Charmaine Poh, Installationsansicht PalaisPopulaire 2025, Twin, 2025, Mixed Media, LED-Leuchten, Jade-Armreifen, Dreamstate, Youth is Wasted on the Young (Seld-portrait), 2017, Projektion auf Fadenvorhang, Photo: Mathias Schormann, © Charmaine Poh
Die Video-Arbeit Good Morning Young Body (2021-2023) zeigt die singapurisch-chinesische Künstlerin und Filmemacherin Charmaine Poh als Teenager, der über seine traumatischen Erfahrungen als Fernseh-Kinderstar berichtet.Dieser Satz stimmt und er stimmt nicht: Wir sehen den Teenager Poh, allerdings nicht als reale Person, sondern als Deepfake-Avatar namens E-Ching, den Poh mithilfe von KI und archivierten Filmmaterial konstruierte. Realität und Virtualität, Authentizität und Performance vermischen sich in dem Video und werden zu einer starken Geste der Selbstermächtigung und der Medienkritik. Willkommen im Œuvre der Charmaine Poh.
Das Werk ist Teil der Ausstellung Make a travel deep of your inside, and don’t forget me to take, die derzeit im Palais Populaire zu sehen ist. Es ist das institutionelle Debüt in Deutschland von Charmaine Poh (lebt in Berlin und Singapur), die von der Deutschen Bank als Artist of the Year 2025 ausgezeichnet wurde.
Charmaine Poh, public solitude, 2022, Videostill, © Charmaine Poh
Immer wieder tauchen in Make a travel... solche Momente des Empowerments auf, die einerseits sanft daherkommen, andererseits eine immense Kraft besitzen. Good Morning Young Body ist dabei neben public solitude (2022) das persönlichste Werk, das sich auf die Biografie der Künstlerin bezieht: Anfang der 2000er Jahre war die 1990 geborene Poh Kinderdarstellerin in der Fernsehserie We are REM (2002-2004). In dieser Zeit erlebte sie ihre eigene Pubertät unter den Augen der gnadenlosen Öffentlichkeit, die auch vor der Sexualisierung und Objektivierung ihres noch kindlichen Körpers nicht zurückschreckte. Während sie den Kommentaren und dem männlichen Blick damals machtlos ausgesetzt war, findet Poh in der Video-Arbeit einen Weg der Selbstermächtigung: Indem sie ihren Avatar zu Wort kommen lässt, empowert sie ihr schutzloses 12-jähriges Ich, gibt ihr die Worte, die ihr damals fehlten und widersetzt sich dem auf ihren Körper gerichteten gewaltvollen Blick.Gegen Ende des Videos wird Legacy Russells Manifest Glitch Feminism (2020) zitiert, das als wichtiges Werk des Cyberfeminismus die Beziehung zwischen Geschlecht, Technologie und Identität untersucht. Russell sieht in den Glitches - technische Fehler, Funktionsstörungen - die Chance, Kategorien zu entkommen und die binären Strukturen und Beschränkungen aufzubrechen, die unsere Körper bestimmen. Daher feiert der Glitch-Feminismus den Glitch als Mittel der Verweigerung; so auch Poh/E-Ching, deren Bild immer wieder flackert, verzerrt erscheint: „If society operates within the cis-het gaze, than I am happy to be a glitch.“ (Wenn die Gesellschaft mit dem Cis-Hetero-Blick operiert, dann bin ich froh, ein Glitch zu sein.)
