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Malerei / Zeichnungen
Diego Habobas (Buenos Aires)
Malerei und Geschichte –
Neuerfindung von politischer Erinnerung im Werk Diego Habobas
Die Art und Weise, wie die Vergangenheit den Eindruck von Aktualität annimmt,
wird durch das Bild vorgegeben, in dem sie erfasst wird, sagte Walter Benjamin.
Von diesem Gedanken aus kann man sich den Fragestellungen nähern, die sich bei der Auseinandersetzung mit dem Werk Diego Habobas ergeben.
Die Erinnerung - in all ihren Ausformungen, von der kleinsten bis zur umfassendsten - erscheint in seiner Arbeit als ein sich beständig erneuernder Auswahlprozess. Es ist bekannt, dass zum Erzählen einer Geschichte jener Gesichtspunkt ausgewählt wird, welcher deren Bedeutung verändert und damit eine bestimmte Absicht verfolgt. Geschichte und Erinnerung sind nicht nur Teile desselben Vorgangs, sondern sie können auch, wie in den Arbeiten Habobas, eine einzige Bedeutung annehmen.
Haboba arbeitet über die Erinnerung, er setzt beispielsweise seine individuelle Erinnerung in Beziehung zu den größeren Koordinaten eines historischen Rahmens: Argentinien des 20. Jahrhunderts. Er fungiert als Entdecker und Entschlüssler kodierter Meldungen und verleiht ihnen neue Bedeutung.
Seine chiffrierten Meldungen sind Familienfotos, die wie Indizien einer Vergangenheit erscheinen, deren Narrative unterbrochen wurde. Haboba begreift die Auseinandersetzung und Neubearbeitung persönlicher und gesellschaftlicher Vergangeheit als eine Notwendigkeit innerhalb seines künstlerischen Schaffensprozesses.
Demnach bietet die Auseinandersetzung mit der Geschichte dem Künstler die Möglichkeit, Bilder innerhalb einer möglichen Sequenz wiederherzustellen. Haboba entscheidet sich bewusst dafür, diese an einen Ort der Provokation zu verschieben. Er schreibt die Mikrogeschichte seiner eigenen Familie durch Umstellungen und Anachronismen um. Die Möglichkeit einer Revision der Vergangenheit wird dadurch jedoch nicht geschmälert, sondern gesteigert.
Seine Umstellungen untergraben die Deutung, sie zeigen unterschiedliche Perspektiven auf, die real nebeneinander existierten bzw. nach wie vor noch existieren: die private Familiengeschichte ebenso wie die weiter gefasste, auf die politische Geschichte Argentiniens der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts beruhende, verweist. Seine Anachronismen setzen die Möglichkeit frei, Vergangenheiten miteinander zu verknüpfen, um sie schließlich mit der Gegenwart zu verbinden. Die Verarbeitung der Prozesse ist dabei jedoch längst nicht vollständig abgeschlossen.
Die als Serie angeordneten Bilder ergeben einen neuen Handlungszusammenhang.
Dargestellt werden in ihnen kleine Alltagsszenen, in denen die Zeit still zu stehen scheint. Szenen, in denen melancholische Menschen, umgeben von einer träumerischen Aura, gezeigt werden, die wach träumen können und eine vielschichtige Vergangenheit wieder erinnern lassen. Die Auswahl an Familienfotos ist das primäre Bildmaterial seiner Arbeiten.
Diese Fotos gehören zum Erinnerungsfundus seiner Familie, und der vieler anderer, womöglich aller Argentinier, die Generation für Generation die unterschiedlichen Wegstrecken des vergangenen Jahrhunderts zurückgelegt haben. Die Prozesse der Bearbeitung und Neudeutung der Fotografien sind vergleichbar mit einer "Erinnerungsübung", welche es einem ermöglicht, sich wiederzuerkennen und sich als Teil einer gemeinsamen Vergangenheit zu fühlen.
Und dennoch: diese Vergangenheit ist nicht die, für die wir sie halten.
Weder die Strandfotos, die er anpasst und bearbeitet und auf denen wir unsere eigenen Großeltern zu erkennen glauben, noch die Fotos von Sommerspielen, die unsere Eltern zu zeigen scheinen oder gar uns selbst, zeichnen einen bestimmten, singulären Zeitpunkt auf.
