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Am seidenen Faden. Louise Bourgeois: The Woven Child im Gropius Bau

von Katja Hock (21.10.2022)
vorher Abb. Am seidenen Faden. Louise Bourgeois: The Woven Child im Gropius Bau

Louise Bourgeois: The Woven Child, Installationsansicht, Gropius Bau (2022)
© The Easton Foundation/VG Bild-Kunst, Bonn 2022, Foto: Luca Girardini


Nur noch bis diesen Sonntag (23.10.22)

„Louise Bourgeois: The Woven Child“ ist die erste große Retrospektive im Gropius Bau, die sich intensiv mit textilen Arbeiten der Künstlerin aus den letzten zwei Jahrzehnten auseinandersetzt. Skulpturen, Installationen, Zeichnungen und Collagen, die sich stark auf Bourgeois´ Biografie beziehen, geben intime Einblicke in ihre Seelenwelt, regen an und wühlen auf.

Die Mythologie erzählt von den drei Moiren, Schicksalsgöttinnen. Sie spinnen den Lebensfaden, bestimmen die Länge des menschlichen Lebens und seine Wesensart. Sie spinnen das Glück und das Leid. Louise Bourgeois tut es ihnen gleich, wenn sie mit ihren Arbeiten Fakten schafft. Dabei beschäftigte sie sich vor allem mit weiblicher und männlicher Geschlechtlichkeit, zwischenmenschlichen emotionalen Extremen und Vergänglichkeit. Mit dem Rückblick auf die 2010 verstorbene Künstlerin zeigt das Ausstellungshaus nun ihren Lebensfaden.

Still ist es im Gropius Bau. Andächtig und ehrfürchtig scheinen die Besucher*innen durch die Ausstellungsräume zu wandeln, als betreten sie sakrale Räumlichkeiten, als fühlen sie das Innerste der Künstlerin. Gesprochen wird höchstens im Flüsterton. In „The Woven Child“ tauchen die Besucher*innen tief in die Vergangenheit Bourgeois´ ein. Fokus der Schau, die von Ralph Rugoff (Direktor der Hayward Gallery) und Julienne Lorz (ehemalige Hauptkuratorin des Gropius Baus) kuratiert wurde, ist eine Rückkehr zu ihren familiären Wurzeln.
Louise Bourgeois wurde 1911 in Paris geboren. Ihre Eltern unterhielten eine Galerie für historische Textilien und eine Werkstatt zum Restaurieren. So lag Bourgeois´ Auseinandersetzung mit Beruf und Textilien nahe.


Louise Bourgeois in ihrem Haus in der West 20th Street in NYC, 1992
© The Easton Foundation/VG Bild-Kunst, Bonn 2022, Foto: Claire Bourgeois


Das immer wiederkehrende Motiv der Spinne im Werk der Künstlerin steht symbolisch für den Beruf der Weberin. Es erscheint in ihren Arbeiten mal winzig klein, mal übermächtig groß. Textilien, die aus ihrem eigenen Haushalt stammen wie Kleidung, Bettwäsche und Fragmente alter Tapisserien verwebt die Künstlerin mit ihren Erinnerungen zu einer zweiten Haut, die Spuren wie Narben aufzeigen. Sie vernäht ihre Fasern, trennt sie wieder auf, adaptiert sie mit neuen. Die Rückstände bleiben. Ein Kraftakt, sich nicht in Schmerz und Trauer aufzugeben, sondern sich zu bemühen, das tägliche Leben immer wieder neu zu bestreiten.

Die Anordnung ihrer Werke variiert von Raum zu Raum. Mal erinnert die Präsentation an ein Kuriositätenkabinett aus dem 19. Jahrhundert, in dem Stoffköpfe und andere textile Gliedmaßen in Schaukästen liegen. Dann wieder entsteht die Illusion Leichenhalle - kühl und steril - durch menschengroße, sargartige Vitrinen, in denen schwarze Körpermassen präsentiert werden, so auch die Werkgruppe „Couple III“ und „Couple IV“. Die Arbeiten entstanden in den späten 1990er Jahren. Sie sind kopflose, kopulierende Körpermassen aus Stoff mit einzelnen Holzprothesen. In einer antiken Vitrine verschlingen sie sich eng ineinander.
Prothesen waren für Bourgeois, die einen Teil ihrer Kindheit nach dem Ersten Weltkrieg durchlebte, vermutlich keine Seltenheit. In ihren späteren Jahren bildeten sie ein Medium für tiefes emotionales Leid und dienten zugleich dem Zweck zum Überleben.
Die Prothese der weiblichen Figur drückt sowohl die körperliche als auch die seelische Verletzung und den Verlust von Gleichgewicht aus. Trotz fehlender Gesichter treten Louise Bourgeois Figuren wie eigenständige Wesen auf, die stumme Konversation mit ihrer Umgebung betreiben.


