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Was ein Kreissägeblatt mit Kunst zu tun hat: Neue Bilder von Monika Baer im n.b.k.

von Urszula Usakowska-Wolff (05.07.2020)
vorher Abb. Was ein Kreissägeblatt mit Kunst zu tun hat: Neue Bilder von Monika Baer im n.b.k.

Monika Baer, o. T., 2020, Papier, Acryl, Tintenstrahldruck, Sägeblattfragment, drei Schrauben auf Pappe, Abb: Adèle Haenel bei der Verleihung der Césars, 2020, 17,9 x 30 x 6,4 cm. Foto: Urszula Usakowska-Wolff

Für ihr „herausragendes Lebenswerk“ wurde die Berliner Künstlerin Monika Baer (* 1964 in Freiburg im Breisgau) mit dem Hannah-Höch-Preis 2020 ausgezeichnet. Aus diesem Anlass richtet ihr der n.b.k. eine Soloschau aus.

Es ist eine sehr übersichtliche Ausstellung: Unter dem Titel Neue Bilder werden im Erdgeschoss des Neuen Berliner Kunstvereins ganze zehn Arbeiten gezeigt. Im ersten großen Raum präsentiert Monika Baer sechs kleine Collagen, im zweiten, viel kleineren, vier großformatige Ölgemälde. Die reliefartigen Collagen haben viel Platz: An den beiden langen Wänden hängen je zwei, an den kurzen neben den Fenstern je eine. Auf gleicher Höhe angebracht, sehen sie wie ein minimalistischer Fries aus.

Zacken und Kanten

Monika Baer verwandelt den White Cube in eine spärlich bestückte Bühne, auf der eine Aufführung stattfindet: Jedes einzelne Bild erzählt eine oder mehrere Geschichten, die direkt oder indirekt zusammenhängen und sich allmählich zu einer Story mit verblüffenden Querverweisen entwickeln. Es ist eine Scharade, also gilt es, den darin enthaltenen Fährten und Spuren zu folgen, um ihren Sinn zu ergründen. Im Gegensatz zu den Ölgemälden sind ihre reliefartigen Collagen nicht perfekt ausgeführt. Beklebt mit wie unsorgfältig aus den Medien ausgeschnittenen Fotografien und häufig mit schief angebrachten Quadern versehen, wirken sie wie flugs zusammengebastelte Assemblagen, die jederzeit zu kippen drohen. Das ist eine Kunst mit Zacken und Kanten und um viele Ecken gedacht, weshalb sie beim genauen Hinschauen zumindest ambivalent, wenn nicht gar befremdlich wirkt.


Monika Baer, Zufall, 2020, Pappe, Papier, Acryl, Tusche, Sägeblatt, Abb: zwei Arbeiten von Rosemarie Trockel in Artforum, 20 x 30 x 7 cm. Foto: Urszula Usakowska-Wolff

Makita, Maria und Rosemarie

Es gibt keine Kunst ohne Kenntnis der kunsthistorischen Hintergründe und der Beherrschung des Handwerks: Ein integraler Bestandteil von Monika Baers Collagen ist das ganze oder fragmentierte Kreissägeblatt mit der Aufschrift Combination Blade for Wood der japanischen Firma Makita. Die Ausstellung Neue Bilder im n.b.k. beginnt mit einer kleinen Arbeit aus Pappe und Papier unter dem Titel Zufall, bestehend aus drei Quadern auf schwarzem Grund und den Abbildungen zweier Werke von Rosemarie Trockel aus dem Kunstmagazin Artforum. Es handelt sind um ihre industriell gestrickte Menopause (2006) aus Wolle und das Ölgemälde Reborn with Spot (2011), einer verkleinerten Kopie des Weiblichen Akts (1884), auch bekannt als La grosse Maria, von Henri de Toulouse-Lautrec. Es zeigt die als Venus von Montmartre verschriene Marie-Clémentine Valadon, die sich später Suzanne nannte. Rosemarie Trockel verpasste ihr ein schwarzes Muttermal neben der linken Brust, und so wurde Valadon mit einem Schönheitsfleck wiedergeboren und von Trockel als ihr eigenes Selbstbildnis deklariert. Monika Baer wiederum beschert dem gefragten Akt eine erneute Wiedergeburt mit Zacken, die Valadons Schamhaare verdecken: Sie schraubte darauf ein ganzes Original-Makita-Sägeblatt. Was das wohl zu bedeuten hat?

