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Informationen, Propaganda und Skandale: In fünf Schritten Richtung Medienabhängigkeit

von Hanna Komornitzyk (10.04.2021)
vorher Abb. Informationen, Propaganda und Skandale: In fünf Schritten Richtung Medienabhängigkeit

Smartphone Stacks,
Florian Mehnert (geb. 1970)
2020
© Courtesy of Florian Mehnert


Was sind Medien und warum können wir nicht ohne sie? Das Deutsche Historische Museum wagt vom 10.09.2020 bis zum 11.04.2021 in “Von Luther zu Twitter – Medien und politische Öffentlichkeit” die Reise zu den Anfängen einer höchst ambivalenten Beziehung und arbeitet unseren Konsum bis in die Gegenwart auf.

Mitte des 15. Jahrhunderts: Genervt vom Status Quo entwickelt der Mainzer Johannes Gutenberg bewegliche Lettern aus Metall und revolutioniert so den Buchdruck. Zum ersten Mal ist es nun möglich, Schriftstücke und Bilder im großen Stil zu vervielfältigen. Es ist unwahrscheinlich, dass er zu diesem Zeitpunkt ahnt, welche weitreichenden Konsequenzen seine pragmatische Erfindung nach sich ziehen würde. Aber der erste Skandal lässt nicht lange auf sich warten: Nur kurze Zeit später drucken entrüstete Reformationsgegner Pamphlete, – das damalige Äquivalent zur heutigen Instagram-Story – in denen der aufmüpfige Mönch Martin Luther als siebenköpfiges Papstmonster dargestellt wird. Damit bedienten sie sich der gleichen Mittel (oder aber: Medien) und drastischen Bildsprache wie die Reformatoren selbst. Auch diese ließen Ideen zur Neuinterpretation der Bibel in nicht minder reißerischer Weise auf zahlreiche Flugblätter und in Bücher drucken. Es ist Gutenbergs Verfahren zu verdanken, dass sich Luthers Thesen in Windeseile in der Bevölkerung verbreiten können und so nicht weniger als die Abspaltung der protestantischen von der katholischen Kirche vorantreiben. Und siehe da, der erste medienwirksame Shitstorm wart geboren.

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Der Papstesel
Martin Luther (1483-1546), Lucas Cranach (1472-1553)/Werkstatt Lucas Cranach d.Ä.
© Deutsches Historisches Museum/S. Ahlers


Das Konzept der Ausstellung “Von Luther zu Twitter” ist simpel und gerade deshalb wirkungsvoll: Sternförmig sind von einem Mittelplatz fünf Räume angeordnet, die als Stationen im Uhrzeigersinn die Entwicklung der Medien samt ihrer politischen Bedeutung nachvollziehen. Vom Buchdruck geht es weiter zu den ersten Zeitungen. Es folgen Radio, Fernsehen und als krönender Abschluss das Internet, welchem das mit Abstand größte und komplexeste Raumgefüge der Ausstellung gewidmet ist. Anhand humorvoll inszenierter Beispiele wird mit jeder Station deutlicher, dass Medien schon immer einen Zweck erfüllt haben, der über die bloße Vermittlung von Informationen hinausgeht.

Im 19. Jahrhundert gelingt es dem früheren Journalisten, preußischen Ministerpräsidenten und norddeutschen Bundeskanzler Otto von Bismarck, mit einem Telegramm den Deutsch-Französischen Krieg auszulösen: Um eine erneute Kandidatur Leopolds von Hohenzollern auf Lebzeit auszuschließen, reist der französische Botschafter im Jahr 1870 auf Wunsch des Kaisers Napoleon III in den Kurort Bad Ems. Der Inhalt seines Gespräch mit dem König Wilhelm I wird am 13. Juli in einem Telegramm, der sogenannten Emser Depesche, an Bismarck übermittelt. Dieser gibt die Informationen in Absprache mit dem deutschen König an die Presse weiter – in stark dramatisierter Abwandlung. Die Darstellung eines äußerst hitzigen Austauschs zwischen Botschafter und König rüttelt in der allgemeinen Wahrnehmung so sehr an der deutschen Ehre, dass weniger als eine Woche später ein Krieg zwischen den beiden Nationen entflammt.

