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Doppelpunkt, Sternchen, Strich – noch lange nicht fertig

von Katja Hock (16.06.2022)
vorher Abb. Doppelpunkt, Sternchen, Strich – noch lange nicht fertig

Käthe Kruse, Künstlerin, © Sibylle Fendt

Die Fotografin Sibylle Fendt löst im f3 freiraum für fotografie mit über 50 Porträts von Protagonist*innen aus der Kunst- und Kulturszene Rollenzuschreibungen. Und feiert die Vielschichtigkeit des Menschseins.

Seit 2021 setzt sich die Berliner Fotografin Sibylle Fendt (*1974 in Karlsruhe) mit feministischen Positionen auseinander. Ohne als Besucher*in auch nur ein Porträt gesehen zu haben, eröffnet der Titel der Einzelausstellung im Spiel der Typografie schon eine Welt: Sibylle Fendt _:* Porträts von Künstler:innen. Sprengen meist entweder Doppelpunkt, Unterstrich oder Sternchen das generische Maskulinum und schaffen Raum für uns alle, so werden hier alle drei hintereinander verwendet. Warum sich festlegen, wenn Vielfalt von uns allen und Vielschichtigkeit in einem selbst die Themen sind. Stellvertretend für die Tatsache, dass es eben nicht die eine feministische Haltung gibt, stehen die Symbole für gendergerechte Sprache wie ein Filter zwischen der Künstlerin und ihren Werken. Die unterschiedliche Auslegung der Protagonist*innen bezüglich des Feminismusbegriffs bildet den Ausgangspunkt. Fendt begegnet Berliner Künstler*innen, Schauspieler*innen, Autor*innen und Musiker*innen, alle Mitglieder der Agentur OSTKREUZ, und fängt ihre Ansichten mit Porträtbildern ein. Durch Kennenlernen, Austausch und Vernetzung entwickelt sich ein dokumentarisches Projekt von Vertreter*innen der zeitgenössischen künstlerischen Praxis. Denn Fendt will damit weitermachen.
„Am Anfang meiner Arbeit stand die Auseinandersetzung mit der Rolle der Frau im Kunstbetrieb: zu Zeiten der Bauhaus-Ära, als viele inszenierte, experimentelle Porträtaufnahmen von Fotografinnen entstanden, und heute, viele Jahrzehnte später, wo ich mein Leben als Fotografin lebe. Mich interessierte, welches Bild der Frau von Künstlerinnen damals entworfen wurde und wie ich heute auf diese Bilder blicke. Ich bekam Lust, durch eigene Künstler:innen-Porträts auf die Bilder von damals zu reagieren. Doch die Geschlechtertrennung in weiblich und männlich empfand ich als nicht mehr angebracht. Je intensiver ich mich mit der Gender-Thematik und Arbeiten von feministischen Künstler:innen beschäftigte, desto klarer wurde mir, dass ich nicht das weibliche Geschlecht in den Fokus nehmen wollte, sondern eine feministische Positionierung.“, schreibt Sibylle Fendt über ihre Arbeit.


Maria Sturm, Fotografin, © Sibylle Fendt

So unterschiedlich die Meinungen zum Thema Feminismus sind, so treffend fängt die Künstlerin diese in ihren Porträts ein, vielschichtig, ja vielleicht widersprüchlich. In den Aufnahmen finden sich auf den ersten Blick keine Vereinheitlichungen, kein roter Faden oder Wiedererkennungswert. Sei es die Größe des Bildformats, die Auswahl des Ausschnitts, die Wahl des Hintergrunds, der Farbgebung bis hin zur Rahmung. Selbst die Hängung wechselt zwischen klarer Nebeneinanderreihung und Salonhängung. Das Unterschiedliche trifft aufeinander, wie in unser aller Alltag, wie in uns selbst.

Die Künstlerin Käthe Kruse steht auf Kieselsteinboden im Freiem. Hinter ihr Schrägen von Dächern, der Himmel ist bewölkt. Breitbeinig, mit herunterhängenden Armen steht sie frontal zur Kamera. Ihre Kleidung erinnert mit schwarzer Hose, einem wehenden Mantel und Kopfbedeckung an eine Kriegerin. Stark und stolz strotzt sie ihrem Gegenüber. In einem Aufsteller im zweiten Raum begegnet den Besucher*innen Kruses Porträt als DIN A5 Karte wieder. Auf der Rückseite des Abdrucks steht ihr Statement:
„Wir Frauen waren in den 80er Jahren selbstbewusst und gleichberechtigt ohne es zu definieren. Das war eine Selbstverständlichkeit, für die wir nicht selbst gekämpft hatten. Es gab in Westberlin in der Musik und Kunst nicht übermäßig viele Frauen, aber die, die dabei waren, sind außergewöhnliche und interessante Persönlichkeiten, die bis heute aktiv sind, Musik und Kunst zu produzieren. Einige sind Vorbilder für viele geworden. Für Feministinnen waren wir damals jedoch zu schräg, zu duster, zu modebewusst. Als Schlagzeugerin von Die Tödliche Doris saß ich auf der Bühne immer hinten und habe als Frau den Rhythmus vorgegeben, das war eine herrliche und befriedigende Rolle.“

