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Podiumsdiskussion: KOLOT – Stimmen

18:30 Uhr: Perspektiven auf den 7. Oktober W. Michael Blumenthal Akademie | Fromet-und-Moses-Mendelssohn-Platz 1 | 10969 Berlin

중 Focus South Korea - Blick von innen, Blick von außen

von Hanna Komornitzyk (21.08.2021)
vorher Abb. 중 Focus South Korea - Blick von innen, Blick von außen

kate-hers RHEE, Seven Sisters and the Lost Daughter, 2019, courtesy Projektraum MeinBlau

Scheinwerfer, Stille, Schönheitsideale: Fünf künstlerische Positionen befassen sich im Projektraum MEINBLAU unter dem Titel “중 Focus South Korea” noch bis zum 22. August 2021 mit der Republik Korea und spielen über den Blick von innen mit eurozentristisch geprägten Stereotypen.

Eine leuchtende, beständig die Farbe wechselnde Installation im Eingangsbereich des zweistöckigen Projektraums lenkt den Blick subtil auf sich: Dreizehn längliche Korbstrukturen hängen einer Treppe gleich auf unterschiedlicher Höhe von der Decke. Sie sind von bunten Lichterketten durchzogen und tragen Schirmmützen. In ihrem Zentrum ist am Boden ein runder Spiegel installiert, auf dem ein rotes Paar Schuhe platziert ist. Die Arbeit Seven Sisters and the Lost Daughter (2019) der interdisziplinären Künstlerin kate-hers RHEE ist nicht grell, sondern nachdenklich und still. Anhand eines im ostasiatischen Raum alltäglichen Haushaltgegenstands erzählt sie eine Geschichte aus der griechische Mythologie: Jukbuin (dt. “Bambusfrauen”) sind aus Bambus geflochtene Kissen, die mit ins Bett genommen und im Schlaf umarmt werden – durch die Zirkulation frischer Luft sorgen sie in heißen Nächten für Abkühlung. In der Installation repräsentieren sie die sieben Töchter des Titanen Atlas und der Okeanide Pleione: Als jungfräuliche Gefährtinnen sollten die Plejaden der Göttin Artemis dienen, wurden aber von Orion so lange gejagt, bis sie schließlich in Tauben verwandelt zum Himmel flogen und sich zu dem nach ihnen benannten Sternbild formierten. Die Zahl Dreizehn ist von kate-hers RHEE bewusst gewählt, denn die europäische Erzählung der sieben Schwestern unterscheidet sich von der ostasiatischen: Die vierzehnte Schwester fehlt in der Installation und ist nur in der Spiegelung am Boden zu sehen. Einer Version der Geschichte nach wurde sie von Orion vergewaltigt und ermordet. Sie steht für die rund 200.000 Frauen, die während der Kolonialzeit im Zweiten Weltkrieg als sogenannte Trostfrauen nach Japan verschleppt und zur Prostitution gezwungen wurden – ein Teil unserer eigenen Geschichte, der im deutschsprachigen Raum wie auch ganz Europa nur wenig sichtbar ist. Erst zu Beginn des Jahres 2021 konnte ein südkoreanisches Gericht in Japan in einer Zivilklage zu Entschädigungszahlungen für das Kriegsverbrechen verurteilen.


Raumansicht: links: Eric Strelow, mittig: kate-hers RHEE rechts: Florian Bong-Kil Grosse, courtesy Projektraum MeinBlau

Wie bei allen fünf Positionen der Ausstellung 중 Focus South Korea ist der Blick auf die Republik und das Bild, das von ihr gezeichnet wird, auch bei kate-hers RHEE vielschichtig. In kleinen Details werden eurozentristische Erwartungshaltungen abgefangen und sichtbar gemacht: Die Bambusfrauen tragen Schirmmützen in Anlehnung an die vom Kult ewiger Jugend eingenommenen weiblichen Bevölkerung Südkoreas, die sich vor direkter Sonneneinstrahlung zu schützen weiß. Es sind Details wie diese, die aus europäischer Sicht oft als befremdlich belächelt und verniedlicht werden, weil sie uns vermeintlich fremde (Schönheits)ideale repräsentieren. Indem wir diese als anders definieren, grenzen wir uns von ihnen ab, fühlen uns über sie erhaben – und bestätigen so immer noch tief verankerte koloniale Hierarchien und Denkmuster. Eine entlarvend überhebliche Einstellung, denn der patriarchal geprägte Schönheitskult ist auch hier fortwährend präsent – ob in den Sonnenbrillen, die nach einer Augen-OP getragen werden, oder in den andauernden Diskursen über Erscheinungsbilder von Politikerinnen. Auch eine westliche Gesellschaft ist weit davon entfernt, Frauen abseits ihres Körpers zu definieren. Nach wie vor gilt es als sozialer Erfolg, sich makellos und für Männer begehrenswert zu präsentieren – mit welchen Mitteln dieser Status aufrecht erhalten wird, darf jedoch nach außen nicht sichtbar sein.


