Anzeige
Boris Lurie

logo art-in-berlin.de
Berlin Daily 19.03.2024
Performance

19 Uhr: mit dem Klangkünstler und Performer Antti Tolvi aus Turku, Finnland im Rahmen der Ausstellung "Sound, light, silence" Galerie Pleiku | Eugen-Schönhaar-Str. 6a | 10407 B

Spiegel, Säule, Hannes und Hase: Rohkunstbau 25. im Schloss Lieberose

von Urszula Usakowska-Wolff (20.09.2020)
vorher Abb. Spiegel, Säule, Hannes und Hase: Rohkunstbau 25. im Schloss Lieberose

Via Lewandosky, Alles was der Fall ist, 2015. Foto Urszula Usakowska-Wolff

Neue Kunst in alten Gemäuern: Das ist die Idee, aus der die Ausstellungsreihe Rohkunstbau geboren wurde. Zu verdanken ist sie dem damaligen Medizinstudenten und heutigem Augenarzt Arvid Boellert, der seit 1994 nicht müde wird, durch zeitgenössische Kunst aus Berlin verfallende oder fast vergessene Kulturstätten in ländlichen Regionen Brandenburgs aufzuwerten und sie für Kunstfans attraktiv zu machen. Der erste Rohkunstbau fand 1994 in einer für die DDR-Arbeiterfestspiele Ende der achtziger Jahre gebauten, aber nie fertiggestellten Betonhalle in Groß Leuthen, die durch die Wende ein Rohbau blieb – woher der Name Rohkunstbau kommt. Seitdem werden seine neuen Folgen (außer 2012 und 2019) jedes Jahr im Sommer an wechselnden Orten in Brandenburg organisiert. Nach Stationen in verschiedenen Schlössern und Villen wurde 2017 ein neuer Austragungsort im Schloss Lieberose (Landkreis Damme-Spreewald) gefunden. Nachdem sich die Heinrich-Böll-Stiftung Brandenburg, langjähriger Träger des Projekts, aus dem Projekt zurückgezogen hatte, musste die Ausstellung 2019 abgesagt werden.

Kunst in schwierigen Räumen

„Brandenburgs bekanntestes Festival für zeitgenössische Kunst“ (so die Eigenwerbung) blickt auf eine bewegte Geschichte zurück. Seine Zukunft stand – coronabedingt – auch in diesem Jahr auf dem Spiel. Doch allen Widrigkeiten zum Trotz findet das Kunstevent erneut im Schloss Lieberose statt, bestückt mit Werken von 20 Künstlerinnen und Künstlern, die bereits an einer der vorigen Rohkunstbau-Ausstellungen teilgenommen haben. Heike Fuhlbrügge, die den langjährigen Kurator Mark Gisbourne ablöste, hatte nur sechs Wochen Zeit, um die Jubiläumsausstellung zu organisieren. Unter dem Titel Zärtlichkeit/Tenderness. Vom Zusammenleben/About Common Living werden Arbeiten gezeigt, deren thematischer Zusammenhang nicht immer ersichtlich ist.
Auch das dunkle Interieur des Schlosses, das an vielen Stellen nur vom durch die Fenster einsickernden Tageslicht erhellt wird, macht die Besichtigung nicht immer einfach, ist aber vom Anfang an Programm: Kunst in Räumen zu präsentieren, die sich dafür nicht eignen, weil ihr pittoresker Verfall, die mit Löchern, abblätterndem Putz und Rissen übersäten Wände dominante Kulissen sind.


Alicja Kwade, Megasubstance (Detail), 2020. Foto © Urszula Usakowska-Wolff

Berliner Bestenliste

Rohkunstbau 25. zeigt zehn Wochen lang eine Bestenliste mit zwischen 2000–2020 entstandenen Skulpturen, Videoinstallationen, Installationen, Zeichnungen, Fotografien und Gemälden. Werke, die in Berlin schon oft einzeln, aber wohl noch nie in einer Gruppenschau zu sehen waren. Somit setzt die neue Kuratorin die Tradition ihres Vorgängers fort. Weil ihre Ausstellung in einem rekordverdächtigten Tempo organisiert wurde, sind aktuelle Arbeiten eher rar.
Das von außen renovierte Schloss, eines der größten Barockschlösser in Brandenburg, liegt in einer grünen, sanften Landschaft. Sie spiegelt sich, wie in einer Art Kaleidoskop, in der grandiosen Skulptur Megasubstanz (2020) von Alicja Kwade. Ihr auf Hochglanz innen und außen poliertes Rohr, das in einer Granitfassung steckt, begrüßt die Besucher auf dem Schlosshof. Sie bleiben lange davor stehen, umrunden die Plastik, sehen sie sich von allen Seiten und Richtungen an. Dabei entstehen überraschende Ansichten und Einsichten, denn es handelt sich dabei um ein Megaspiel mit Spiegel, Hohlspiegel und Zerrspiegel, die den Himmel, die mit Unkraut bewachsenen Bodenplatten, die Bäume, die umliegenden Häuser und das Publikum auf raffinierte Weise reflektieren, fragmentieren und sie immer wieder in andere Konstellationen bringen. Es ist eine interaktive Arbeit, die auf eine subtile Weise die Verbindung zwischen den Menschen und ihrer Umwelt veranschaulicht. Die Übergänge zwischen Himmel und Erde sind fließend, wir können sie und uns nur in Teilen, nie als Ganzes erleben. Alleine der Megasubstanz wegen ist der Rohkunstbau eine Reise wert.