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Raumansicht „Von Luther zu Twitter. Medien und politische Öffentlichkeit“
© DHM/David von Becker


Schon in diesen ersten historischen Ereignissen zeigt sich die Wirkungsweise und Übermacht der Medienöffentlichkeit: Ab den 1930er Jahren ist es vor allem das Naziregime, welches das neue Medium Radio für seine Propaganda nutzt. Mit seiner Hilfe werden die Reden Adolf Hitlers in die Wohnzimmer der ganzen Nation getragen und verfehlen ihre Wirkung nicht. Begleitet von zahlreichen visuellen Darstellungen und Karikaturen lösen die in der Ausstellung zu hörenden Auszüge sofort Bauchschmerzen aus – auch, weil sie sich als mahnende Vorboten in unser kollektives Gedächtnis eingeprägt haben. Im vierten Raum wird diese aus Erinnerungen hergeleitete Beziehung zu den Medien noch deutlicher: Eine Wand aus neun Monitoren zeigt von der Mondlandung in den 1960ern über den Kampf zwischen Muhammed Ali und Joe Frazier bis hin zu den brennenden Twin Towers am 11. September 2001 diverse Fernsehmomente, die Betrachtende unterschiedlicher Generationen sofort identifizieren können und die sie in das Begleitszenario im heimischen Wohnzimmer zurückversetzen. Dieses ist zur Unterstreichung im typischen Braun-Orange der 1970er in einem Nebenraum ausgestellt: Das gesamte Mobiliar ist auf den Fernseher gerichtet – noch heute ein vertrauter Anblick.

Ausgangspunkt der Ausstellung “Von Luther zu Twitter” ist die weit verbreitete Annahme, die politische Landschaft habe sich durch die Etablierung des Internets maßgeblich verändert. Seine Kraft steht außer Frage, denn noch nie war es so einfach, die eigene Meinung zu verbreiten, sich zu informieren und Stimmungen zu beeinflussen. Das DHM nimmt sich dafür aktueller Phänomene an, die immer auch eine Rückkopplungsschleife zur Kunst bilden: Für das gemeinsame Projekt “P2P (Panda-to-Panda)” schredderten der US-amerikanische Aktivist Jacob Appelbaum und der chinesische Künstler Ai Weiwei 2015 die von Edward Snowden veröffentlichten NSA-Dokumente; im Anschluss dienten die Schnipsel als Füllmaterial für 20 Plüschpandas, die von Peking aus an 20 Galerien und Museen in der ganzen Welt geschmuggelt wurden – zusammen mit einem eingenähten Chip, der die Informationen in Reinform enthielt. Die von der schwedischen Klimaschutzaktivistin Greta Thunberg angestoßene Bewegung Fridays for Future wird ebenfalls thematisiert, denn auch sie verdankt ihre Bekanntheit und Macht der Verbreitung über das Internet. Genau wie Weiweis Kunstwerk zeigt sie aber auch, dass mit dem Internetzeitalter nur eine über viele Jahrhunderte perfektionierte Medienstrategie fortgesetzt wird.

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Fatma Iktasari und Shabnam Kazimi in Männerkleidung während eines WM-Qualifikationsspiels 2012
Teheran, 2012
© Courtesy of Mehdi Mousavi


Medien erlangen ihre politische Bedeutung über ihre Regelmäßigkeit und geografische Verortung: Mittlerweile werden sie im 24-Stunden-Takt in unsere Lebensräume projiziert. Mehr vielleicht noch als die anhand von Nutzerdaten und Algorithmen auf uns zugeschnittene mentale Nähe sind sie uns physisch nah, umgeben uns ohne Unterbrechung in unserem Alltag. Auch wenn es für eine jüngere Generation amüsant erscheinen muss, das sich stetig selbst erneuernde Internet als historischen Moment zu betrachten, so schafft es die Ausstellung “Von Luther zu Twitter” doch, unsere emotionale Bindung zu und Abhängigkeit von der Medienmaschinerie nachzuvollziehen. Dabei wird deutlich, dass Parallelen immer wieder zu erkennen sind und wichtige Fragen, wie die der Pressefreiheit, immer wieder neu diskutiert werden müssen. Demokratie kann und konnte zu keinem Zeitpunkt als Selbstverständlichkeit angesehen werden – diese zu verteidigen gehört auch weiterhin zu den wichtigsten Aufgaben der Medienöffentlichkeit.

Von Luther zu Twitter. Medien und politische Öffentlichkeit

10. September 2020 bis 11. April 2021

Deutsches Historisches Museum
Unter den Linden 2
10117 Berlin
www.dhm.de

Hanna Komornitzyk

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