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Freiheit und ihre dystopische Vision. Freedom & Independence in der Galerie Ebensperger

von Maximilian Wahlich (18.11.2020)
vorher Abb. Freiheit und ihre dystopische Vision. Freedom & Independence in der Galerie Ebensperger

Bjørn Melhus
Freedom & Independence (Filmstill)
2014
4K Video 15’
Courtesy der Künstler, Ebensperger


Mit den Einschränkungen öffentlichen Lebens durch Covid-19 wird der Ruf nach demokratischer Freiheit immer lauter. Freiheit, so sehr sie zu schützen gilt, wird von manchen Gruppierungen als Totschlagargument missbraucht und zur tollkühnen Protesthaltung pervertiert. Auf der anderen Seite gilt es natürlich politische Entscheidungen zu beobachten und in Frage zu stellen.

Wie ein Reflex auf die aktuelle Lage findet in der Galerie Ebensperger die Ausstellung Freedom & Independence statt. Freiheit und Unabhängigkeit werden zu Schlagworten, die den Assoziationsraum der Kunstwerke deutlich definieren.
Die Ausstellung verteilt sich auf den Weddinger Stammplatz der Galerie in der Plantangenstraße 30 und eine Wohnung in der Meinekestraße 5, die für diese Ausstellung angemietet ist. Verbunden werden beide Orte über mehrere Arbeiten von Bjørn Melhus (*1966), die sich wiederum auf seine Videoarbeit Freedom & Independence (zu sehen in der Plantangenstraße) beziehen.
Grob skizziert zeigt Melhus in diesem Kurzfilm eine dystopische Vision eines radikalen Kapitalismus. Das neoliberale Versprechen monetäre Mittel und Marktfreiheit würden auch individuelle Freiheit garantieren, entpuppt sich zur tristen Monotonie entleerter Retortenstädte, wo die Menschen in Büros verschwinden und jeder Raum auf eine Funktion zugeschnitten ist. Sichtbar sind hier längst nicht mehr die Bewohner*innen. Allein die zwei Charaktere Freedom und Independence geistern durch die Stadt. Beide wurden in der vorhergehenden Sequenz aus dem Odem der Mutter des Kapitalismus geboren. Nun joggt das Paar durch die leeren Straßen, treibt an Geräten Sport oder fachsimpelt über die plane Architektur. Ihr blinder Aktivismus wirkt inmitten der verwaisten Wohnburgen surreal komisch. Allein ein Wachmann scheint ins Bild zu passen – bekanntlich muss Besitz beschützt werden. Grotesk wird sein Auftreten erst, wenn er in hoher Stimme „We`re in heaven. Why we`re in heaven?“ flüstert. Melhus, der selbst alle Rollen spielt, überlagert die Bilder mit einer Tonspur, die sich aus einzelnen Versatzstücken zu einem Dialog zusammensetzt. Teil der literarischen Stimmmontage sind auch Sätze Ayn Rands, die ab den 1950ern für einen uneingeschränkten Kapitalismus einstand. Melhus spielt sie als dominant-neurotische Prophetin.


Otto Muehl

Koba

1985

Öl auf Leinwand
140 x 130 cm
Courtesy Estate Otto Muehl, Ebensperger


Im Foyer der Meinekestraße werden die Besucher_innen durch ein Fotoporträt von Melhus als Ayn Rand und einen Film mit dem Wachmann begrüßt. Wie das Realwerden eines anarchistischen Traumes findet Melhus` Kapitalismuskritik in dieser hochherrschaftlichen 7-Zimmer Altbauwohnung am Ku´Damm Platz. Sicherlich lässt sich dieser Eindruck auch umdeuten: Dann wird die Anklage am kapitalistischen System zum kleidsamen Accessoire von Smalltalkrunden am Veuve Clicquot Buffet.
Prominentester Künstler der Ausstellung ist wohl Otto Muehl (1925 – 2013), dessen Werke in der Meinekestraße in fast allen Räumen gezeigt werden. Unter anderem ist er mit seinen Porträts politischer Anführer*innen vertreten. Das Doppelporträt von Stalin – als Revoluzzer Koba und Politiker Josef Stalin – wirft Fragen nach den möglichen Rollenbildern und ihren Freiheiten auf: Welche Identität verändert den Aggregatzustand von Freiheit? Welchen Einfluss hat unsere Performance und Fremdwahrnehmung auf unsere Ausdrucksmöglichkeiten?


Bruno Schleinstein
Ohne Titel untitled (archive#BS022)
1994
Collage, Kugelschreiber, Schreibmaschine auf Papier
30 x 21 cm
Courtesy Ebensperger, Delmes & Zander


Wenn eine Person diese Logik zu unterlaufen droht, wenn sie sich sozusagen frei von Konvention macht, läuft sie Gefahr, ihre Stimme zu verlieren. Als wahnhaft stigmatisiert, konnte sich wiederum Bruno Schleinstein (1932 – 2010) fernab von bestimmten Vorstellungen von Gesellschaft und Kunst etablieren und eine ganz eigene künstlerische Sprache finden. Mit unverstelltem Blick kommentiert er humorvoll Vorstellungen von Liebe und der vermeintlichen Ordnung des Lebens. Die Werke gewähren intimen Einblick in Schleinsteins gedanklichen Kosmos. Nichtsdestotrotz zeugen auch viele seiner Arbeiten auf kariertem Papier von dem Wunsch nach anatomischer Richtigkeit und implizit auch dem Wunsch nach Konvention. Dieses Hadern mit der Regelhaftigkeit wird im letzten Raum der Ausstellung beeindruckend und mit einfachsten Mitteln in Szene gesetzt. Ein schmales Gesims entlang der Wand dient als Marke zwischen seinen autodidaktischen Annäherungen an akademische Naturtreue und seinen visuellen und literarischen Montagen. Beide Aspekte machen deutlich, welche Möglichkeiten und Schwierigkeiten darin liegen, sich der gängigen Lesbarkeit zu entziehen.

Zu sehen sind in der Ausstellung auch überzeugende Werke von John Bock (*1965, mehrere 3-D Collagen), Heiner Franzen (*1961, Videos, z.B. waiting food) und anderen. All ihren künstlerischen Qualitäten zum Trotz wirkt der thematische Bezug zu der Ausstellung teils recht weitläufig. Auch die kuratorische Entscheidung beispielsweise Lea Draeger (*1980, rund 300 ihrer über 4.000 Päpste) mit Otto Muehl zu paaren, weckt hier den Eindruck einer verkaufsstrategischen Entscheidung. Spätestens an dem Punkt stößt man wieder auf den harten Boden: An einem kommerziellen Ort lässt sich das kapitalistische System nun mal nur eingeschränkt reflektieren.

Künstler*innen: John Bock, Jörg Buttgereit, Bonnie Camplin, Christeene, Lea Draeger, Tim Etchells, Heiner Franzen, Assaf Gruber, Yuki Jungesblut, Sandro Kopp, Bjørn Melhus, Otto Muehl, Hajnal Németh, Bruno Schleinstein

Freedom & Independence

14.11.–20.12.2020

Galerie Ebensperger
Plantagenstraße 30, 13347 Berlin
Meinekestraße 5, 10719 Berlin
Besuch nach terminlicher Vereinbarung: office@ebensperger.net / Tel. +49 30 46065821
ebensperger.net

Maximilian Wahlich

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