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Abgestoßene Anziehung

von Maximilian Wahlich (12.12.2021)
vorher Abb. Abgestoßene Anziehung

Marta de Menezes+Luís Graça at Anti-Marta, 2018, © Marta de Menezes und Luís Graça, Foto: Tim Deussen 2021

Innerhalb der Berliner Kunstszene ist die Kunst- und Forschungsplattform Art Laboratory Berlin schon seit Jahren ein fester Begriff, wenn es um den interdisziplinären Austausch zwischen Kunst und Wissenschaft geht. So auch bei dem aktuellen Ausstellungsprojekt Paired Immunity, in dessen Rahmen die Bio-Art Künstlerin Marta de Menezes und ihr Partner, der Immunologe Luís Graça die beiden Werke Anti-Marta (2018) und Immortality for Two (2014) zeigen.


Marta de Menezes/Luís Graça, Anti-Marta, 2018, © Marta de Menezes und Luís Graça, Foto: Tim Deussen 2021

Für ihre Installation Anti-Marta, die in einer engen Verschmelzung von Wissenschaft und Kunst die Grenzen der menschlichen Individualität thematisiert, unterzog sich das Paar 2018 einer kleinen Operation. Sie ließen sich jeweils zwei kreisförmige Hautfragmente am Unterarm entfernen. Danach erhielt jeder der beiden im Austausch ein eigenes und fremdes Hautstück transplantiert.
Die OP lässt sich in der Zwei-Kanal Videoarbeit detailliert nachverfolgen. Parallel dazu wird der Eingriff auf einen Tisch im Ausstellungsraum projiziert. So werden die Besuchenden - sofern sie ihren Arm an die Stelle auf den Tisch legen - fiktiv in das Geschehen einbezogen. Interessiert hat das Paar jedoch nicht allein die körperliche Erfahrung und ihre immersive Übertragung. Sie wollten wissen, wie diese Hauttransplantation von ihren beiden Körpern angenommen oder abgestoßen wird. Und tatsächlich wurde Luís Graça Haut auf Marta de Menezes Oberarm schneller abgestoßen als ihre Haut auf Luis' Arm. Mit einem Augenzwinkern erklärt Luís Graça, dies sei der sicherste Beleg dafür, dass Marta de Menezes` Kinder von ihm seien, da ihr Körper bereits mit seinem genetischen Material gearbeitet hat. Somit bildete sich auf ihrem Oberarm ein kaum mehr erkenntlicher Kreis ab und eine leicht fleckige Fläche, wo die transplantierte Haut erst erkannt werden und verwachsen musste. So begegnen sich hier nicht nur Kunst und Wissenschaft, sondern eben auch zwei Individuen geeint als Paar und dennoch einzigartig.


Marta de Menezes/Luís Graça, Immortality for Two, 2014, © Marta de Menezes und Luís Graça, Foto: Tim Deussen 2021

Das zweite Werk Immortality for Two (2014) im hinteren Raum befasst sich mit einem ähnlich faszinierenden, jedoch komplexeren Experiment. Marta de Menezes und Luís Graça entwickelten aus dem Blut des jeweils anderen Immunzellen, die sie dann wiederum durch das Einschleusen von Onko-Viren (als virale Vektoren) verändert und damit "unsterblich" gemacht haben (vgl. "Immortal cell lines").
In der Ausstellung schwimmen die lebenden Immunzellen in einer Flüssigkeit in zwei kleinen Laborbehältern an den Enden eines großen Tisches. Jene, die von den Onkoviren durchdrungen werden, leben weiter (durch Zellteilung), die anderen sterben ab. Über eine aufwendige Technologie mit Mikroskop, Kamera und Projektor werden die Zellen sichtbar und vergrößert auf die Tischfläche übertragen. Ihre langsamen Bewegungen, das leichte Zittern bei Berührung des Tisches verdeutlichen einmal mehr, dass es hier um einen lebendigen Organismus geht.
Darüber hinaus haben die Zellen ihren ästhetischen Eigenwert und erinnern an das Spiel biomorpher Formen auf abstrakten Gemälden ebenso wie an Aquarelle des action painting oder auch an Tapetenmuster. Die vielfältigen Assoziationen bleiben offen und werden von dem Duo nicht vorgeschrieben oder zum konzeptuellen Bestandteil. Dass ihr Ergebnis schön anzusehen ist, zeugt wohl schlicht vom Wunder des Lebens.


Marta de Menezes/Luís Graça, Immortality for Two, 2014, © Marta de Menezes und Luís Graça, Foto: Tim Deussen 2021

Teil ihres Konzepts sind hingegen die biochemischen Eigenschaften dieser Zellen: Sie sind bösartig, weil sie endlos wachsen und nicht sterben. Und gerade deswegen stellen sie eine Gefahr dar. Ihr Charakter ist ambig, da sie Leben zerstören und gleichzeitig unsterblich sind, was wir gemeinhin mit Übermenschlichkeit, gar Göttlichkeit, verbinden. Ebenso fasziniert, dass diese Zellen trotz ihrer fatalen Folge für den eigenen Körper noch immer als Abwehr gegenüber anderen Körpern funktionieren. Exemplarisch erklärt, würde Marta de Menezes veränderte Immunzelle ihr selbst schaden. Da diese Zelle aber noch immer ihre eigentliche Aufgabe erfüllt, nämlich andere, schädliche Zellen zu vernichten, würde sie auch Luís Graça Zellen bekämpfen. Und das gleiche gilt vice versa. Daher sind die Zellen in zwei getrennten Behältern aufbewahrt und können sich nur dank der Projektion überlagern und zusammenfinden.
Auf den verschiedenen Ebenen ergeben sich unterschiedliche Deutungsansätze. Die Bedeutung von Leben und Tod weitet sich und eröffnet neue Horizonte. Ebenso lässt sich auch bei dieser Arbeit nach der Identität fragen und zuletzt wird der Ausstellungskontext selbst zum Thema gemacht. Der white cube wird gerade in der zeitgenössischen Kunstszene häufig laboratory genannt. So etablieren auch Kunsträume ein spezifisches Habitat. Solche Parallelen, Differenzen oder Assoziationsketten lassen sich wohl am besten vor Ort mit dem Team von Art Laboratory Berlin weiterentwickeln.

Art Laboratory Berlin
Prinzenallee 34, 13359 Berlin
Paired Immunity
30. Oktober – 12. Dezember 2021
Do – So, 14 – 18 Uhr oder nach Vereinbarung

artlaboratory-berlin.org

Maximilian Wahlich

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