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Das Spiel mit den Gegensätzen: Gary Kuehn in der Galerie Michael Haas

von Urszula Usakowska-Wolff (19.12.2020)
vorher Abb. Das Spiel mit den Gegensätzen: Gary Kuehn in der Galerie Michael Haas

Gary Kuehn
The Appearance of Cul Gary Kuehn
Black Painting, 2010
Tusche und Acryl auf Leinwand, zweiteilig
99,5 x 76,5 cm, Courtesy Galerie Michael Haas


In der Ruhe liegt die Kraft: Dieser Eindruck drängt sich bei der Besichtigung der Ausstellung Leave No Stone Unturned von Gary Kuehn in der Galerie Michael Haas in Charlottenburg zuerst auf. Der US-amerikanische Künstler (* 1939 in Plainfield, New Jersey) ist ein begnadeter Zeichner, Maler und Bildhauer, der sich in seinem vielseitigen Werk mit der Beschaffenheit und den Eigenschaften des Materials auseinandersetzt, die Strenge der geometrischen Figuren durch Brüche, Verformungen, ein Nebeneinander von konkaven und konvexen Formen aufweicht und mit den Gegensätzen spielt. Seine Grafiken, Collagen und Gemälde, die auf den ersten Blick wie abstrakte, statische, in sich versunkene, minimalistische Arbeiten anmuten, entwickeln bei einer konzentrierten Betrachtung aus der Nähe eine starke räumliche Wirkung, scheinen sich von der Wand zu lösen, vibrieren vor den Augen wie kleine Kugeln. Mit einem durchsichtigen Geflecht aus Linien bedeckt, sehen sie wie Kokons aus. Seit Anfang der 1960er Jahre, als Gary Kuehn angetreten war, abseits von Minimal Art und dem Abstrakten Expressionismus sein eigenes Bildvokabular zu etablieren, gilt sein Interesse den Beziehungen zwischen Form und Material. In seiner Kunst bedient er sich konsequent der geometrischen Grundformen sowie der geometrischen Körper in Raum. Als gelernter Stahlarbeiter und Dachdecker, der auf diese Weise sein Studium der Kunstgeschichte an der Drew University in Madison und dann ab 1964 der Bildenden Kunst an der Rutgers State University in New Brunswick (beide in New Jersey) finanzierte, hat Gary Kuehn ein fundiertes Wissen über das Material und ein unglaubliches Gespür dafür. In vielen seinen Skulpturen bringt er handwerkliche und industrielle Stoffe: Holz, Stroh, Metall, Gips, Plexiglas und Polyester zusammen. Seine Objekte erzeugen eine Spannung, die physisch greifbar ist.


Gary Kuehn
Berliner Serie, 1979
Acryl und Grafit auf Leinwand auf Holz
95 x 183 cm, Courtesy Galerie Michael Haas


Schwarze Ovale auf weißem Grund

Nachdem die Galerie Michael Haas das Werk von Gary Kuehn 2009 und 2013 präsentiert hatte, zeigt sie jetzt eine repräsentative Auswahl seiner grafischen und skulpturalen Arbeiten, die sich langsam entfalten und eine verborgene Dynamik offenbaren. In der Ausstellung entsteht der Eindruck, sich durch einen Raum der Stille und Kontemplation zu bewegen - inmitten einer Kunst, die sehr geordnet, emotionslos und äußerst reduziert wirkt. Die Formate seiner Zeichnungen, Gemälde, Collagen und Plastiken haben ein menschliches Maß, man muss nicht zu ihnen aufblicken oder sich von ihnen überwältigt fühlen. Am Anfang der Schau hängt das siebenteilige Bild (2001) aus der Serie Black Painting, die Kuehn 1969 begonnen hat und bis heute fortführt. Es sind schwarze Ovale auf weißem Grund, vielleicht Variationen zu Malewitsch oder zum Thema Steine, denn die Ausstellung heißt ja Leave No Stone Unturned (Lass keinen Stein auf dem anderen). Zu sehen gibt es auch einige unbetitelte Zeichnungen aus dem Jahr 1969, die an Spinngewebe erinnern. In allen seinen Werkserien setzt der Künstler die Farbe (vor allem rot, grau, blau und gelb) sehr sparsam ein, was die dadurch entstehenden Kontraste hervorhebt. Ein Beispiel dafür ist die Berliner Serie, die während seines Aufenthalts als DAAD-Stipendiat in Berlin 1979 entstand und die auf den Konstruktivismus anzuspielen scheint. Abgesehen von den Zeichnungen und Skulpturen (darunter The Appearance of Culture, 1986), die vor Dynamik und Kraft strotzen, wirken die anderen, bereits erwähnten Serien sehr statisch. Dass das eine Täuschung ist, wird klar, wenn man unmittelbar davor steht. Da entwickeln die Schwarzen Bilder plötzlich eine beeindruckende, fast haptische Präsenz, sie beginnen sich zu bewegen, als versuchten sie, ihre Position zu wechseln, damit tatsächlich kein Stein auf dem anderen auf Dauer liegen bleibt.