Leiko Ikemura, Doppelfigur in Blau, 2000/02. Foto © Urszula Usakowska-Wolff

Nie allein sein

Die Innenräume des Schlosses Lieberose scheinen für solche Künstlerinnen und Künstler besonders geeignet, die sie als eine Bühne für theatralische Inszenierungen zu nutzen wissen. Dazu gehören neben Alicja Kwade vor allem Via Lewandosky, dessen umgekippte, am Boden liegende Straßenlaterne fluoreszierendes Licht verströmt, während in dem Saal, wo sich Alles, was der Fall ist (2015) ereignet, Swing erklingt. Im einstigen Theatersaal, der sich über zwei Stockwerke erstreckt, hängt direkt unter der Decke seine Neonlichtinstallation Auge um Auge, Zahn um Zahn (2015): Zu hören ist immer wieder ein lautes Au Au. Auf dem mit Graupappe bedeckten Fußboden steht ein Paravent. Es ist das Werk von Ola Kolehmainen unter dem Titel Das ist der Dom in Coeln (2019). Hinter dem fünfteiligen Gehäuse verbirgt sich ein Spiegelkabinett, das gern genutzt wird, weil man dort nie allein ist, sondern in Begleitung seiner eigenen, fast endlos projizierten und multiplizierten Gestalt. Zwischen den Stockwerken prangt Gregor Hildebrands Säule (2012) aus zu Muscheln gepressten Filmen für Brancusi, eines seiner vielen Hommagen an den Schöpfer der Endlosen Säule. Alicja Kwade teilt sich mit Leiko Ikemura einen Raum: Es ist eine der besten Inszenierungen des diesjährigen Rohkunstbaus. In der Mitte des grünen Salons, dessen morbider Charme melancholisch stimmt, steht Ikemuras janusköpfige Hasenskulptur Usagi Greeting (2002/2019), auf der rechten Wand hängt ihr geisterhaftes Gemälde Doppelfigur in Blau (2000/02). Auf die linke stützen sich Kwades Andere Bedingungen Aggregatzustand (2011/2019), eine vierteilige Installation mit einem ihrer beliebten Zerrspiegel.


José Noguero vor seinen Ölgemälden. Foto © Urszula Usakowska-Wolff

Äußere und innere Landschaften

Zu einem weiteren Höhepunkt der Ausstellung zählen die vier großformatigen Ölgemälde von José Noguero (Tau, Tau 2, Sperlonga, Die Brunnen, alle 2020), die in einem Raum hängen und von beindruckenden formalen und intellektuellen Fertigkeiten des Künstlers zeugen. Es sind abstrakte Bilder, die an Landschaften erinnern. Sie sind zugleich zart, harmonisch und dynamisch und veranschaulichen, welche Leidenschaften in der Außen- und Innenwelt der Menschen schlummern – und dass sie manchmal explodieren. Das kleinste Kunstwerk im Rohkunstbau 25. ist die Gipsplastik Hannes 1:6 30 cm (2002) von Karin Sander. Doch der zarte Nackte in Turnschuhen fühlt sich offensichtlich nicht erdrückt von der mächtigen und prächtigen Stuckdecke. Eher davon, dass die Interieurs des Schlosses immer mehr verfallen – und kein noch so hochkarätig besetzter Rohkunstbau sie davor bewahren kann. Das ist wirklich ein Grund für Tristesse.

Rohkunstbau 25.
veranstaltet vom Verein der Freunde des Rohkunstbau e.V.
Kuratorin: Dr. Heike Fuhlbrügge
verlängert bis 4.10.2020

Schloss Lieberose
Schlosshof 3, 15868 Lieberose/Spreewald
Öffnungszeiten: Sa./So. 12–18 Uhr
www.rohkunstbau.net

Urszula Usakowska-Wolff

weitere Artikel von Urszula Usakowska-Wolff

Newsletter bestellen




top

Titel zum Thema Rohkunstbau:

Schloss Lieberose mit neuem Besitzer
Kurznachricht: Das Schloss Lieberose, eines der größten Barockschlösser in Brandenburg, liegt im Landkreis Dahme-Spreewald. Bekannt als ein Veranstaltungsort für zeitgenössische Kunst wurde das Schloss durch das Kunstfestival Rohkunstbau.

