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queer, von hinten aufgerollt. Ashley Hans Scheirl in der Galerie Crone

von Maximilian Wahlich (20.06.2021)
vorher Abb. queer, von hinten aufgerollt. Ashley Hans Scheirl in der Galerie Crone

Photo: Uwe Walter, Berlin / Courtesy: Galerie Crone, Berlin Wien

Derzeit sind in der Berliner Dependance der Galerie Crone Gemälde, Zeichnungen und eine Figur der Künstler*in Ashley Hans Scheirl zu sehen. Titel der Ausstellung ist: Currencies of De* Capital Delirium
Als queere Person, die sich einer geschlechtlichen Zuschreibung entzieht, rollt Ashley Hans Scheirl inhaltlich mit binären Ordnungen auf. Das geschieht insbesondere durch einen theoretischen Appendix, von Jean-François Lyotard bis Donna Haraway. Scheirl geht es um einen postmodernen Identitätsbegriff. Dieser meint Pluralismus, der einer bipolaren Teilung fern steht. Wie das aussähe, steht noch zur Disposition, jedenfalls wird der Begriff nicht mehr zwischen zwei Kategorien ausgelotet (Wenig/Minus/Negativ und Viel/Plus/Positiv). Damit ist er, streng genommen, nicht bloß plural, sondern im steten Wandel abseits bekannter Logikmuster befindlich.


Photo: Uwe Walter, Berlin / Courtesy: Galerie Crone, Berlin Wien

Entgegen der vorgegebenen Raumanordnung, scheint es empfehlenswert, die Ausstellung aus dem Hinterzimmer heraus zu beginnen. Hier hängen, ein wenig zu brav aneinandergereiht, Scheirls grafische Arbeiten. Die Motive sind träumerisch und zart gemalt, ohne wegzuschweben. Sie behaupten vielmehr wortwörtlich bissigen Humor. Das Papier ist beige, darauf bewegen sich ambivalente Gebilde zwischen Wolke und Knochen. Diese weißen und blassrosa Formen sind benachbart von mandelförmigen Ovalen in braun und rötlichen Linien als Fontänen. Manchmal türmt sich eine rote Horizontlinie auf und immer wieder erscheint eine schwarze Schlangenlinie. Mittendrin gebleckte Zähne. Ob sie lachen oder beißen, manchmal sind sie nackt bis aufs Bein, darauf appliziert lockt sich ein strähniger Bart. Die Werke beschreiben eine Traumwelt. Dabei werden kleinste Objekte zu Stellvertretern von etwas Größerem: ein Pixel steht für die Welt, ein Körperteil für den ganzen Leib. Und so ist auch die Mundhöhle das Körperliche an den Motiven, sie ist Eingang, Schleuse zum Inneren. Dort wird es organisch. Im Übergang treten fleischig runde Lippen, sattrotes Zahnfleisch und eine feste Zunge nach außen. Es beginnt eine Verwandlung. Unser Körper, von Puder weich gezeichnet, transformiert sich zum harten Knochengerüst. Ein Prozess, permanent und anhaltend. Dieser invertiert sich selbst und schreibt sich fortlaufend neu. Diese Dialektik entzieht sich den üblichen Interpretationen und ist nur eine mögliche Lesart jener Kunst. Die Bildwelten erzählen vom Inneren, damit sind die Betrachter*innen zur Interpretation eingeladen, das Ich kann sprechen – von der Eigen- und Fremdwahrnehmung des Körpers.


Photo: Uwe Walter, Berlin / Courtesy: Galerie Crone, Berlin Wien

Die Zeichnungen bringen Ashley Hans Scheirls Werk auf leichtfüßige Weise auf den Punkt. Sie hätten den vorderen Platz in den ersten beiden Schauräumen einnehmen sollen. So aber hängen dort großformatige Gemälde. Hier wurde investiert, der Bodenbelag wurde angepasst und Wände sind farbig. Im ersten Raum hängen die Gemälde vor einer Fototapete, aufgedruckt sind vergrößerte Ausschnitte der Motive. Dabei ist der Fond nicht bloße Effekthascherei, das Motiv beeinflusst auch die Hängung. Beispielsweise befindet sich auf dem Gemälde Tempest eine Art Perücke. Vergrößert als Fototapete fängt ihre Locke gleich zwei weitere Gemälde auf. So greifen die Werke raumgreifend ineinander.
Eine weitere Werkgruppe umfasst kleinere Formate. Die Konturen der blaugrauen Porträts sind verschwommen. Darauf liegen Stoffe, wohl aus Seide, in warmen Tönen mit ziseliertem Ornament. Der Kontrast ist hart zu den verwaschenen Köpfen.

Blau ist dann auch der Übergang zum zweiten Raum. Himmelblau sind hier Wand und Bildhintergrund. Die Motive scheinen aus der Wand zu wachsen. Diese Werke könnten anstoßen, weil sie Fäkalien, Geschlechtsteile und andere Objekte auf einer Leinwand versammeln. Doch verfremden sie das Dargestellte, sterilisieren es und lassen das Sammelsurium frei im hellblauen Raum schweben. Wie bei der Werbung sind die Motive nicht mehr obszön, sie verwandeln sich ins Gegenteil – werden zur Ware und damit zur ökonomischen Kategorie und preisen den Konsum womöglich als befremdlichen Fetisch?


Photo: Uwe Walter, Berlin / Courtesy: Galerie Crone, Berlin Wien

Im ständigen Prozess befindlich, vom Leiblichen zum Öffentlichen. Aufgreifen könnte das eine Ausstellung, die ihre Hängung laufend ändert oder durch einen Rundgang, der hinten anfängt. Eine Präsentation, die nicht die Gemälde zuvorderst sprechen lässt, wäre mutig gewesen. Doch hier sind die Gemälde noch immer der Haupttext und die Zeichnungen sind eine Anmerkung, allenfalls ein Nebensatz.
Dabei möchte doch die unerhörte Stimme vernommen werden. Und die kleine Geschichte sollte unterstrichen werden und Anstoß für die Transformation geben. Daher der Tipp: Das Ganze mal von hinten aufrollen.

ASHLEY HANS SCHEIRL
Currencies of De* Capital Delirium
bis 20. Juni 2021
Öffnungszeiten: Di–Sa 12 Uhr–18 Uhr (Anmeldung erforderlich)

C R O N E   B E R L I N
Fasanenstrasse 29
10719 Berlin
Tel  +49-30-62 93 99 95
info[at]galeriecrone.de

www.galeriecrone.com

Maximilian Wahlich

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