19 Uhr: mit Professorin für Medienkunst an der HGB Leipzig, Christin Lahr und den Künstler*innen der Ausstellung "Crimes of Carelessness (the deep and the foamy)" (engl.). VILLA HEIKE | Freienwalder Str. 17 | 13055 Berlin
Anja Asche: „In meinem Kopf entstehen unablässig neue Ideen. So gesehen ist ein Nicht-Weiter-Arbeiten gar nicht möglich.“
Urszula Usakowska-Wolff: Wie wirkt sich die Corona-Krise auf Dein Leben und Deine Arbeit aus?
Anja Asche: Besonders stark spüre ich die Einschränkungen im Bereich der Ausstellungstätigkeit. Obwohl ich mich auf mehrere Ausschreibungen beworben habe, hatte ich dieses Jahr noch keine analoge Ausstellung. Deadlines, Termine und Entscheidungen werden kurzfristig verschoben oder ganz abgesagt. Manche Auslober reagieren gar nicht mehr. Das kostet Nerven und macht Planungen besonders schwierig. Spannend ist aber, dass gleichzeitig viele neue Ideen entstehen. Kunst wird mehr und mehr digital präsentiert und umworben.
So haben Michael Koch und Jochen Schlick alias Kunstopfer eine eigene Online-Präsenz Kunst kennt keine Ausgangssperre kreiert, auf der 50 hochkarätige Künstler und Künstlerinnen in zehn Durchgängen bis zu sechs Kunstwerke zeigen. Ich freue mich sehr, bei dieser Ausstellung dabei zu sein, die auf viel Resonanz stößt.
Durch die Corona-Krise entstehen auch völlig unerwartete Dinge. Meine Schwester wurde, wie viele andere, in Kurzarbeit geschickt und langweilte sich zu Hause. So konnte ich sie kurzerhand als Assistentin für Recherche-Arbeiten einsetzen. Eine echte Win-Win-Situation.
Anja Asche, Untergrund, ortsspezifische Installation in der Vitrine01, Parkett, Erde, ca. 150 x 180 x 200 cm, 2018 © Anja Asche
UUW: Hast Du ein Atelier? Hast Du Probleme, die Ateliermiete zu bezahlen?
AA: Leider habe ich kein eigenes Atelier. Ich spare dadurch natürlich Kosten – was nicht nur in der jetzigen Situation von Vorteil ist – aber bestimmte Projekte kann ich deshalb auch nicht umsetzen. Gerade diesen Monat habe ich aber das Glück, ein Atelier auf Zeit in der Alten Münze nutzen zu können. Ein Projekt der Künstlerin Franziska Harnisch, die ich über die Vitrine01 kennengelernt habe – ein Kunstschauraum im U-Bahnhof Birkenstraße, der bis zum Umbau der U-Bahn-Station in einer ehemaligen Verkaufsvitrine Kunst gezeigt hat. Ihr neues Projekt heißt raum on demand. Künstlerinnen und Künstler können sich für eine begrenzte Zeit um das ehemalige Pförtnerhäuschen in der Alten Münze in Berlin-Mitte bewerben. Der Raum ist kosten- und bedingungslos. Genau solche Projekte ermöglichen es mir, Neues auszuprobieren.
UUW: Wie sieht Deine künstlerische Arbeit in dieser Zeit aus? Machst Du weiter, oder lenken Dich die gegenwärtige Situation und die Unsicherheit, wie lange sie dauern wird, davon ab?
AA: In meinem Kopf entstehen unablässig neue Ideen. So gesehen ist ein Nicht-Weiter-Arbeiten gar nicht möglich. Momentan beschäftige ich mich mit mehreren Projekten gleichzeitig, die kompliziert in der Umsetzung sind. Das bedeutet, viel Material- und Technikrecherche und praktisches Experimentieren. Zum ersten Mal möchte ich ein kinetisches Objekt realisieren. Hierfür arbeite ich mit einem Experten zusammen. Es ist sehr spannend, gemeinsam Schritt für Schritt der Lösung näherzukommen. Enge Absprachen und diverse Tests sind notwendig. Durch die Ausgangs- und Einkaufsbeschränkungen wird dieser Prozess leider deutlich erschwert. Den raum on demand nutze ich für skulpturale Experimente. Denn hier habe ich die Möglichkeit, prozesshaft zu arbeiten und Dreck zu produzieren, wie er bei klassischer Bildhauerarbeit – Sägen, Schleifen, Bohren – entsteht.