Das Porträt der Fotografin Maria Sturm gleicht hingegen einer Madonnendarstellung. Stillend sitzt sie mit Kind an der Brust im Zentrum des Bildes. Die Betrachter*innen bekommen Einblick in die intime Situation, Mutter und Kind ganz nahe miteinander. Doch der zur Kamera frontal gerichtete Blick und die aufrechte Haltung Sturms strahlen weniger Zartes als viel mehr Stärke und Selbstbewusstsein aus. Fendts Porträtarbeit bricht mit der tradierten Mutterrolle, einer weichen und aufopfernden Frau, und präsentiert Maria Sturm als selbstbehauptende Person und Versorgerin ihres Kindes.


Katharina Bosse, Fotografin, © Sibylle Fendt

Lebensgroß liegt Katharina Bosse schwebend im klaren Wasser einer Badewanne. Vor ihrer Brust hält sie eine Kamera. Ernst und zugleich verletzlich ist Bosses Ausdruck. Alles ist in ein leuchtendes Rot getaucht. Die Fotografin erscheint intensiv nah, zieht uns in tiefgründige Gedankenwelten. Es ist keine erotische Aufnahme, vielmehr das natürliche Sein. So lautet ihr Statement: „Ich bin gerne Frau. Ich bringe Kinder hervor, ich bringe Bilder hervor. Der weibliche Körper ist kraftvoll und müde, weich und beharrlich. Er ist der Ursprung. Er ist zugleich ein Bild, das als Projektionsfläche für gesellschaftliche Sehnsucht und gesellschaftliches Unbehagen herhält. Das müsste nicht so sein, aber so ist es. Ich arbeite daran, glauben muss ich nicht. Als ich ein Mädchen war, wurde mir gesagt: ´Ihr seid die erste Generation, die gleichberechtigt leben wird. Vierzig Jahre später sind Frauen immer noch nicht gleichberechtigt. Das betrifft wirklich sämtliche Ebenen, den Beruf, das Privatleben, Geld, Gesundheit, Macht, Wissenschaft, Elternschaft, Sexualität, Mobilität, Gewalt, Partnerschaft, Politik. Es reicht nicht, zu hoffen und zu warten. Die Nachteile sind echt. Lasst uns gemeinsam kämpfen. Es ist gut, dass ihr da seid.“

Die Arbeiten sind tiefsinnig, zeichnen sich durch eine hohe Intensität aus. Nicht nur die Statements lassen ihre Bilder selbst sprechen, auch die Inszenierungen von Herkunft, Mimik und Gestik sprechen für sich. Die Vielfältigkeit, aufgenommen mit einer Mittelformatkamera und analogen Filmmaterial, wird so treffend wiedergegeben, wie die mannigfachen Ebenen der Feminismus-Debatte. Die Betrachtenden werden in die einzelnen Bildwelten eingesogen, mitgenommen in persönliche, verletzliche Erfahrungen. Die Porträtierten geben uns intimste Einblicke in ihr zu Hause oder in ungewöhnliche Umfelder. Unterschiedliche Sichtweisen von unterschiedlichen Standpunkten aus unterschiedlicher Herkunft, die an einem Begegnungsort zusammentreffen. All das steht in krassem Widerspruch zu der Tatsache, dass trotz vorangeschrittener Gleichberechtigung die Gleichstellung hinterherhinkt, dass an der Erfüllung verfestigter Rollenbilder gemessen wird. Der rote Faden ist die Tatsache, dass wir noch lange nicht fertig sind.

SIBYLLE FENDT _:* PORTRÄTS VON KÜNSTLER:INNEN
6. MAI – 19. JUNI 2022

f³ – freiraum für fotografie
Waldemarstraße 17
10179 Berlin

Öffnungszeiten:
Mi – So
13:00 – 19:00 Uhr

fhochdrei.org

Katja Hock

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endet am Samstag: Die Fotografin Sibylle Fendt löst im f3 freiraum für fotografie mit über 50 Porträts von Protagonist*innen aus der Kunst- und Kulturszene Rollenzuschreibungen. Und feiert die Vielschichtigkeit des Menschseins.

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