Adèle, Suzanne und Alice

Sägeblätter, Schrauben und Künstlerinnen sind Protagonistinnen der collagierten Bildwelten von Monika Baer. Der Schauspielerin Adèle Haenel widmet sie die Arbeit o. T. Ihr Zeitungsbild wird von vier roten Quadern auf rotem Grund und einer zum Teil schwarzgestrichenen Sägeblatthälfte flankiert. Es zeigt sie bei der Verleihung der Césars 2020, wie sie mit Handy und staunenden Augen im Publikum sitzt. Die schwarz-weiße Abbildung des Selbstporträts La Chambre bleue (1923) von Suzanne Valadon ziert die rechte Seite der schwarzen Collage Blade. Sie ist keine Muse und Geliebte berühmter Künstler mehr, sondern eine selbstbewusste und erfolgreiche Malerin. Auf der linken Seite ist ein verchromtes Sägeblatt befestigt, worin sich Hände und Finger der Betrachtenden spiegeln. Das in diesem Fall graue Blaue Zimmer gibt es noch einmal o. T., aber mit Ergänzungen von Alice Creischer (* 1960). Der Hintergrund der Collage ist nicht mehr monochrom, er ähnelt einem Nachtstück; die halbe Sägeblattscheibe dient als Spiegel, in dem man seine Hände und Teile seines Gesichts etwas verzerrt bestaunen kann. Die wie eine Dornenkrone anmutenden Zacken verbreiten sich auf und unter dem Bildnis der lasziv liegenden und rauchenden Valadon. Bär und Creischer, die sich heue ihr Selbstporträt aneignen, tun das jede auf eine mehr oder weniger überspitzte Art.


Monika Baer, o. T., 2020. Mit Ergänzungen von Alice Creischer. Pappe, Papier, Acryl, Bleistift, Alufolie, verchromtes Sägeblattfragment. Abb: La Chambre bleue, Selbstporträt von Suzanne Valadon, 1923, 24,5 x 32,5 x 4 cm. Foto: Urszula Usakowska-Wolff

Séraphine, Harvey und erneut Adèle

Die Collage scheint für Monika Baer auch ein Mittel zur Decamouflage der maskulinen Bösewichte zu sein. Ihr vorletztes Papierwerk o. T. ziert die Abbildung eines Fotoporträts der Malerin Séraphine Louis, einer der bedeutendsten Vertreterinnen der naiven Kunst in Frankreich, das aus dem Katalog einer Gruppenausstellung in Grenoble 1937 stammt. Ihr Gesicht ist ekstatisch, sie hält eine Palette und einen Pinsel in den Händen. Links von ihr ist Harvey Weinstein auf dem Weg zum Gericht zu sehen: Der einst so mächtige US-amerikanische Filmproduzent wurde Anfang März wegen Vergewaltigung und sexueller Nötigung zu 23 Jahren Haft verurteilt. Die lilagraue Collage, auf der zwei zackige Dreiecke und eine halbe Makita-Scheibe nicht fehlen dürfen, steckt zwischen zwei Quadern aus Pappe, die offensichtlich für ihre Stabilität sorgen. Die kleine Collagenschau im großen weißen Raum des n.b.k. endet mit einem schwarz-weiß Foto von Adèle Haenel aus dem Historienfilm Portrait de la jeune fille en feu (Porträt einer jungen Frau in Flammen), deren Regisseurin Céline Sciamma 2019 in Cannes mit einer Palme für das Beste Drehbuch ausgezeichnet wurde. Links neben dem Foto klebt ein verspiegeltes Sägeblattdreieck, unter dem grauem Grund schimmert der Schriftzug Tripple beam Pizza, eines Restaurants in Los Angeles, durch. Das ist kein Zufall, denn im vorigen Jahr war Monika Baer Dozentin an der University of California und nahm, wie zu sehen, den Lieferdienst dieser Pizzeria in Anspruch.


