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In den Fußstapfen Karl Mays

von Verena Straub (16.04.2012)


In den Fußstapfen Karl Mays

Aktuelle indigene Kunst aus Nordamerika wird in Berlin immer noch ignoriert. Die Ausstellung “Indianische Moderne” im Ethnologischen Museum versucht dies zu ändern - und scheitert am eigenen romantisierenden Blick.

Wenn wir ins Ethnologische Museum gehen, erwarten wir vor allem eins: verstaubte Relikte längst vergangener Kulturen. Wir wollen die Kunstfertigkeit ferner Völker erkunden, exotischen Federschmuck bewundern und archaische Kultobjekte sehen mit denen einst böse Geister ausgetrieben wurden. Was wir in den Vitrinen jedoch nicht erwarten, sind atmende, lebendige Menschen. Man kann sich also vorstellen, welchen Schock die Besucher des “Ethnographic Museum of Man” 1987 in San Diego erfuhren, als sie einen “echten Indianer” im Ausstellungskasten sahen. Mit nur einem Lendenschutz bekleidet, lag der Performance-Künstler James Luna mehrere Tage lang regungslos hinter Glas auf einem Sandbett. In der Vitrine neben ihm waren Alltagsgegenstände versammelt, die sein Leben als Luiseño-Ureinwohner dokumentierten. Doch statt schamanischer Rasseln und Federhauben, lagen hier gewöhnliche Kinderfotos, Schallplatten der Sex Pistols oder Lunas Scheidungspapiere. Der “tote” Ureinwohner, der vom Westen als Teil einer romantischen Vergangenheit fantasiert wird, ist auf einmal lebendig - und hört sogar dieselbe Rockmusik wie wir.

Die Erkenntnis, dass Menschen indigener Abstammung nicht nur in Winnetou-Filmen existieren, sondern in modernen Metropolen leben, Jeans tragen und Kunstakademien besuchen, soll nun auch in Berlin vermittelt werden. Das Ethnologische Museum in Dahlem entdeckt derzeit die “Indianische Moderne” mit Kunstwerken aus Nordamerika. Doch anstatt - wie James Luna - den ethnographischen Blick des Westens parodistisch zu unterlaufen, tappt die Berliner Ausstellung weiterhin in den Fußstapfen Karl Mays.

Noch bevor man die Ausstellung überhaupt gesehen hat, drängt sich die Frage auf: Warum muss ich eigentlich ins Ethnologische Museum fahren, um moderne und zeitgenössische Kunst zu sehen - und nicht etwa zum Hamburger Bahnhof? Anscheinend fühlt man sich dort für “Indianerkunst” nicht zuständig. Stattdessen verfrachten die Staatlichen Museen diese “andere” Moderne (wie es in der Ausstellungsbeschreibung heißt) als ethnologische Kuriosität nach Dahlem. Allein diese Entscheidung sagt einiges über unsere angeblich so globale zeitgenössische Kunstszene aus. Indigenen wird zwar eine Moderne zugesprochen - doch Teil der internationalen Kunstszene sind sie deshalb noch lange nicht. Über diesen Missstand beklagt sich sogar Peter Bolz selbst, der Kurator am Ethnologischen Museum in Berlin. Im Interview mit dem Stadtmagazin Tip sagte er: “Solange die Kunstmuseen nichts mit dieser Art von Kunst zu tun haben wollen, sehen wir Ethnologen uns verpflichtet, diese Form von Kultur, denn Kunst ist ein Teil der Kultur, hier zu sammeln.”

Doch was ist das für eine Sammlung, die hier gezeigt wird? Vorwiegend handelt es sich um klassische Gemälde auf Leinwand oder Drucke. Die “andere” Moderne scheint auf den ersten Blick gar nicht so anders. Dies ist auch gar nicht so verwunderlich, denn Anfang des 20. Jahrhunderts wurden indianische Malschulen (meist von Weißen) gegründet, um speziell für den boomenden Touristenmarkt zu arbeiten. Gemalt wurde, was den Ethno-Konsumenten gefällt und was in der Folge als “authentisch” indianisch galt: ein flächiger Stil, harte Konturen und Darstellungen der traditionellen Lebensweise. Man findet zahlreiche Aquarellzeichnungen mit stereotypen Schamanen, die in Federschmuck ums Feuer tanzen oder Krieger, die mit Speeren bewaffnet die Wilden mimen. Zwar reflektieren die Ausstellungstexte diese vom westlichen Kommerz auferzwungene Malweise kritisch, dennoch erscheinen die Bilder im Rahmen einer “indianischen” Moderne. Ein zutiefst widersprüchliches Konzept, das zu Missverständnissen führt und gefährlich nah an eine erneute Romantisierung rückt.

