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20.2.2022 - ich schreibe, mein Name ist Peter Friedl.

von Maximilian Wahlich (26.04.2022)
vorher Abb. 20.2.2022 - ich schreibe, mein Name ist Peter Friedl.

Peter Friedl, Oranienplatz, 2014. Aus der Serie Rehousing, 2012–2019. Sammlung Marco Rossi, Turin. Courtesy Guido Costa Projects, Turin. Foto: Jorit Aust.

Ein Tagebuch – eine Ausstellung, ein subjektiver Einblick in die Poesie der Historizität. Und wenn alles ein Ablaufdatum hat, sich stets wandelt: Werden wir das irgendwann später noch immer verstehen?
Ich glaube nicht.

Zurück auf Anfang: Es beginnt mit Hunderten von Tagebüchern des Künstlers Peter Friedl. Gleich im ersten Raum des KW Institute for Contemporary Art. Sie dokumentieren Friedls Leben zwischen 1981 und 2022. Sämtliche Hefte sind zugeklappt und liegen, akkurat gestapelt, verschlossen hinter drei Vitrinen. Die Besucher*innen haben keinen Zugriff auf ihren Inhalt.
Und es scheint, dass selbst für ihren Verfasser die geschriebenen Zeilen nicht mehr greifbar sind. Sie erzählen von einer Zeit, von Orten und Geschmäckern. Doch sind die Worte, ist ihr sprachlicher Ausdruck zeitgebunden und für die Gegenwart unverständlich. Sie sind zur ästhetischen Nostalgie geworden, schließlich zur Anschauung als Kunstprojekt präsentiert.


Peter Friedl, The Diaries, 1981–2016. Installationsansicht, Grazer Kunstverein, Graz, 2016. Courtesy der Künstler. Foto: Max Wegscheidler.

Wir sind beeinflusst und geformt von Geschichte. Und diese produzieren wir fortlaufend neu. Wir schreiben Geschichten – ins Tagebuch, aber irgendwie schreibt es auch uns.
Friedl präsentiert mit dieser Werkschau sein kreatives wie auch persönliches Lebensarchiv – ein Prozess ständig neuer Adaptionen, Überschreibungen und Zitate innerhalb seines eigenen Textes. Hintergrundfolie sind 150 seiner Zeichnungen der letzten 58 Jahre, die sich auf der Rückwand der großen Halle befinden. Gedacht und erinnert wird auch an seine bekannten Werke für die documenta 14 und X und geschrieben wird im Jetzt. Und irgendwann ...

Irgendwann gelangen wir vielleicht wieder an so etwas wie den Ursprung?
Wir schauen mit Friedl auf sein Elternhaus in Österreich. Es ist eines von 12 Miniaturmodellen der Reihe Rehousing (2012–2019). Wir erkennen dieses Haus, es ist eines von vielen Millionen Einfamilienhäusern. Obwohl die Kindheit und Jugend des Künstlers für uns gegenständlich scheint, dingfest wird er trotzdem nicht, da das Haus in seiner äußerlichen Beliebigkeit vollkommen austauschbar ist. Betont wird dies von der prominenten Nachbarschaft wie einer Nachbildung Martin Heideggers Schwarzwald-Hütte oder der Rekonstruktion der Behausung von afrikanischen Geflüchteten am Berliner Oranienplatz, deren Abriss 2014 medial überliefert wurde.


Peter Friedl, Dummy, 1997 (Videostill). Video, Farbe, Ton, 0:32 Min., Loop. documenta X, 1997. Courtesy der Künstler, Guido Costa Projects, Turin, und Nicolas Krupp, Basel.

Kombiniert mit den beiden Videoarbeiten Dummy (1997) und Liberty City (2007), wird ein hochpolitischer Anspruch deutlich. Letzteres setzt sich mit körperlicher Gewalt an ohnehin marginalisierten Menschen im städtischen Raum auseinander – ein schwarzer Mann (Arthur McDuffie) wird von weißen Polizisten zu Tode geprügelt. Friedl inszeniert die vor Ort gefilmte Szene neu, in seiner Arbeit wird ein weißer Polizist geschlagen. Die ungeschnittene Sequenz wird aus der Perspektive möglicher Augenzeug*innen in den Straßen des Liberty Square Housing Projects gedreht, einer in den 1930er-Jahren während der Roosevelt-Ära errichteten Wohnanlage für afroamerikanische Bewohner*innen.

Wir müssen alle lernen, uns neu zu sehen.
Eine andere Perspektive einnehmen. Exemplarisch steht dafür die Medienarbeit Theory of Justice (1992–2010) in der großen Haupthalle des KW. Tausende von Fotografien aus Zeitungen und Zeitschriften der letzten 20 Jahre sind flach in den Vitrinen ausgelegt. In strenger Chronologie. Ohne Text, Bildunterschrift oder Quellenangabe entfalten die vom Kontext befreiten Bilder eine ganz eigene Aussagekraft jenseits journalistischer Instrumentalisierung oder dokumentarischem Zeugnis.


Peter Friedl, Theory of Justice, 1992–2010 (Detail). Installationsansicht Carré d’Art – Musée d’art contemporain de Nîmes, Nîmes, 2019. Sammlung Museo Nacional Centro de Arte Reina Sofia, Madrid. Foto: Cédrick Eymenier.

Und jetzt?
Friedl schreibt „Nobody knows science“ auf Luftballons und lässt diese in der Videoarbeit Untouched (1995–1997) von seinem ältesten Sohn symbolisch platzen. Platzt damit die Illusion einer lupenreinen Wissenschaft oder zerspringt das Bekenntnis einer radikal subjektiven Weltsicht? Wir schauen zu. Friedls Schreibprozess hält an und landet schließlich als Tagebucheintrag in einer der drei Vitrinen im Eingangsbereich des KW.

P.S.: Gleichzeitig mit Friedl sind in einer zweiten Ausstellung Werke von Rabih Mroué im KW ausgestellt. Sie befassen sich auf gänzlich andere Weise ebenfalls mit Geschichtsschreibung, allerdings bezogen auf den Libanon. Auch Mroué bringt die eigenen Erfahrungen und Erlebnissen mit der Geschichte zusammen. Ich rate beide Ausstellungen zu besuchen.
Im dritten Obergeschoss der KW wird darüber hinaus Oraib Toukan: What Then gezeigt. Die Ausstellung ist ein Ergebnis Toukans langjähriger Forschung über das Nachleben von ´Grausamen Bildern` - von mediatisierten Bildern von Begegnungen mit Gewalt.

Peter Friedl
Report 1964–2022
19. Februar – 1. Mai 2022

www.kw-berlin.de

KW Institute for Contemporary Art
Auguststraße 69
10117 Berlin
info@kw-berlin.de

Öffnungszeiten:
Mittwoch-Montag 11 – 19 Uhr
Donnerstag 11 – 21 Uhr
Dienstag geschlossen.

Maximilian Wahlich

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