Louise Bourgeois: The Woven Child, Installationsansicht, Gropius Bau (2022)
© The Easton Foundation/VG Bild-Kunst, Bonn 2022, Foto: Luca Girardini


Menschengroß hängt von der Decke „Single I“ aus dem Jahr 1996 herab. Das Seil wurde mit einem Ring an den Beinen der Figur befestigt. Mit einem enormen Gewicht und Spannung steht der Körper in der Luft. Kopf, Hände und Füße fehlen. In umgedrehter, überstreckter T-Form sind die Arme weit ausgebreitet. Der aus unterschiedlichen Schwarztönen zusammengenähte Stoffkörper ist mit den weiblichen Merkmalen, wie Brust und Vulva versehen. Brachial tritt das Gefühl von Hilflosigkeit und Ausgeliefertsein ein. Wie bei der Schlachtung eines Tieres, das ausblutet, bleibt die Figur stumm in seiner Ecke, an der die Besucher*innen vorbeilaufen müssen. Ihr Lebensfaden könnte bald reißen.

Neben einzelnen Figuren begann die Künstlerin ab 1991 raumartige Installationen zu konzipieren, die an Traumwelten erinnern. „Cell VII“ von 1998 ist ein oktogonal angeordneter Raum im Raum. Die Installation, durch unterschiedliche Zimmertüren begrenzt, füllt sich mit persönlichen Gegenständen aus Bourgeois´ Leben. Die Zelle beinhaltet ein Bronzemodell ihres Elternhauses in der Choisy-le-Roi, Frankreich. Gegenüber davon eine kleine Holzbank zum Verweilen. Weiße lange Kleider hängen an dicken Rinderknochen. In einer Ecke lauert eine große dünnbeinige Spinne. Durch die mit Gläsern besetzten Zimmertüren entsteht der Eindruck, in einen geheimen und verlassenen Ort hineinzusehen, das Innerste einer Erinnerung offenbart zu bekommen. Einige Kleidungsstücke aus vergangener Zeit stammen unter anderem von ihrer Mutter, die im Gegensatz zu anderen Materialien, niemals zerschnitten oder addiert wurden. Sie blieben Bourgeois´ Sammel- und Erinnerungsstücke.

Die Arbeiten von Louise Bourgeois klingen nach. Obwohl ihre Figuren keine spezielle Person wiedergeben und stark verfremdet bleiben, übermitteln sie spürbar Trauer, Schmerz und tiefe Emotionalität. Sie ermöglichen Spielraum, sich in diese emotionale Lage hineinzuversetzen und persönliche Schicksale darauf zu projizieren. Schneiden, Reißen, Nähen und Zusammenfügen bilden die Sinnbilder für greifbare Verletzlichkeit und Intimität. Bourgeois nutzt sie als eine Idee der Wiedergutmachung und seelischen Anspannung. Ihre Arbeiten sind Ausdruck puren Lebens, das den Körper in seiner Stofflichkeit als Medium nutzt. Ihr Erinnerungsnetz wächst und wir verweben uns mit ihm. Bourgeois verwandelt Prägungen und Materialien ihres Lebens in ein Werk, das Mut gibt, das Hoffnung macht: Indem sie einen Weg gefunden hat, mit dem Leben künstlerisch umzugehen und es nicht nur ertragen zu müssen.

Louise Bourgeois: The Woven Child
22.07. bis 23.10.2022 im Gropius Bau

Öffnungszeiten:
Mittwoch bis Montag von 10 bis 19 Uhr
Donnerstag von 10 bis 21 Uhr
Dienstag geschlossen
Eintritt: 15 €, ermäßigt 10 € (bis 15.09. 9 €, ermäßigt 6 €)

Gropius Bau, Niederkirchnerstraße 7, 10963 Berlin
www.berlinerfestspiele.de

Katja Hock

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