Gary Kuehn
The Appearance of Culture, 1986
Holz, Stahl, Emaille
149 x 68 x 84 cm, Courtesy Galerie Michael Haas


Perfekt, stringent und konsequent

Gary Kuehn zeigt die Unbeweglichkeit der Dinge, die zuerst unbemerkbar und dann immer offensichtlicher aus ihrer Starre erwachen. Seine Kunst hebt Gegensätze auf und lässt sie zu einem sich stets verändernden Ganzen verschmelzen, das im selben Moment auseinanderdriftet, um sich dann wieder zu verbinden. Stillstand geht in Bewegung über, unter der kühlen Oberfläche entladen sich Gefühle, aus Chaos wird Ordnung und umgekehrt. Zum anderen hebt er die Grenzen zwischen den Genres auf. Seine Zeichnungen und viele seiner Gemälde sehen aus, als könnten daraus jederzeit Skulpturen oder Architekturen entstehen. Die Kunst ist eine Serie von Metamorphosen, auch wenn sie aus unspektakulären Formen und Materialien besteht. Gary Kuehns Arbeiten sind perfekt ausgeführt, bestechen durch Stringenz und Konsequenz, mit der er seine langfristig angelegten Projekte verfolgt. Disziplin und Ausschweifung, Begrenzung und Entgrenzung, Reduktion und Fülle bilden eine Einheit. Er spielt auch mit unseren Erwartungen hinsichtlich des Materials. Indem er zwei horizontal liegende Metallstangen in ihrer Mitte verdreht und verknotet, suggeriert der Künstler deren Geschmeidigkeit und Weichheit. Zugleich verwandelt er sie in ein seltsames viergliedriges Wesen, das nicht mehr einzeln zu existieren vermag. Das kann als Metapher der Verbundenheit, die zur Unfreiheit führt, verstanden werden. Gary Kuehn schafft ein Kunstuniversum, das zugleich einfach und komplex ist. Es gibt auch Werke, die von seinem Sinn für Humor zeugen. Dazu gehört die bereits zitierte Plastik The Appearance of Culture, bestehend aus einer in einem Balken steckenden Hacke, an deren Breitbahn ganz oben eine dorische Säule befestigt ist, die in der Luft zu schweben scheint. Die Kultur als eine Assemblage aus Handwerk und Bauwerk: Das sieht wirklich überzeugend aus.


Gary Kuehn
Middlesex, 2013
Ölpastell und Grafit auf Papier
50,9 x 63 cm, Courtesy Galerie Michael Haas


Eine große Entdeckung in der Ausstellung von Gary Kuehn sind seine meisterhaften Zeichnungen, vor allem die aus der Serie Middlesex (2013). Die sich zum Teil überlagernden blauen, gelben und roten Linien und Raster bilden eine pulsierende Spirale, die sich gleichzeitig schließt und öffnet und wie eine Mischung aus fliegendem Teppich und einer Rakete wirkt. Kunst zu machen ist eine eigene Art des Seins, die man selbst nicht hat – eine Befriedigung, die eine vollständige Erfahrung erst möglich macht. Kunst macht das Leben verständlich – Leben macht Kunst verständlich. Die erste Einstellung ist die des Künstlers, die zweite die des Betrachters: Dieses Zitat von Gary Kuehn trifft ins Schwarze.

Gary Kuehn
Leave No Stone Unturned

Galerie Michael Haas
Niebuhrstraße 5, 10629 Berlin
bis zum 19. Dezember 2020
Mo–Fr 9 – 18 Uhr, Sa 11 – 14 Uhr
und nach Vereinbarung
gallerymichaelhaas.com

Urszula Usakowska-Wolff

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Titel zum Thema Galerie Michael Haas:

Das Spiel mit den Gegensätzen: Gary Kuehn in der Galerie Michael Haas
Eigentlich wäre heute letzter Ausstellungstag gewesen, aber auch die Galerie Michael Haas hat geschlossen. Doch bleibt wenigstens unsere Besprechung, die einen guten Eindruck in das Werk von Gary Kuehn vermittelt.

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