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Studio Berlin - eine Ausstellung der Boros Foundation im Berghain

von Tim Lienhard (09.09.2020)
vorher Abb. Studio Berlin - eine Ausstellung der Boros Foundation im Berghain

MORGEN IST DIE FRAGE kuag

Die Erektionsschwierigkeiten der Rosemarie Trockel oder wie Hermann S. zwei Nachtschwestern seine Klebereien zeigt.
Ein Gastkommentar von Tim Lienhard


Im Berghain in Berlin geht es seit langem klebrig zu. Mitunter spottet es jeder Beschreibung, was hier möglich ist. Aber der Techno Tempel ist sacrosankt! Bloß keine Kritik am Treiben im weltberühmten Nachtclub mit der härtesten Tür. Und das ist auch gut so, denn die Kollateralschäden von Geschlechtskrankheiten und Drogenexzessen stehen in keinem Verhältnis zur Möglichkeit einer Insel der Glückseligkeit, die dieser geschützte Freiraum bietet. Geschützt aber wovor?

Vor den Zugriffen einer übergriffigen Moral zum Beispiel. Geschützt auch vor Diskriminierung, obwohl diese eigentlich doch bereits an der härtesten Tür anfängt ...
Geschützt ist jeder, der es schafft, eingelassen zu werden vor einer Öffentlichkeit. Ein Utopia der Grenzenlosigkeit, ein nonbinärer, sexpositiver Freiraum, von dem es viel zu wenige gibt auf der Welt. Das Berghain ist einzigartig.

Und nun - in Zeiten von Corona, wo die Zügellosigkeit das glatte Gegenprogramm wäre zu den verordneten Hygieneregeln, steht der Laden leer.

Auf seinen mehreren tausend Quadratmetern wird seit Jahr und Tag jedes Wochenende Party gemacht, unter Auslassung mehrerer Nächte. Durchfeiern ist nicht mehr, aber unbelebt bleiben soll das prominenteste pulsierende Herz der Partymetropole nun auch wieder nicht.

Drum hat sich sogar der Kultursenator Klaus Lederer stark gemacht und unterstützt einen regelrechten Kraftakt: 117 Künstlerinnen und Künstler zeigen ab dem 9.9.20 je eine Arbeit aus ihren Studios in Berlin.

Die Boros Foundation hat mit der Kuratorin Juliet Kothe eine Auswahl in Berliner Künstlerateliers getroffen und manchmal recht eindimensional entschieden. „Es ist schwarz, es ist dunkel und es ist sexy“ kommentiert Monica Bonvicini, eine der beteiligten Künstlerinnen die Wahl, die auf ihre beiden Harnesse fiel. Wie in Teer getaucht wirken sie, aber zugleich erstarrt wie zwei klebrig dunkle Larven, aus denen ein Liebespaar geschlüpft sein könnte, das abgehoben ist in die monumentalen Höhen der überdimensionalen Berghain Halle. Eine Arbeit voll Poesie und Härte, ein Volltreffer in dieser großen Schau.

Unweit davon bläht sich ein unförmiger, komplett schlecht proportionierter Plastikmüllsack-Pimmel auf. Er ist von Rosemarie Trockel. Was hat sich die Grand Dame der Kunst dabei gedacht? Einfach nur albern und der entschieden eindimensionalste Beitrag der Ausstellung. Getoppt im wahrsten Sinn des Wortes durch ein darüber hängendes Bild von Tamina Amadyar, was wohl eine Vagina darstellen soll. Nonbinär ist das Berghain, klassisch binär die Schau „Studio Berlin“. Solche platten Ausrutscher waren abzusehen an einem Ort für Grenzgänger.

Die Intensität, die jeder Berghain Besucher an einem so außergewöhnlichen Ort erleben kann, das Glück berauschender Geschichten, lässt sich nicht auf eine Ausstellung übertragen, auch nicht am Originalschauplatz.

Simon Fujiwara hat vor den Toiletten neben dem großen dancefloor eine Installation aufgebaut, die über seine schwere Syphiliserkrankung Auskunft gibt. Da hat er Prep Pillen mit hineingearbeitet, die ungeschützten Analverkehr erlauben und vor HIV schützen. Auch Kassenzettel für Medikamente sind Teil seiner Installation. Aber was ist das? Ein ehrlicher Umgang mit den Schattenseiten des Berghain? Oder Kitsch?

Nur Deko, aber aufgeladen mit einer anrührenden privaten Erzählung ist die Riesenblüte eines schwulen Künstlerpaares, das sich in der Panoramabar des Berghain kennenlernte und dieses Jahr wegen COVID 19 nicht heiraten konnte. Sie tanzt nicht und lebt nicht die leblose Riesenblüte, wie erstarrt dominiert sie den dancefloor. Hochzeitdekoreminiszenz.

Am stärksten dort, wo normalerweise die weniger harten Töne erklingen als in der großen Halle, in der Panne, der Panoramabar sind die Arbeiten von Wolfgang Tilmans, die zum Inventar gehören, ergänzt durch eine eher schwache Arbeit von Isa Genzken und dem gelungensten Slogan der weitläufigen Ausstellung „Fuck loneliness“, einer Arbeit von Peter Welz, ein Graffiti Fundstück aus der großen Stadt Berlin in einsamen Zeiten des Lockdowns.

„Hermann S. zeigt zwei Nachtschwestern seine hübschen Klebereien“ heißt der Beitrag von John Bock. Eine typische dreidimensionale Bock Collage mit Pin up Spielkarte und BahnCard 50 von vor zehn Jahren, also ausgemustert, ungültig, verjährt.

Historisch wird diese Ausstellung nicht, dazu ist sie zu sehr Luna Park und leitet am ehesten Atmosphären ab aus den unvergleichlich starken Clubräumen und der Industriearchitektur.

Raphaela Vogels ausladende Installation „Rollo“ aus Versatzstücken eines insolventen Luna Parks zeigt die Hilflosigkeit der Kuratorinnen, dem Ort und der Zeit, dem von ihnen doch eigentlich selbst gesteckten Ziel gerecht zu werden. Ein Sammelsurium von Miniaturausgaben der Dresdner Frauenkirche, des Arc de Triomphe in Paris und der Siegessäule von Berlin etc pp.

Wer würde sich für all das in dieser kruden Mischung interessieren, wenn das nicht im Berghain stattfinden würde?

Am erstaunlichsten an der Sache ist, dass alle mitmachen und sich den Auflagen anschließen: absolutes Fotografierverbot! Nichts darf nach draußen dringen aus den heiligen Hallen des gehuldigten Hains!

Noch einmal die Frage zum Schluss: was soll eigentlich geschützt werden? Ein Mythos mehr als eine ehrliche Einladung zu einem Ort, der voll dieser Kunst eh nicht mehr der Ort ist, der als Freiraum und hedonistisch gelebte Utopie jeden Schutz verdient hat.

9.9.2020 bis zur Wiedereröffnung des Clubs

STUDIO BERLIN
Berghain
Am Wriezener Bahnhof, 10243 Berlin

Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag von 12-20 Uhr. Montags geschlossen.
Eintritt: Ab 16 Jahren
Studio Berlin Ausstellung

Weitere Daten zu der Ausstellung aus unserer Künstler*innendatenbank


Tim Lienhard

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Im Pantheon des Rauschs. Zehn Jahre Berghain.
Ausstellungsbesprechung: Es ist dunkel, es ist eng und es riecht nach Urin. Meine Nase hängt über einer rotgold leuchtenden Vitrine, die sich aus der düsteren Berghain-Halle wie ein Heiligtum herausschält.

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