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Master Bildende Kunst – und jemand fragte, sind meine Eltern reich?

von Maximilian Wahlich (08.01.2023)
vorher Abb. Master Bildende Kunst – und jemand fragte, sind meine Eltern reich?

Ausstellungsansicht "Klassenfragen. Kunst und ihre Produktionsbedingungen", Berlinische Galerie, Foto: © Benjamin Renter / nGbK

Die Berlinische Galerie zeigt in Zusammenarbeit mit der neuen Gesellschaft für bildende Kunst (nGbK) aktuell die Ausstellung „Klassenfragen: Kunst und ihre Produktionsbedingungen“. Sie vereint über ein Dutzend Positionen und thematisiert die ungleichen, intransparenten sowie hochproblematischen Aus- und Einschlüsse des Kunstsektors.
Diese Mechanismen werden über verschiedene Kapitalien verhandelt, über die Menschen verfügen können. Meistens geht es dabei um folgende: Das soziale Umfeld: Kenne ich für mich wichtige Menschen? Die finanziellen Mittel: Was kann ich mir leisten? Und das kulturelle Vermögen: Beherrsche ich die gesellschaftlichen Codes? Diese Ebenen verschränken sich wiederum mit Staatszugehörigkeit, Sprache, Hautfarbe, Geschlecht u. a.
Mithilfe dieser Kapitalien verorten wir unsere gesellschaftliche Position und taxieren einander. Damit sind sie in unserem Alltag omnipräsent. Charakteristisch für den Kunst- und Kulturbetrieb ist jedoch das bigotte Verhandeln dieser Mittel. So gehört wenig Geld zu besitzen zum guten Ton, was sich mit dem Tragen schickster Klamotten nicht zu widersprechen scheint. Zusätzlich ist der Kunstbereich stark polarisiert: Eine hochgradig prekarisierte Arbeitsrealität und ein monetär aufgeblasener Spekulationsmarkt prallen aufeinander.

Auf dem Weg zum Hauptraum der Ausstellung sind eine Reihe großgezogener Antragsbriefe von Künstler*innen an den bbk (berufsverband bildender künstler*innen berlin) zu lesen. Der bbk konnte 2021 während der Pandemie einen einmaligen finanziellen Zuschuss an Künstler*innen ausschütten. Für das Beantragen der Unterstützung musste die ökonomische Situation offengelegt werden. Viele der Antragstellenden beschreiben ihre karge und ausweglose Situation. Einigen blieb nichts mehr übrig für Materialkosten und ihre künstlerische Arbeit. Das Lesen macht verlegen. Der stimmungsvolle Einstieg befragt zugleich das Verhältnis von Schamgefühl über die eigene Lage, das Moment der Beichte/Selbstauskunft und Diskurse um Verteilungsgerechtigkeit eines Obolus, der ja auch nur eine temporäre Sicherheit bietet.

Im eigentlichen Ausstellungsraum angelangt, überblickt man vor lauter Werken kaum seine Größe. Dennoch wird die Aussage schnell klar: Klassismus ist kein Thema Einzelner, es geht uns alle was an. Gleich rechts hängen drei kleinformatige Arbeiten von Hannah Höch. Ihr Werk befindet sich zu großen Teilen im Besitz der Berlinischen Galerie. Höch (1889-1978) gilt als eine wichtige Künstler*in der 1920er-Jahre. Bekannt – vor allem - für ihre dadaistischen Collagen kommentiert die Bildbeschriftung den derzeitigen Marktwert vergleichbarer Blätter. Das Offenlegen solcher Beträge lässt die Diskussion über Ankaufspolitiken großer Institutionen transparenter werden. Es wirft die alte Frage auf, welche Positionen eigentlich in musealen Sammlungen landen – eine sehr wohl klassistische Debatte. Anderseits ließe sich, anknüpfend an die trostlosen Schilderungen der bbk-Anträge, diskutieren, ob das Geld nicht lieber in Gegenwarts-Künstler*innen investiert werden sollte?


