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Stunde Null als Neuanfang = Ende Neu im Kindl – Zentrum für zeitgenössische Kunst

von Maximilian Wahlich (03.02.2022)
vorher Abb. Stunde Null als Neuanfang = Ende Neu im Kindl – Zentrum für zeitgenössische Kunst

Installationsansicht: Maschinenhaus M1, KINDL – Zentrum für zeitgenössische Kunst, Berlin
Foto: Jens Ziehe, 2021
© Bastian Hoffmann / Michael Sailstorfer / VG Bild-Kunst, Bonn, 2021
vorne nach hinten:
Bastian Hoffmann, Ohne Titel, 2014
Michael Sailstorfer, I want you, 2021
Bastian Hoffmann, Sheet of Paper – Shoes, 2019


Die Zerstörung ist vollbracht. Das Haus ist kaputt, das Bild zerhackt und unsere Werte stehen auf dem Kopf. Chaos, Destruktion und drumherum ... Ungewissheit. Das Ende ist da. Die Demolierung liegt hinter uns – und wir? Wir stehen hier in den großzügigen Räumen einer ehemaligen Brauerei im 2. Stock mit Blick über Neuköllns Dächer.
Die Ausstellung Ende Neu will keine apokalyptische Vorausschau sein. Immerhin, so das Versprechen der Kurator*innen, birgt der desaströse Abschluss auch Hoffnung auf nachfolgende Neuerungen. Nach der Tabula rasa richten wir uns wieder ein und diesmal machen wir´s besser!

Bereits im Fahrstuhl irritiert eine freundlich fröhliche Melodie. Sie summt vergnügt und soll den Kunstraum mit dem Außen verbinden. Die Klanginstallation von Soshi Matsunobe erscheint vor dem Hintergrund einer Katastrophe defätistisch und geradezu ignorant optimistisch. Es sei denn, man denkt an Samuel Becketts Flöhe. Sie zirpen nach dem vollständigen Outbreak ihr Lied und sind an Groteske kaum zu überbieten. Das vorläufige Ende kann auch ein Abriss sein. Gleich im ersten Raum dokumentiert die Videoarbeit von Michael Sailstorfer wie das aussehen könnte: Riesige Tränen fallen oder sinken auf ein Haus hinab. Das Gebäude wird dabei vollständig zerschmettert. Ihre Form gleicht Bojen, sie sind fest und nach dem Aufprall unverändert rund. Sie scheinen unzerstörbar – und sollten es die Tränen nach einem Verlust sein, so ist die Trauer allemal langlebiger als all unser Besitz.


Installationsansicht: Maschinenhaus M1, KINDL – Zentrum für zeitgenössische Kunst, Berlin
Foto: Jens Ziehe, 2021, © Bastian Hoffmann / VG Bild-Kunst, Bonn, 2021
vorne nach hinten:
Katja Aufleger, NEWTON’S CRADLE, 2013 / 2020
Bastian Hoffmann, Ohne Titel, 2014
Renaud Regnery, Half Moon – CVB1, 2014


Zerstört wird das Hab und Gut unter anderem auch von Protesten und mutwilligem Aktionismus, beispielsweise im Namen sozialer Ungerechtigkeit. So laden Katja Auflegers acht Parfumflacons, verfremdet als Molotowcocktail, samt Feuerzeuge zur direkten Tat ein. Sollten wir es austesten und auch hier etwas kaputt machen? Lieber nicht. Denn in unmittelbarer Nähe befinden sich drei medizinballgroße Kugeln, angeblich gefüllt mit Nitroglyzerin. Explodiert nur eine davon, wären wir nicht mehr da.
Die drei Kugeln hängen mittig im zweiten Raum. Hier befinden sich noch Kunstwerke von Angela de la Cruz und Nicola Samorì. Thematisch ließe sich der Raum zweifelsfrei mit Auslöschung, Vernichtung und Chaos beschreiben. Samorì malte klassisch anmutende Porträts, die er dann in kraftvoller Geste wieder annullierte. Die wertvoll scheinende Ästhetik und der enorme Aufwand, ein solches Bild zu malen, werden vollkommen zersetzt.


