19 Uhr: mit Anna Kokalanova: Inauguration Ceremony: School of Impermanence im Rahmen der Ausstellung "Ungovernable Ingredients". silent green Kulturquartier | Gerichtstraße 35 | 13347 Berlin
Ein Tagebuch – eine Ausstellung, ein subjektiver Einblick in die Poesie der Historizität. Und wenn alles ein Ablaufdatum hat, sich stets wandelt: Werden wir das irgendwann später noch immer verstehen?
Ich glaube nicht.
Zurück auf Anfang: Es beginnt mit Hunderten von Tagebüchern des Künstlers Peter Friedl. Gleich im ersten Raum des KW Institute for Contemporary Art. Sie dokumentieren Friedls Leben zwischen 1981 und 2022. Sämtliche Hefte sind zugeklappt und liegen, akkurat gestapelt, verschlossen hinter drei Vitrinen. Die Besucher*innen haben keinen Zugriff auf ihren Inhalt.
Und es scheint, dass selbst für ihren Verfasser die geschriebenen Zeilen nicht mehr greifbar sind. Sie erzählen von einer Zeit, von Orten und Geschmäckern. Doch sind die Worte, ist ihr sprachlicher Ausdruck zeitgebunden und für die Gegenwart unverständlich. Sie sind zur ästhetischen Nostalgie geworden, schließlich zur Anschauung als Kunstprojekt präsentiert.
Wir sind beeinflusst und geformt von Geschichte. Und diese produzieren wir fortlaufend neu. Wir schreiben Geschichten – ins Tagebuch, aber irgendwie schreibt es auch uns.
Friedl präsentiert mit dieser Werkschau sein kreatives wie auch persönliches Lebensarchiv – ein Prozess ständig neuer Adaptionen, Überschreibungen und Zitate innerhalb seines eigenen Textes. Hintergrundfolie sind 150 seiner Zeichnungen der letzten 58 Jahre, die sich auf der Rückwand der großen Halle befinden. Gedacht und erinnert wird auch an seine bekannten Werke für die documenta 14 und X und geschrieben wird im Jetzt. Und irgendwann ...
Irgendwann gelangen wir vielleicht wieder an so etwas wie den Ursprung?
Wir schauen mit Friedl auf sein Elternhaus in Österreich. Es ist eines von 12 Miniaturmodellen der Reihe Rehousing (2012–2019). Wir erkennen dieses Haus, es ist eines von vielen Millionen Einfamilienhäusern. Obwohl die Kindheit und Jugend des Künstlers für uns gegenständlich scheint, dingfest wird er trotzdem nicht, da das Haus in seiner äußerlichen Beliebigkeit vollkommen austauschbar ist. Betont wird dies von der prominenten Nachbarschaft wie einer Nachbildung Martin Heideggers Schwarzwald-Hütte oder der Rekonstruktion der Behausung von afrikanischen Geflüchteten am Berliner Oranienplatz, deren Abriss 2014 medial überliefert wurde.
Kombiniert mit den beiden Videoarbeiten Dummy (1997) und Liberty City (2007), wird ein hochpolitischer Anspruch deutlich. Letzteres setzt sich mit körperlicher Gewalt an ohnehin marginalisierten Menschen im städtischen Raum auseinander – ein schwarzer Mann (Arthur McDuffie) wird von weißen Polizisten zu Tode geprügelt. Friedl inszeniert die vor Ort gefilmte Szene neu, in seiner Arbeit wird ein weißer Polizist geschlagen. Die ungeschnittene Sequenz wird aus der Perspektive möglicher Augenzeug*innen in den Straßen des Liberty Square Housing Projects gedreht, einer in den 1930er-Jahren während der Roosevelt-Ära errichteten Wohnanlage für afroamerikanische Bewohner*innen.
Wir müssen alle lernen, uns neu zu sehen.
Eine andere Perspektive einnehmen. Exemplarisch steht dafür die Medienarbeit Theory of Justice (1992–2010) in der großen Haupthalle des KW. Tausende von Fotografien aus Zeitungen und Zeitschriften der letzten 20 Jahre sind flach in den Vitrinen ausgelegt. In strenger Chronologie. Ohne Text, Bildunterschrift oder Quellenangabe entfalten die vom Kontext befreiten Bilder eine ganz eigene Aussagekraft jenseits journalistischer Instrumentalisierung oder dokumentarischem Zeugnis.
Und jetzt?
Friedl schreibt „Nobody knows science“ auf Luftballons und lässt diese in der Videoarbeit Untouched (1995–1997) von seinem ältesten Sohn symbolisch platzen. Platzt damit die Illusion einer lupenreinen Wissenschaft oder zerspringt das Bekenntnis einer radikal subjektiven Weltsicht? Wir schauen zu. Friedls Schreibprozess hält an und landet schließlich als Tagebucheintrag in einer der drei Vitrinen im Eingangsbereich des KW.