Hier, an dieser Überschneidung der Zeiten, an diesem anachronistischen Verfahren lässt sich die künstlerische Arbeit Habobas verorten. Mithilfe eines symbolischen Gestus werden die Fotos von Fragmenten einer Familiengeschichte - seiner eigenen, neben der vieler anderer - in ein erweitertes Konzept von Familie umgewandelt, welches auf eine kollektive Erinnerung verweist. Doch seine künstlerische Arbeit geht über die Bearbeitung von Bildern hinaus. Er erfindet zudem Episoden, die dieser Erinnerung hinzugefügt werden. In ihnen offenbaren sich unerfüllte Träume und Erwartungen, die in der politischen Vorstellung vieler Menschen immer noch präsent sind. Hier trifft Familiengeschichte fiktiv auf nationale Vergangenheit und Geschichte. Beide beeinflussen und verändern sich gegenseitig.
Habobas Mikroszenen bringen verschiedene Faktoren einer Geschichte zutage. Durch ihre Zusammensetzung werden Positionen aufgedeckt, die im Gedächtnis der politischen Bilderwelt untergegangen sind, die ausgelöscht wurden, Träume, deren Erfüllung ausblieb...
Betrachten wir, wie er Erinnerung neu gestaltet. Haboba verwandelt seine Großeltern - der Großvater flüchtete vor dem Nationalsozialismus, die Großmutter gehörte den spanischen Republikanern an, die sich nach dem Bürgerkrieg in der Diaspora wiederfanden - imaginär in Peronisten. Er lässt sie am 17. Oktober 1945 auf der Plaza de Mayo auftreten und erfindet ein Treffen der beiden, durch das ihr Schicksal für immer besiegelt wird. Er verortet sie somit in der Anhängerschaft des ersten Peronismus, die sich eine glückliche Welt erträumte.
Die Begeisterung für den Peronismus fand 1955 ihr Ende, als sie auf brutale Spielarten von Zensur und Unterdrückung traf, die sich in Habobas Narrative mit denen der letzten Militärdiktatur vermischen, unter der seine Eltern litten. Auf diese Weise verdichtet der Künstler (mit dem Stilmittel des Anachronismus) Aspekte seiner eigenen familiären Geschichte und der Argentiniens und verbindet sie zugleich mit dem Schicksal vieler Europäer, welches dazu führte, dass seine Familie – ebenso wie viele andere auch - auf diese Seite des Atlantiks übersiedelten.
Die Überblendungen und Überschneidungen des Fiktiven und Realen ermöglichen es, zahlreiche Prozesse miteinander zu verbinden: den Autoritarismus in seinen unterschiedlichsten Ausprägungen einerseits (vom Faschismus bis zur letzten Militärdiktatur in Argentinien), sowie die Träume von Erneuerung und Wandel, welche die Geschichte Argentiniens im Laufe des vergangenen Jahrhunderts durchzogen andererseits (angefangen von der revolutionären Utopie, die die spanische Republik vorantrieb, bis zu den Idealen des Wandels des Peronismus und den revolutionären Ideen junger Menschen in den sechziger und siebziger Jahren).
So ordnet Haboba auf komplexe Art und Weise - ganz in der Tonart der eigentümlichen Geschichte von Jacobo el errante - die Szenen (s)einer möglichen Geschichte neu an. Durch diesen Prozess des Rückbezugs auf die private Vergangenheit erzeugt er paradoxerweise gleichzeitig eine Ausweitung in die gesellschaftliche Gegenwart.
Der Mikrokosmos seiner Erzählungen interferiert mit den großen Prozessen der argentinischen und europäischen Geschichte, auch deshalb können Habobas Arbeiten als politische Arbeiten betrachtet werden. Sie positionieren Geschichte innerhalb einer familiären Mikrogeschichte, bearbeiten sie und lassen dabei sichtbar werden, wie politische Ereignisse Raum und Alltag einer Familie verändern.
Durch diese anachronistisch verzerrte Narrative werden neue Deutungen angeregt. Sie macht aufmerksam auf Orte der Erinnerung und ihr Vermögen, Geschichte von einer sich verändernden Gegenwart aus immer wieder neu zu beschreiben.
Diana B. Wechsler
Buenos Aires, April 2008
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