UUW: Kannst Du Dir Arbeitsmaterialien beschaffen, da die Geschäfte mit dem Künstlerbedarf geschlossen sind? Oder hast Du so viel „auf Lager“, dass Du ohne Probleme weiter wie bisher arbeiten kannst?
AA: Obwohl ich viel mit Fundstücken aus der Natur gestalte und diverse Objekte vorrätig habe, sind die Einkaufsbeschränkungen ein Problem für mich. Da ich experimentell vorgehe, benötige ich für fast jedes Kunstwerk weitere Materialien oder Werkzeuge. Die kann ich nicht vorrätig haben, da ich sie noch gar nicht kenne. Für die Arbeiten im raum on demand fehlt mir unerwartet ein passendes Werkzeug. Die BBK-Werkstätten wären meine erste Anlaufstelle, haben aber wegen Corona geschlossen. Dadurch habe ich heute viel Zeit mit Telefonieren verbracht. Am Ende spach ich sogar Handwerker auf der Straße an. Selbst hier muss man kreativ werden, aber es kostet auch viel Kraft.
Anja Asche, Großer Feuerkreis, 2018, Ahornsamen und Schnur, Maße variabel. Foto © Urszula Usakowska-Wolff
UUW: Gibt es für Dich Alternativen für den Lebensunterhalt?
AA: Nach vielen Jahren der ausschließlichen Selbstständigkeit entschied ich mich vor zwei Jahren, eine Teilzeitanstellung als Grafikerin anzunehmen. Durch die Regelmäßigkeit und finanzielle Sicherheit kann ich mich entspannter und konsequenter auf meine künstlerische Tätigkeit konzentrieren. Heute bin ich darüber besonders froh, denn durch dieses zweite Standbein bin ich aktuell abgesichert. Jetzt hängt es davon ab, ob die Firma die Krise übersteht. Anfangs hat mich die Unsicherheit schon ziemlich aus dem Konzept gebracht, jetzt sehe ich auch die Chancen, die sich dadurch langfristig ergeben können.
UUW: Kannst Du dir ein Leben ohne Kunst vorstellen?
AA: Auf Deine letzte Frage möchte ich mit Loriot antworten: „Ein Leben ohne Kunst ist möglich, aber sinnlos!“
Anja Asche im raum on demand (ehemaliges Pförtnerhaus der Alten Münze Berlin) © Anja Asche
Anja Asche (* 1967 in Göttingen, lebt in Berlin), arbeitete nach dem Architekturstudium an der Hochschule Bremen als Architektin in Deutschland und der Schweiz. Seit 2007 schafft sie Installationen, Objekte, Zeichnungen, Fotografien und Videos, die einen experimentellen Charakter haben. In ihren filigranen und ephemer wirkenden Arbeiten, die sie aus Papier, Pflanzensamen, Gräser, Ästen, Flechten und anderen Fundstücken fertigt und mit Nägeln und Klingen versieht, weist sie auf die Brüche und Begrenzungen der Existenz, auf die Zerbrechlichkeit und Vergänglichkeit des Individuums, die Fragilität der Identität und auf die Beziehungen zwischen Natur, Kultur und Erinnerung hin.
Weblinks:
www.anjaasche.de
www.instagram.com
kunstopfer.de
kunstkka.de (Kunst kennt keine Ausgangssperre)
www.f-harnisch.de
alte-muenze-berlin.de
Titel zum Thema Interview:
Zeitgenössische Kunst im Krankenhaus. Macht das Sinn?
Gespräch: Wir sprachen mit der Kunstwissenschaftlerin, Kritikerin und Kuratorin Anne Marie Freybourg über ihre Erfahrungen mit zeitgenössischer Kunst im Kontext von Gesundheit, Kranksein und Heilung.