Hannah Höch, Ohne Titel (nicht realisierter Entwurf für das „Bilderbuch 1945“), 1944-45 © VG Bild-Kunst, Bonn 2022

Nochmal zu Hannah Höch: Sie stammte aus einer liberal bürgerlichen Familie, war zu Lebzeiten aber mittellos – als weiblich gelesene Person nahm sie der Kunstmarkt jahrelang nicht ernst. Ebenso werden wir nie erfahren, ob und wie sich eine bessere Finanzlage auf ihren künstlerischen Ausdruck – Collagen recyceln Materialien und sind entsprechend preiswert in der Produktion – ausgewirkt hätte?
Mika Svolos aktualisiert dieses Thema um kostengünstige Kreativarbeit. Er karikiert dies mit der kleinen Zeichnung „Profilic Artist“ [Produktiver Künstler], auf der ein Mensch mit Pinsel nur einen Tupfer malte, frech untertitelt mit „artist has enough paint to only make a point“. Der Materialwert liegt hier bei 0,40 €; wegen der Versandkosten.
Was mag diese Tasse kosten? Sie ist Massenware, bedruckt mit dem Schriftzug „BELANCIEGE“ und ist unter den Namen Hito Steyerl, Giorgi Gago Gagoshidze, Elke Philomena Kupfer und Miloš Trakilović eine Sonderedition des n.b.k. Preis: 11.000 US-Dollar.
In diesem Fall ist das Kapital das Wissen um die „richtige“ Zitation von Trash, Popkultur und Understatement. Offensichtlich beherrschen die beteiligten Künstler*innen die wirksamen Quellen. Kaufpreis dieser an sich wertlosen Tasse markiert den Erfolg der vier Kunstschaffenden. Doch sollte in diesem Ausstellungskontext nicht auch gefragt werden, wie ihre Karrieren eigentlich entstanden sind? Der Logik folgend, müsste der familiäre, finanzielle oder kulturelle Hintergrund benannt werden.
Aber wie so oft bleibt hinter dem gewohnten Intellektualismus ruhmreicher Kunstproduktion eine Leerstelle. Das Werk kreist um die Thematik, wird aber nicht konkret genug. So zeigt die zur Kunstware gemachte Tasse doch bloß, dass manche Werke lächerlich teuer sind, während andere eben kein Geld einbringen. Das für sich genommen ist erst einmal noch kein Klassismus, sondern Abbild eines verzerrten Marktes.

Dagegen ist Jelka Plates Audioaufnahme „etwas verdienen“ besonders eindrücklich. Darin reflektiert sie ihren eigenen biografischen Werdegang. Sie schildert ihr Leben im sogenannten Kulturprekariat. Mit steigendem Einkommen ihres Vaters belasten Leistungsdruck und Statussymbole die Familie. Nach seinem Tod erbt Plates und ihre finanzielle Situation entspannt sich. Doch jetzt entstehen Schuldgefühle und Unsicherheiten aufgrund des Vermögens.
Ebenso aufschlussreich ist die Soundarbeit „Classism is a Heartbreaker“ [Klassismus ist ein Herzensbrecher] von Margret Steenblock und ClaraRosa, wo die unbezahlte Arbeitszeit auf dem Label mit 40 Stunden beziffert wird. Es ist frappierend und es bleibt nur zu hoffen, dass die Berlinische Galerie solchen Stundenaufwand nachträglich vergüten konnte.

Die Ausstellung widmet sich dem Tabuthema der Klassenunterschiede. Diese erklären Karrieren, künstlerische Produktionsbedingungen und Lebensentwürfe. Am Ende der Ausstellung fragt sich jedoch, an wen sie sich eigentlich richtet? Geht es um das Publikum, welches ohnehin den hohen Museumseintritt zahlt und selbst in dieser Kulturblase gefangen ist? Geht es um den Kunstmarkt, das Kunstsystem oder um Institutionskritik?

Künstler*innen:
Douglas Boatwright, Frauke Boggasch, Verena Brakonier / Greta Granderath / Jivan Frenster, Vlad Brăteanu, Margit Czenki für ‚Der goldene Engel – Pro System’ mit ‚Die Mission – künstlerische Maßnahmen gegen die Kälte e.V.’, Karolina Dreit / Kristina Dreit / Anna Trzpis-McLean (Arbeitszyklus Working Class Daughters), Paul Goesch, Martin Elmar de Haan / Anonym, Hannah Höch, Matthias Horn, Marion Lebbe / Caroline Sebilleau / Emmanuel Simon, Liang Luscombe, Franziska König, Silke Nowak, Verena Pfisterer, Jelka Plate, Karin Powser, Arthur Segal, Christian Specht, Margret Steenblock / ClaraRosa, Anna Schapiro, Hito Steyerl / Giorgi Gago Gagoshidze / Elke Philomena Kupfer / Miloš Trakilović, Gabriele Stötzer, Mika Svolos, Gülbin Ünlü, Anna-Lena Wenzel, Norbert Witzgall

Klassenfragen – Kunst und ihre Produktionsbedingungen
25. Nov 2022 – 09. Jan 2023

Berlinische Galerie,
Alte Jakobstraße 124–128
10969 Berlin
berlinischegalerie.de
ngbk.de

Maximilian Wahlich

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