Charmaine Poh, What’s softest in the world rushes and runs over what’s hardest in the world, 2024, Videostill, © Charmaine Poh
Akte des Empowerments und des Widerstands stehen auch im Fokus der Video-Arbeit What’s softest in the world rushes and runs over what’s hardest in the world (2024), die im vergangenen Jahr auf der Biennale in Venedig zu sehen war. Der Film erzählt anhand von O-Ton-Interviews die Geschichten queerer Paare in Singapur, die sich trotz der gesetzlichen Hürden, der strukturellen Diskriminierung und der gesellschaftlichen Ablehnung dazu entschieden haben, eine Familie zu gründen. Zwar steht Sex zwischen Männern seit 2022 in Singapur nicht mehr unter Strafe (der entsprechende Abschnitt 377A des Strafgesetzbuchs führte Sex zwischen Frauen oder anderen Geschlechtern nicht auf), rechtlich anerkannt sind gleichgeschlechtliche Beziehungen jedoch nicht. Entsprechend ist auch gleichgeschlechtliche Elternschaft unmöglich. Die Existenz der Familien, die in der Film-Arbeit anonym zu Wort kommen, ist somit in Singapur nicht vorgesehen. Poh gibt ihnen und ihren Erzählungen Raum und macht Entwürfe von Familie sichtbar, die für Paare jeglicher Konstellation befreiend sein können. Familie erscheint hier nicht als Abziehbild eines durch heteronormative Kriterien bestimmten Ideals. Vielmehr sind es die geteilten Träume und Ängste sowie die Liebe, Verbundenheit und Entschlossenheit, die die wesentlichen Zugkräfte einer selbstgewählten Beziehung bilden und die über das traditionelle Familienbild hinausgehen.Die intimen Einblicke werden im Verlauf des Films von ruhigen Natur-Aufnahmen unterbrochen, wodurch eine Parallele zischen der zwischenmenschlichen Harmonie und der Harmonie der Natur gezogen wird. Immer wieder setzt Poh in ihrem Werk Natur und Zivilisation zueinander ins Verhältnis, wobei der Natur eine gewisse Vorbildfunktion zuzukommen scheint: So wie das Miteinander verschiedener Pflanzen und Tiere möglich ist, kann auch der Mensch sein Miteinander in einer Weise gestalten, die allen Raum gibt. Und doch konstruiert er nach wie vor Systeme entlang festgelegter Normen, die ausserhalb dieser Regelung liegende Entwürfe ausgrenzen.
Charmaine Poh, The Moon is Wet, 2025, Videostill, © Charmaine Poh
Die Künstlerin widmet sich diesen marginalisierten Stimmen und den alternativen Lebensweisen. So auch in der 3-Kanal-Videoinstallation The Moon is Wet (2025), in der Frauenstimmen aus der Mythologie, der Vergangenheit und der Gegenwart auftreten. Das Werk veranschaulicht, dass sowohl die Natur - insbesondere das Wasser - als auch die Arbeits-Migrantinnen, die unter prekären Bedingungen in Singapur leben, für den Wohlstand der Metropole verantwortlich sind. Im Zentrum stehen die Erzählungen einer zeitgenössischen Hausangestellten, einer fiktiven Majie (Migrantinnen aus China, die ab den 1930er-Jahren als Hausangestellte in Singapur arbeiteten und in den 1970er-Jahren von Migrantinnen aus Südostasien abgelöst wurden) sowie der Meeresgöttin Mazu.Die Majie, denen auch drei Foto-Arbeiten gewidmet sind, entschieden sich aktiv gegen die Ehe und lebten oft in selbst gegründeten Gemeinschaften zusammen. Die heutigen emigrierten Hausangestellten sind indes mit strengen Visabeschränkungen konfrontiert, haben kaum einen Arbeits- oder sonstigen rechtlichen Schutz und dürfen nicht schwanger werden. Sie sind Teil eines wirtschaftlichen Aufstiegs, von dem sie nicht profitieren.
Wichtiges Element der Arbeit ist die Sprache: Während die Regierung in Singapur bestrebt ist, die verschiedenen Dialekte der dort lebenden Chinesischen Bevölkerung einzudämmen und ausschließlich Englisch und Mandarin fördert, kommen in dem Film drei Sprachen vor: Kantonesisch, das von den Majie gesprochen wird, Hokkien, der Sprache der Meeresgöttin und das Indonesisch der Hausangestellten. Somit wird The Moon is Wet nicht nur zum Sprachrohr derjenigen, die gesellschaftlich keine Stimme haben, sondern auch zu einer Geste des Widerstands gegen die staatliche Sprach- und Medienpolitik in Singapur.
Die Ausstellung Make a travel deep of your inside, and don’t forget me to take macht deutlich, dass sich die Auseinandersetzung mit Identität, Machtstrukturen, Feminismus und Queerness in Charmaine Pohs Werken zu einem Plädoyer für ein verantwortliches Miteinander verdichtet. Sowohl in Bezug auf die Menschen als auch auf die Umwelt, sowohl im analogen als auch im digitalen Raum.
Charmaine Poh: Make a travel deep of your inside, and don’t forget me to take
Deutsche Bank „Artist of the Year“ 2025
Ausstellungsdauer: 11.9.2025 – 23.2.2026
PalaisPopulaire
Unter den Linden 5
10117 Berlin
PalaisPopulaire






