19 Uhr: mit Anna Kokalanova: Inauguration Ceremony: School of Impermanence im Rahmen der Ausstellung "Ungovernable Ingredients". silent green Kulturquartier | Gerichtstraße 35 | 13347 Berlin
Diese Zeile aus Janis Joplins Song Mercedes Benz (1970) verselbständigt sich in Louise Bègue-Teissier und Romain Albers Arbeit The Benz. Das Werk ist Teil der Ausstellung (Non)Depleted im Weddinger gr_und, einem Projektraum für (kollaborative) Kunstausstellungen. Die Ausstellung, von einem jungen Team an Kurator*innen initiiert, fand bereits im letzten Jahr virtuell statt. Die ausgestellten Objekte changieren zwischen Kunst und Design, zwischen den Polen funktional – selbstständig, künstlich – natürlich und Objekt – lebendig.
Auch The Benz verweigert sich einer eindeutigen Zuordnung, es ist Kunstwerk und sakraler Gebrauchsgegenstand in einem. Aus mehreren Mercedes sind die einzelnen Fensterscheiben für The Benz zusammenmontiert. An Kirchenfenster erinnern die Fensterrahmen, die das das gläserne Werk wie Nähte durchziehen. Bestärkt wird die sakrale Aufladung von dem Licht, das von hinten in das Werk fällt.
Joplin polemisiert über unser Konsumverhalten und unseren Aberglauben an eine Lösung durch den Kapitalismus. Noch 50 Jahre nach Joplins Vers werden uns weiterhin Konsum und Kapitalismus als Losung verkauft. Im Zweifelsfall gilt es, „die“ Wirtschaft zu wahren. Trotz widrigster Umstände muss das Rad weiterlaufen und gerade jetzt hören wir Politiker*innen immer wieder besorgt von ihr reden. Doch wie schlecht steht es um „die“ Wirtschaft, wenn Gewinne erzielt werden? Zudem drängt sich die Frage auf, wie profitables Wirtschaften gelingt, während sich die globalen Katastrophen mehren. Der Trick ist, dass ständig neue Märkte erschlossen werden – im Klartext: Es werden Bereiche kapitalisiert, die der renditetreuen Logik bisher nicht verpflichtet waren. Darunter fällt zuvorderst die Natur, die seit geraumer Zeit mit ihren Rohstoffen unseren Wohlstand füttert. Dabei dörren wir die Natur allmählich bis zur Erschöpfung aus. Ein Kollaps wird befürchtet, wenn alle Märkte einmal ausgeschöpft und noch der letzte Winkel verkauft ist.
Doch keine Sorge, es gibt Lücken: Zentral im Ausstellungsraum liegt ein Stück Rasen. Die Besuchenden können sich dort hinlegen. An die Decke projiziert ist ein QR-Code, der zu einer Website zum Verkauf von Wolken führt. Wie in einer richtigen Ratingagentur bemisst sich der Wert einer Wolke nach ihrer Größe, prognostiziertem Hoch- und Tiefdruck, der Flughöhe und der Art ihrer Beschaffenheit. Und tatsächlich sind die Wolken zu kaufen. Eine Wolke kostet zwischen 10 und 50 Euro. Die Künstlerin Noa Jansma parodiert mit ihrer Arbeit Buy Cloud unseren ausbeuterischen Umgang mit der Umwelt und treibt die spekulative Geschäftemacherei gewitzt auf die Spitze.
Unser immer schneller drehendes System führt zum Zusammenbruch. Immer mehr Haushalte, immer mehr Ansprüche häufen sich zu Kubikkilometern Müll. Unsere Häuser sind verpackt in Styropor und Isoliermaterial. Darunter verrotten und schimmeln sie, fangen an zu stinken. In unserem zivilisatorischen Fortschritt scheinen wir langsam zu ersticken.
Wie oben wird wiedermal ein Ausweg aufzeigt: Der Mehlwurm. Stets hungrig frisst er sich nicht nur durch das steife Styropor, er vermag aus dem weißen widerspenstigen Zeug sogar Zucker zu erzeugen. Diesen Verwandlungsprozess erforscht Yana Zschiedrich in ihrer Arbeit Hybris. Man möchte für reine Alchemie halten, was in dem mobilen Laboratorium aus Alu-Kästen, Schläuchen und Maschinen geschieht. Damit wir es glauben, sehen wir durch einen große Scheibe tausenden von Mehlwürmern bei der Zersetzung zu. Am Ende der Kette liegen fein abgepackt die produzierten Zuckerstäbe. Als Metaebene befragt die Arbeit einmal mehr unseren Umgang zu Tieren. Noch nutzen wir den Mehlwurm aus, doch wird dieses Verhältnis bei Zunahme von Müll und gefräßigen Mehlwürmern sicherlich noch kippen.
Mit der Gewissheit, im schlimmsten Fall stillt zumindest der Mehlwurm seinen Appetit, können wir uns vorerst beruhigen. Gut, dass sich während der Pandemie das Tempo verlangsamt hat. Manche Leute eroberten in der Zeit das brandenburgische Umland für sich, andere gingen permanent spazieren und einige haben ihre häusliche Ader entdeckt. Diese Zeit der Isolation nutzen Barry Llewellyn und Sarah Roseman zum Entwerfen ihres Mobiliars Fluid Furniture, einer Lampe und einem Stuhl, die sie aus dem Material einer ehemaligen Couch gewonnen haben. Re- und Upcycling werden zum modus operandi. Die neuen Funktionsweisen der Objekte – von der Couch zur Lampe mit Stuhl, vom Autofenster zum Kirchenfenster – eröffnen neue Sinnebenen. Und gerade dieser fluide Ebenenwechsel mag irritieren. Fragend stehen wir vor einem Objekt, unklar ob Lampe oder natürliches Gestein, unklar ob Kunstwerk oder Gebrauchsgegenstand. Hier wäre es an manchen Stellen sicher gut die Besuchenden zu unterstützen, ihnen vielleicht eine ganz konkrete und auf das Objekt bezogene Deutung an die Hand zu geben.
Künstler*innen und Designer*innen: Barry Llewellyn, Blast Studio, Davide Piscitelli, Delphine Lejeune, Esteban Gomez, Filip Samuel Berg, Isabel Cavenecia, Kajsa Melchior, Louise Bègue-Teissier, Lukas Stoever, Merle Ibach, Noa Jansma, Patrick Salz, Paul Heinicker, Paulo Arraiano, Rollo Bryant, Romain Albers, Sarah Roseman, Shyamala Maisondieu, Vincent Snijders, Yana Zschiedrich
(Das Projekt wurde ermöglicht durch die Unterstützung der Botschaft des Königreichs der Niederlande mit Sitz in Berlin. Zudem ist die Ausstellung Teil des ersten Wochenendes der Berlin Design Week vom 27.05–30.05.2021.)
(Non)Depleted
16.04–30.05.2021 (Anmeldung erforderlich)
Gr_und
Seestraße 49
13347 Wedding Berlin
nondepleted.net
gr-und.com
Titel zum Thema (Non)Depleted :
Oh lord, won´t you buy me a Mercedes Benz
Dieses Wochenende bietet sich die letzte Gelegenheit für (Non)Depleted im Weddinger gr_und, einem Projektraum für (kollaborative) Kunstausstellungen.
Galerie Alte Schule im Kulturzentrum Adlershof
Galerie Parterre
Galerie Johannisthal
a.i.p. project - artists in progress
Kommunale Galerie Berlin