Viele Werke der Sammlung ließen sich mit dem Label “typisch indianische Themen in modernem Gewand” umschreiben: Michael Kabotie malte seine Schamanen wie Picasso seine Frauenfiguren - was seinem Stil den Spitznamen “Hopi-Kubismus” einbrachte. Die Kiowa-Künstler aus Oklahoma kombinieren hingegen die Ledger-Kunst der Prärie-Indianer mit dem Stil des Art Deco. Und auch in den Bildern von Kevin Red Star erscheinen klischeehafte Indianerportraits in expressionistischer Manier. Selbst die wenigen zeitgenössischen Werke zeigen das Verschmelzen von Tradition und Moderne als scheinbar unproblematischen, harmonischen Vorgang. So verknüpft Nicholas Galanin in seiner Videoarbeit Hip Hop-Moves mit traditionell schamanischen Tänzen, um aufzuzeigen wie eng beide Welten doch beieinander liegen. Wie wunderbar, so denkt man beim Anblick dieser Werke, dass sich “indianische” und “westliche” Welt so bruchlos zusammenfügen! Selbst wenn man hier Konfrontationen begegnet, bleiben diese erstaunlich unpolitisch - absolut ungefährlich. Und alle sind glücklich. Oder?

“Romantisierung ist eine neue Form des Rassismus”, sagt Jimmie Durham. Er ist einer der interessantesten Künstler, die sich vom Etikett der “authentischen” indigenen Kunst befreit haben und mit Ironie und Witz diesen Blick entlarven. Er grenzt sich bewusst von den oben genannten Künstlern ab, die mit ihrem Primitivismus und scheinbarer “Authentizität” den westlichen Blicken gefallen wollen. Seine politischen Werke sind in der Ausstellung nicht zu sehen. Ebensowenig ist die junge Generation nordamerikanischer Künstler vertreten, die sich als “Post-Indian” verstehen. Dazu gehört nicht nur der Performance-Künstler James Luna, sondern auch Maler wie Kent Monkman, der mit seinen ironischen Kitschbildern die westliche Romantik ebenso aufs Korn nimmt wie die Klischees von Cowboy-und-Indianer-Pärchen. Viele dieser postmodernen Werke sind unbequem, provokativ und politisch. Sie lassen sich nicht vom westlichen Nostalgie-Blick vereinnahmen, sondern konfrontieren uns mit unseren eigenen Vorurteilen. Wer sind sie eigentlich, diese “Indianer”, die auch hier wieder in einen Topf geschmissen werden? Während es der Ausstellung immer noch um eine Konstruktion indigener Identität geht, beabsichtigen jene Künstler im Gegenteil eine Dekonstruktion derselben. Sie wollen ein für alle Mal mit der Vorstellung des “authentischen” Indianers und einer Typisierung von indigener Kunst aufräumen. Die Berliner Ausstellung muss daher - trotz aller gut gemeinter Absichten - als Rückschritt gelten. Höchste Zeit also, dass sich die Berliner Kunstwelt für diese Arbeiten interessiert, damit das Fantasiebild des “Indianers” die Welt der Ethnographischen Museen endlich verlassen darf. Wie oft muss sich James Luna denn noch ins Sandbett legen, damit das passiert?

Indianische Moderne. Kunst aus Nordamerika
Ausstellungsdauer: noch bis zum 28. Oktober 2012

Öffnungszeiten: Di-Fr: 10-18 Uhr, Sa-So: 11-18 Uhr

Ethnologische Museum
Arnimallee 27 14195 Berlin

Ethnologisches Museum Berlin

Verena Straub

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