Installationsansicht: Maschinenhaus M1, KINDL – Zentrum für zeitgenössische Kunst, Berlin
Foto: Jens Ziehe, 2021
v. l. n. r. / left to right
Nicola Samorì, Aperto (Il bene di Paolo), 2015
Nicola Samorì, Pietra penitente, 2016
Nicola Samorì, Lingua greca, 2017
Nicola Samorì, Dogma, 2017


Rein technisch erinnern seine Werke an „Erased de Kooning“ von Robert Rauschenberg (1953). Auch Samorì nimmt den Gemälden und damit den Gesichtern ihre Oberfläche. Er schabt die Farbschichten ab oder – besonders eindrucksvoll – geht auf den hölzernen Bildgrund und kratzt eine richtige Kerbe in das Holz. Und bei ihrer Büste schauen wir in ein großes Loch. Der Kopf ist gesichtslos, die Person erscheint ausgelöscht. Das Gesicht, das Wesentliche einer Büste fehlt. Ist sie trotz des teuren Materials Onyx, nun wertlos, ein Hohlkörper? Und könnte nicht genau in diesem leeren Schädel wieder etwas Neues entstehen – nach der Stunde Null folgt der Neubeginn. Hieß es nicht so?
Aber zurück zum Eigentlichen der Ausstellung: Chaos ist bereits die erste Ahnung der kommenden Zerstörung ... Und so werden Gegenstände von de la Cruz in wilder Unordnung gestapelt. Ein Schrankmonstrum, zusammengesetzt aus vielen anderen Schränken und Brettern und Latten und Teilen und Dingen, wird von einem Seil festgehalten. Das Möbel mahnt, dass das Ende mit dem Verlust der Kontrolle anfing.


Installationsansicht Maschinenhaus M1, KINDL – Zentrum für zeitgenössische Kunst, Berlin
Foto: Jens Ziehe, 2021
© Michael Sailstorfer / VG Bild-Kunst, Bonn, 2021
Michael Sailstorfer, I want you, 2021


Im letzten Raum scheint der Fokus der Ausstellung etwas auszufransen. Wird hier bereits wieder aufgebaut? Richten wir uns wieder ein? Die Tapeten wurden jedenfalls schon von Renaud Regnery ausgewählt, auf großen Leinwänden vergrößert, überlagert und neu zusammengestellt. Gleich daneben zeigt uns Bastian Hoffmann, wie wir Papier aus alternativen Materialien herstellen können. So wird aus Schuhsohlen ein Papieräquivalent zusammengematscht und als Exempel sogar an die Wand gehängt. Das do it yourself-Tutorial dazu ist über den Fernseher zu sehen.
Zentral im Raum befindet sich ein etwa 5 Meter langer Mauerblock. Uneins, ob er fällt oder sich aufrichtet, zeugt er entweder vom Niedergang oder einem Aufschwung. Ich tippe auf den Neubeginn, Wandverkleidung und Papierersatz sind ja schließlich wieder vorhanden. Die Mauer wird zur ersten der sprichwörtlichen vier Wände. Mit Michael Sailstorfer werden werden wir häuslich und bohren direkt ein Loch in die Wand, mit ausgestrecktem Finger, wie ein Weckruf. Auch bekannt als „I want you for U.S. Army“, ist es hier eher ein Fingerzeig auf die brennende Frage, ob es jetzt besser wird?
Wohl kaum, denn: Trotz der Ahnung einer Sintflut wird nicht gegengesteuert. Das Werk von Caterina Gobbi lässt das stete und unaufhörliche Gletscherschmelzen hören. Die Katastrophe wird mit offenen Augen empfangen – doch immerhin können wir die einbrechende Welle von hier oben über den Dächern der Stadt gut sehen. Ob wir uns auch in Sicherheit bringen können, sei dahingestellt.

Künstler*innen: Katja Aufleger, Angela de la Cruz, Caterina Gobbi, Bastian Hoffmann, Soshi Matsunobe, Renaud Regnery, Michael Sailstorfer, Nicola Samorì

Kurator*innen: Magdalena Mai und Manuel Kirsch

Ende Neu
29. August 2021 – 6. Februar 2022
KINDL – Zentrum für zeitgenössische Kunst
Am Sudhaus 3, 12053 Berlin
Maschinenhaus M1
www.kindl-berlin.de


Maximilian Wahlich

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