Florian Bong-Kil Grosse, People and Papers, 2018, courtesy Projektraum MeinBlau

Auch Florian Bong-Kil Grosses Serie People and Papers (2018) spielt wortwörtlich mit dem Blick von oben herab: Die 50 Fotografien in Schwarz-Weiß sind wie ein Mosaik zu einem Bild angeordnet. Auf ihnen sind Menschen aus der Ferne zu sehen. Ihre Umrissen wirken leicht schemenhaft, der Hintergrund fast einfarbig – als hätte sie Edward Hopper gemalt. Die Menschen sind, unterstrichen durch ihren Schlagschatten, im Gehen oder Stehen aus dem immer gleichen Winkel festgehalten, der Betrachtende in die Vogelperspektive versetzt. Was die Bilder vereint, ist die Zeitung in den Händen der Portraitierten: Die Reihe entstand auf einer Pferderennbahn nahe Seouls, wo mit der Eintrittskarte meist auch ein Wettmagazin gekauft wird – in Südkorea ein Volkssport gerade unter Männern mittleren Alters. Ihrem Kontext entrissen und zu einem neuen zusammengesetzt wirken die Aufnahmen weniger wie skurrile Alltagsszenen einer uns fremden Kultur, sondern wie Studien der Ästhetik menschlicher Gesten in einem anonymen wie urbanen Raum. Der Blick von außen richtet sich hier nicht auf das vermeintlich Fremde, sondern auf das durch und durch Humane. Die zweite gezeigte Fotoreihe dérive (2018) befasst sich ebenfalls mit Betrachtungen urbanen Lebens: Die Bilder von Eric Strelow sind wie Stillleben inszeniert. Sie zeigen das dichte Beieinander von Alt und Neu in den Städten Seoul und Daegu. Eine ältere Dame bei der Pflege ihres Dachgartens vor einer Hochhauskulisse. Eine Seitenstraße mit endlosen Verstrickungen von Leitungs- und Stromkabeln bei Nacht, die lediglich von der Leuchtreklame einer nahen Hauptstraße in ein bläuliches Licht getaucht ist. Eine winzige, fensterlose Parzelle neben einer Autowerkstatt, die einem Menschen als Arbeitsplatz zu dienen scheint. Nur auf wenigen der Fotografien sind Personen zu sehen – der Blick liegt bewusst auf dem, was in der Abwesenheit des Menschen zurückbleibt. Auch wenn sie ein klischeehaftes Motiv aufgreift, richtet sich die Reihe so bewusst gegen die immer gleichen Szenen scheinbar anonymer Menschenmassen in ostasiatischen Großstädten.


Taewoo Kang, Be_wegung, 2020/21, courtesy Projektraum MeinBlau

Der Gemäldezyklus Be_wegung (2020/21) von Taewoo Kang fasst das der koreanischen Philosophie inhärente Streben nach Ganzheitlichkeit in eine europäische Maltradition und verschiebt so den Fokus: Das Wort 중 spielt in der koreanischen Sprache eine zentrale Rolle. Übersetzt bedeutet es so viel wie “Mitte”, wird aber nur in Kombinationen mit anderen Worten verwendet. Die Mitte repräsentiert in der koreanischen Malerei die Gegenwart und stellt einen Punkt auf einer vertikal verlaufenden Zeitachse da: Von unten nach oben bewegt sich der Blick von der Vergangenheit in die Zukunft. Nicht nur wird so eine klare Handlung – und somit Bewegung – auf nur einem Bild sichtbar, sondern auch die Wahrnehmung Betrachtender verändert. Der aus der westlichen Maltradition erlernte Blick von links nach rechts zu einem einzigen Bildpunkt ist hier wirkungslos. Nur wer das Gemalte von unten nach oben liest, kann seine Handlung nachvollziehen. Der thematische Kreis schließt sich mit Medienkünstlerin Kahee Jeong, die sich in Grandmother/Heirloom (2015) mit der Geschichte nicht nur ihrer eigenen Großmutter, sondern der einer ganzen Generation von koreanischen Frauen auseinandersetzt. Die Skulptur vor der Filmleinwand ist Ausgangspunkt für Kahee Jeongs Arbeit: In Porzellan gegossen repräsentiert sie eine kurze Sequenz aus der gemessenen Hirnaktivität ihrer Großmutter, die selbst nicht über ihre Vergangenheit spricht. Um der Deportation und Zwangsprostitution zu entgehen wurde sie verheiratet, später gemeinsam mit ihrem Ehemann der kommunistischen Spionage bezichtigt. In ihrem Film nähert sich Kahee Jeong ihrer Familiengeschichte von außen. Gerade durch die Distanz und das Schweigen der Großmutter gelingt es ihr, ein Monument der Zeitzeug:innenschaft für einen wenig erzählten Teil des zweiten Weltkriegs zu schaffen.


Kahee Jeong, Grandmother/Heirloom, 2015, courtesy Projektraum MeinBlau

Die Ausstellung 중 Focus South Korea ist subtil und wenig moralisierend. Wie von selbst ergeben sich in der Interaktion mit den einzelnen, fein aufeinander abgestimmten Positionen neue Betrachtungsweisen und Blickwinkel. Westliche Betrachtende finden sich hier mitunter ignorant, aber niemals ermahnt wieder. Vielmehr geht es in allen Arbeiten um eine Annäherung, um die Wertschätzung einer Kultur als uns nicht fern, sondern menschlich – verbunden mit der versteckten Aufforderung, sich von westlicher Beobachtungshoheit gelegentlich in die Handlung selbst zu begeben.


중 Focus South Korea
Laufzeit: 31. Juli bis 22. August 2021

Öffnungszeiten: Donnerstag bis Sonntag, 14:00 bis 19:00 Uhr

Meinblau Projektraum
Christinenstraße 18/19
10119 Berlin

Hanna Komornitzyk

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