Vincent van Gogh, Francis Bacon, Caspar David Friedrich, Bill Viola über Berlinde de Bruyckere, Bruce Nauman, Martin Kippenberger bis hin zu Janet Cardiff oder Gerhard Richter, usw.
Es besteht die Möglichkeit, die chronologisch gehängte Ausstellung Raum für Raum zu durchschweifen, sich auf das jeweilige Meisterwerk einzulassen und die Aufeinanderfolge der Hängung zu ergründen.

Oder aber, man geht kreuz und quer auf eigene Faust los. Die unterschiedlichen, übergeordneten Themenbereiche wie Die Ikone und die Folgen / Schöpfer, Heilige und Schamanen / Abstraktion. Ikonen der Moderne / Undarstellbarkeit. Worte und Leere / Anbetung. Ironisierte Ikonen, Readymades und Starkult / Eintauchen in das Bild bieten dafür ein grobes Werkzeug, um mögliche Zusammenhänge zu erschließen oder zu vertiefen. Vielleicht ist das der empfehlenswertere Weg, sich der Herausforderung der immerhin 60 Museumsräume verteilt über 3 Stockwerke zu stellen und dennoch das spielerisch Assoziative eigener Gedanken in der Zusammenstellung der Werke zu erfahren.


Kasimir Malewitsch, Schwarzes Quadrat, 1929, Öl auf Leinwand, 79,1 x 79,1 cm, Staatliche Tretjakow Galerie, Moskau, © State Tretyakov Gallery

Das heißt zum Beispiel, nach der eingangs erwähnten Ikone nicht zum nächsten Andachtsbild zu schreiten, sondern in die entgegengesetzte Richtung. So stößt man direkt auf das Schwarze Quadrat (1929) des russischen Malers Kasimir Malewitsch. Ein inspirierender Sprung von einer Ikone zur nächsten, der die Unsichtbarkeit des Sichtbaren in ihrer vieldeutigen Ausprägung von Spiritualität nicht besser versinnbildlichen kann. Malewitsch begründete damit den Suprematismus. Eine Richtung, die bildersturmhaft über die Malerei wegfegte, dabei gleichzeitig mit allen Nützlichkeitserwägungen von Kunst aufräumte und Religion dem Vergangenen überantwortete. Keine Gegenständlichkeit, keine Autorenschaft, keine Individualität – "ein hermetisches Emblem des Vergessens" (Felix Philipp Ingold). Das Schwarze Quadrat in der Letzten Futuristischen Ausstellung 0-10, 1915 in Sankt Petersburg gezeigt, wurde vom Künstler in die obere östliche Raumecke gehangen, ein Platz, der in der russischen Tradition der Ikone zustand.


Joseph Beuys, Konzertflügeljom (Bereichjom), 1969, Blick in die Ausstellungsräume, Foto: kuag

Unendlich viele andere gelungene Verknüpfungen ließen sich beschreiben wie bspw. das bronzene Pissoir von Sherrie Levine Fountain (Buddha) (1996), das in ironischer Brechung zu Marcel Duchamps Fountain (1917/64) steht und Duchamps ursprünglichen Alltagsgegenstand wiederum zum Kunstwerk erhebt. Oder die Öffnung der Bildräume und den damit verbundenen transzendentalen Erlebnissen, die ein James Turell mit seiner großartigen Arbeit Above – Between – Below (2011) oder Agnes Martin mit The Field (1965) bewirken ganz im Gegensatz zu der Ikonisierung des Ichs wie bei dem "Schamanen" Joseph Beuys und dem "Heiligen" Van Gogh in seinem Selbstbildnis (1887).

Unmittelbar an die Gegenwart knüpft die Ausstellung über die Präsentation der Kunstwerke hinaus durch spezielle Themenräume an, z.B. unter der Überschrift Iconic People – Iconic Moments, Marken oder Hausaltäre, wo die Besucherinnen Fotografien ihrer eigenen Hausaltäre ans Museum geschickt haben. Das Ich, das Du und das Es wird zur alltäglichen Ikone - geadelt durch das Museum.


Hausaltar, Blick in die Ausstellungsräume, Foto: kuag

Letztendlich werden in der Ausstellung eine Vielheit von Ikonen aus mehreren Jahrhunderten und besonders dem letzten Jahrhundert vereint, die in ihrem bedeutungsträchtigen Facettenreichtum zu denken geben. Dabei stellt sich die Frage, ob sich die Halbwertzeit der Ikonen weiterhin verkürzt und die Ikone in einer sich immer komplexer darstellenden Welt dem menschlichen Bewusstsein als Repräsentation genügt.

Ikonen. Was wir Menschen anbeten
noch bis 1. März 2020

Kuratoren: Christoph Grunenberg, Eva Fischer-Hausdorf

Öffnungszeiten
bis 01.03.2020:
Mi bis So 10 – 18 Uhr
Di 10 – 21 Uhr
Mo geschlossen

Kunsthalle Bremen
Am Wall 207
28195 Bremen
www.kunsthalle-bremen.de

chk

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Von einem Ausflug nach Bremen. ... endet am Sonntag.

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