Monika Baer, o. T., 2020, Pappe, Papier, Acryl, Glaspulver, Tintenstrahldruck, verchromte Sägeblattfragmente (zwei Dreiecke mit je zwei Schrauben, ein halbiertes Sägeblatt mit vier Schrauben. Abb. vorne: Séraphine Louis, links: Harvey Weinstein auf dem Weg zum Gericht, 2020, 20 x 26 x 6 cm. Foto: Urszula Usakowska-Wolff

Im Zusammenhang mit dem Gedankengang

Während der kreative Umgang mit dem Makita-Kreissägeblatt es in sich hat, weil er den großen Ausstellungsraum in ein kleines Spiegelkabinett verwandelt, sind die kausalen Zusammenhänge zwischen den Abbildungen irritierend. Monika Baer weist zu Recht darauf hin, dass Frauen nicht nur in der Kunstgeschichte marginalisiert werden. Auch wenn zum Beispiel Suzanne Valadon eine begnadete und außerordentlich produktive Künstlerin war, wird sie vor allem mit Toulouse-Lautrecs Weiblichem Akt assoziiert.
So geht es auch Séraphine Louis, die noch immer im Schatten ihres Zeitgenossen Henri Rousseau steht. Was hat aber diese französische Künstlerin, die in Trance mystisch-religiöse Bilder malte, unter Wahnvorstellungen litt und deshalb in eine Irrenanstalt eingewiesen wurde, wo sie 1942 verstarb, mit dem 1952 geborenen Harvey Weinstein zu tun? Die Tatsache, dass er in einem Gefängnis, also einer Anstalt des geschlossenen Vollzugs sitzt?
Was verkörpert Adèle Haenel: ihr unbestrittenes schauspielerisches Talent oder etwa ihren Protest gegen die Verleihung eines Césars an Roman Polanski, der ihr eine große mediale Aufmerksamkeit brachte? Vielleicht sind die Collagen auch eine Bühne für Gedanken, die beim Besehen entstehen. Sie inszeniert ein Spektakel, das manche Köpfe zum Sinnieren animiert.

Bäume ohne Rinde

Nach den Collagen gilt es, vier Ölgemälde von Monika Baer zu besichtigen. Zu ihren Protagonisten gehören Bäume und Baumstümpfe, die in verschiedenen Schieflagen und hinter Mäuerchen oder steinernen Brüstungen stehen. Obwohl sie fast rindenlos und kahl sind, sehen sie noch immer recht imposant, geradezu phallisch aus. Drei Gemälde hängen in sicherem Abstand an einer Wand und heißen jeweils not yet titled. Auf dem rechten klebt ein blau-roter Tropfen aus Hartschaum; das hinter dem Eingang ist not yet titled, aber auch mit einem, diesmal weißen Tropfen versehen. Das schemenhafte Konterfei eines alten Mannes mit spitzer Nase schwebt rechts vom sich schälenden Stumpf. Was tropft denn da? Wasser vom Himmel? Eine Träne des greisen Baumgeistes? Ein Stück Hartschaum neben dem betroffenen Baum und alle Fragen offen.

Monika Baer. Neue Bilder
Hannah-Höch-Preis 2020
Kurator: Marius Babias
bis zum 2. August 2020

Neuer Berliner Kunstverein
Chausseestrasse 128/129, 10115 Berlin
Öffnungszeiten: Di-So 12-18 Uhr, Do 12-20 Uhr, Eintritt frei
www.nbk.org

Urszula Usakowska-Wolff

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