Imaginierte Sehnsuchtsorte. Die Künstlerin Rubica von Streng im Interview.
"Heimat: ein universelles und zugleich persönliches Konzept"
In einer temporären Galerie unweit des Bahnhofs Gesundbrunnen zeigen 40 Künstler:innen aus aller Welt vom 1.-12.6. ihre Positionen zu kultureller Identität und Zugehörigkeit. Frank Lassak sprach mit Kuratorin Georgina Magklara über die Ausstellungsidee. (Gastbeitrag)
Der Akt wird zur Akteurin
Gastbeitrag: Frank Lassak sprach mit der Künstlerin Stephanie Pech über ihre Ausstellung im Kunsthaus Potsdam und ihre Performance „Hybrid Moves“.
Bettina Hutschek: Snake Chronicles
Gastbeitrag: Ein Gespräch der Kuratorin und Kunstwissenschaftlerin Verena Voigt mit der Künstlerin Bettina Hutschek über Mythen und Misogynie anlässlich ihrer Teilnahme an der maltabiennale.art 2024
Artist Talk zum Weltfrauenmonat
Gastbeitrag: Ein Interview von Frank Lassak mit der Künstlerin Rubica von Streng und der Galeristin Sara Lily Perez.
"American Pop Culture Is Black Culture"
Die Ausstellung ULYSSES JENKINS: WITHOUT YOUR INTERPRETATION in der Julia Stoschek Collection endet am Sonntag (30.7.). Ein aufschlussreiches Interview führte Hanna Komornitzyk mit der Co-Kuratorin Meg Onli.
Die Stimmungen der Zeit festhalten. Die Künstlerin Rubica von Streng im Interview.
Die Stimmungen der Zeit festzuhalten, erweist sich gerade bei einer so facettenreichen Gesellschaft wie der des 21. Jahrhunderts als sehr komplex. Ich arbeite deshalb auch gern mit Fragmenten. (Rubica von Streng)
COMM: Das Pop-up Büro fürs Museum
Im Interview Maximilian Wahlich mit Carolina Hanke und Fee Wedepohl von COMM: Das Pop-up Büro fürs Museum
Im Gespräch mit dem Fotografen Volker Hagemann
Volker Hagemanns Arbeiten greifen Phänomene der Alltagskultur im Kontext kulturgeschichtlicher Prägung auf. Seine Fotografie steht fast immer im Kontext aktueller Diskurse (Medientheorie, Raumtheorie); ebenso wichtig sind ihm die ästhetische Dimension und eine intuitive Lesbarkeit.
Der Raum als leeres Blatt Papier
Interview: Ferial Nadja Karrasch im Gespräch von mit der Künstlerin Akane Kimbara.
„Es gibt in der Kunst keine eindeutigen Antworten.“
Ein Gespräch mit der Künstlerin Clara Brörmann.
Interviews in Ausnahmesituationen – mit Zuzanna Skiba
Urszula Usakowska-Wolff im Gespräch mit Zuzanna Skiba: "Je dramatischer einem das Leben begegnet, desto individueller kann die künstlerische Arbeit werden, wenn man sie kompromisslos ehrlich und authentisch betreibt. ..."
Käthe Kruse im Interview
Am Samstag (11.7.) endet die Ausstellung Käthe Kruse: 366 Tage in der Galerie Zwinger. Aus diesem Grund nochmals unser Interview mit der Künstlerin.
Interviews in Ausnahmesituationen – mit Simone Haack
Urszula Usakowska-Wolff im Gespräch mit Simone Haack: „Mein Hauptgefühl war zuerst, ausgebremst zu sein. Aber jetzt habe ich schon eine fast romantische Erinnerung an diese Lockdown-Zeit.“
Galerie Alte Schule im Kulturzentrum Adlershof
Japanisch-Deutsches Zentrum Berlin
Freundeskreis Willy-Brandt-Haus e.V.
Akademie der Künste / Hanseatenweg
Galerie Parterre