Spiegel, Säule, Hannes und Hase: Rohkunstbau 25. im Schloss Lieberose
Verlängert bis 4.10.20: Neue Kunst in alten Gemäuern: Das ist die Idee, aus der die Ausstellungsreihe Rohkunstbau geboren wurde.

ROHKUNSTBAU wurde abgesagt
Kurzinfo: Der 25. Rohkunstbau - eines der renommierten Ausstellungsprojekte für zeitgenössische Kunst in Brandenburg - findet 2019 nicht statt.

The different ´In-between`. XXII Rohkunstbau im Schloss Roskow
Ausstellungsbesprechung: Aus deutscher Sicht ist es nahezu selbstverständlich, dass Kinder Kinder, Jugendliche Jugendliche sein dürfen.

Rohkunstbau XX – Revolution im Vagen
Ausstellungsbesprechung: Rohkunstbau geht in die zwanzigste Runde. Zum zehnten Mal mit Kurator Mark Gisbourne. Zum dritten Mal auf Grundlage Richard Wagners „Ring des Nibelungen“.

Rohkunstbau und die Sache mit der Moral
Ausstellungsbesprechung: Die Wenigsten kennen das idyllische Schloss Roskow, nahe Potsdam, das die Familie von Katte im 18. Jahrhundert errichtete.

Kunstfestival Rohkunstbau 2012 kann nicht finanziert werden
Eine Petition unter dem Titel "Rettet Rohkunstbau" sollte das Ende des Kunstprojektes Rohkunstbau verhindern und rief zur Unterstützung auf. Mitlerweile haben 1.045 Unterstützer die Petition unterzeichnet. Trotzdem:

Aus für Rohkunstbau?
Das Brandenburger Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur will in diesem Jahr seine finanzielle Unterstützung ...

Kunst, Macht und der Ring der Nibelungen | XVIII. Rohkunstbau 2011
Ausstellungsbesprechung: Was haben der XVIII. Rohkunstbau und Richard Wagner gemein? Gar nichts, könnte man meinen, doch aber verbindet die alljährliche Sonderausstellung und den großen Dramatiker-Komponisten eines, nämlich die publikumswirksame Auseinandersetzung mit dem Thema Macht.

XVII. Rohkunstbau - Spieglein, Spieglein an der Wand
Kunst ist Reise. Im Fall des Rohkunstbaus beschränkt sich dieses Reisen nicht auf eine imaginäre Form, denn tatsächlich steht vor dem Besuch erst einmal die Anreise.

Rohkunstbau - dieses Jahr in Potsdam
Das alljährlich stattfindende Kunst-Festival Rohkunstbau, das sich seit 15 Jahren zeitgenössischer, ortsbezogener Kunst widmet, ist in diesem Sommer unter dem Titel "Drei Fraben - Rot" in der Villa Kellermann in Potsdam zu sehen.

Video: XIV. Rohkunstbau - Drei Farben - Weiss
In diesem Jahr setzt das seit 1994 alljährlich stattfindende Ausstellungsprojekt "Rohkunstbau" mit der Ausstellung "Drei Farben - Weiss" seine an den polnischen Regisseur Krzysztof Kieslowski angelehnte Triologie "Drei Farben - Blau Weiss Rot" fort.

Kaffeefahrt ins Kinderheim - Zum XII. Rohkunstbau "Kinderszenen - Child´s Play"
Damit hätte Robert Schumann sicherlich nicht gerechnet als er seine "Kinderszenen" im Jahre 1838 komponierte: die dreizehn Szenenthemen seines Stückes (z.B. "Ritter vom Steckenpferd", "Fast zu ernst" oder "Kind im Einschlummern") bilden nun den roten Faden des diesjährigen Rohkunstbau.

IX Rohkunstbau

top

zur Startseite

Anzeige
Responsive image

Anzeige
Alles zur KI Bildgenese

Anzeige Galerie Berlin

Responsive image
Galerie Nord | Kunstverein Tiergarten




Anzeige Galerie Berlin

Responsive image
Galerie 15




Anzeige Galerie Berlin

Responsive image
Verein Berliner Künstler




Anzeige Galerie Berlin

Responsive image
Freundeskreis Willy-Brandt-Haus e.V.




Anzeige Galerie Berlin

Responsive image
Haus am Lützowplatz / Studiogalerie




© 1999 - 2023, art-in-berlin.de Kunstagentur Thomessen Hartlieb-Kühn GbR.