P.S.: Gleichzeitig mit Friedl sind in einer zweiten Ausstellung Werke von Rabih Mroué im KW ausgestellt. Sie befassen sich auf gänzlich andere Weise ebenfalls mit Geschichtsschreibung, allerdings bezogen auf den Libanon. Auch Mroué bringt die eigenen Erfahrungen und Erlebnissen mit der Geschichte zusammen. Ich rate beide Ausstellungen zu besuchen.
Im dritten Obergeschoss der KW wird darüber hinaus Oraib Toukan: What Then gezeigt. Die Ausstellung ist ein Ergebnis Toukans langjähriger Forschung über das Nachleben von ´Grausamen Bildern` - von mediatisierten Bildern von Begegnungen mit Gewalt.
Peter Friedl
Report 1964–2022
19. Februar – 1. Mai 2022
www.kw-berlin.de
KW Institute for Contemporary Art
Auguststraße 69
10117 Berlin
info@kw-berlin.de
Öffnungszeiten:
Mittwoch-Montag 11 – 19 Uhr
Donnerstag 11 – 21 Uhr
Dienstag geschlossen.
Titel zum Thema KW Institute for Contemporary Art:
Der dritte Ort. Pia Arke in den KW - Institute for Contemporary Art
Läuft nur noch bis morgen ---> absolut sehenswert.
Berlin Biennale für zeitgenössische Kunst hat neuen Direktor
noch mehr Personalien: Axel Wieder wird neuer Direktor der Berlin Biennale für zeitgenössische Kunst
Emma Enderby wird neue Direktorin der KW Institute for Contemporary Art
Personalien
20.2.2022 - ich schreibe, mein Name ist Peter Friedl.
Noch bis Sonntag läuft in den KW Institute for Contemporary Art die Ausstellung "Peter Friedl
Report 1964-2022". Hier unsere Besprechung.
Katharina Grosse
Personalien: Die Künstlerin Katharina Grosse wird neue Vorstandsvorsitzende der KUNST-WERKE BERLIN e. V.
Quo vadis? Ein digitales Format auf einer Reise wohin? - The Last Museum in den KW
Ausstellungsbesprechung: Sechs Künstler*innen wurden von den KW Institute for Contemporary Art eingeladen, an der Ausstellung „The Last Museum“ mitzuwirken und dabei fällt nicht nur die formale Gleichförmigkeit aus kleinen Bildschirmen und ähnlicher Navigation auf.
Krist Gruijthuijsen bleibt Direktor und künstlerischer Leiter der KW
Personalien: Der Vertrag des Direktors und künstlerischen Leiters der KW Institute for Contemporary Art, Krist Gruijthuijsen, wurde bis 2024 verlängert.
KW Institute for Contemporary Art stellen neue Kurator*innen vor
Personalien: Die KW Institute for Contemporary Art erweitern ihr kuratorisches Team.
B*tches & Babies – Austausch über Mutter*schaft, Elternschaft und Care-Arbeit in den KW
Besprechung: Welche neuen Konzepte verbergen sich hinter dem Gendersternchen in „Mutter*schaft“? Dieser und vielen weiteren Fragen widmet sich die Veranstaltungsreihe „B*tches & Babies“ an den KW Institute for Contemporary Art.
Christina Ramberg und ihre grandiosen Torsofiguren im KW Institute for Contemporary Art
Ausstellungsbesprechung: Der von Kleidern geformte Körper steht mit Mittelpunkt des hierzulande weitgehend unbekannten Werks von Christina Ramberg (1946-1995).
Time (spoken) - Ian Wilson und Hanne Lippard in den KW
Ausstellungsbesprechung: Unter der Leitung von Krist Gruijthuijsen wird in den KW Institute for Contemporary Art an diesem Wochenende das neue künstlerische Programm eröffnet.
Kunst ist Kommunikation: Krist Gruijthuijsen stellt das Jahresprogramm des KW vor
Besprechung: Am Anfang ist das Wort. Auch in den Berliner KW Institute for Contemporary Art wird die verbale Kommunikation im kommenden Jahr eine entscheidende Rolle spielen.
KW Institute for Contemporary Art mit neuem künstlerischen Team
Personalien: Nach der Ernennung von Krist Grujithuijsen zum neuen Direktor der KW Institute for Contemporary Art gibt es jetzt auch ein neues Team bestehend aus: ...
Das Eismeer sehen. Batia Suter im KW Institute for Contemporary Art
Nur noch bis morgen: hier unsere Ausstellungsbesprechung
Neuer Vorstand bei KW Institute for Contemporary Art
Personalien: Die Kunstsammlerin Julia Stoschek, der Künstler Olafur Eliasson sowie der Jurist und Berater Martin Heller wurden als neuer Vorstand der KW gewählt.
Freundeskreis Willy-Brandt-Haus e.V.
Verein Berliner Künstler
nüüd.berlin gallery
Kommunale Galerie Berlin
Galerie im Saalbau