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History is Mine, History is not Mine...

von Verena Straub (28.05.2014)
vorher Abb. History is Mine, History is not Mine...

Mounir Fatmi, History is not Mine, 2013, 5:00 Min., HD-Video (Videostill), © Neuer Berliner Kunstverein / Mounir Fatmi

Unter dem Titel „Giving Contours to Shadows“ haben sich der Neue Berliner Kunstverein (n.b.k.) und der Projektraum SAVVY Contemporary zusammengeschlossen, um alternative künstlerische Formen der Geschichtsschreibung zu erforschen.

Geschichte wird nicht selten mit Waffen geschrieben. Im Fall der Videoarbeit von Mounir Fatmi (geb. 1970 in Marokko) im n.b.k. wird sie mit zwei Hämmern in eine Schreibmaschine geklopft. Mit dem Knallen von Gewehrschüssen werden die Metalllettern ins Papier gezwungen. Sie hinterlassen ein unleserliches Kauderwelsch, das weniger als Text denn als Spur der Aggression zu lesen ist. Wem „gehört“ Geschichte? Wer hat die Hämmer in der Hand? Dass Geschichtsschreibung aufs Engste mit hegemonialer Gewalt verknüpft ist, wurde von den Vertretern postkolonialer Studien vielfach erforscht. „Geschichte ist eine höchst praktische Fantasie des Westens, die genau aus jener Zeit stammt, als dieser allein die Weltgeschichte ‚machte’“, so drückte es der französische Kulturtheoretiker Édouard Glissant aus. Wer an der Schreibmaschine der Geschichte sitzt, der hat die Macht, so scheint es.

Mit seiner Videoinstallation kommentiert Mounir Fatmi jedoch keine blutig niedergeschlagenen Aufstände, keine unterdrückten Narrationen oder koloniale Machtmechanismen, sondern die Realität unseres zeitgenössischen Kunstbetriebs. 2012 wurde Fatmis Lichtprojektion „Technologia“ – eine Verbindung von Duchamps Rotorreliefs und arabischer Kalligraphie – von einer Gruppenausstellung in Toulouse entfernt. Die Tatsache, dass heilige Koranverse auf den Boden einer Brücke projiziert und dadurch mit Füßen betreten werden konnten, hatte zu gewaltvollen Protesten von Seiten muslimischer Gruppierungen und schließlich zur Zensur seines Werkes geführt. „History is Mine“: so lautete ironischerweise der Titel der Toulouser Ausstellung. „History is not Mine“ (2013-2014), so lautet Fatmis ernüchtert klingende Reaktion.

Doch um Ernüchterung geht es dem Projekt „Giving Contours to Shadows“ gerade nicht. Ganz im Gegenteil. Fatmis Arbeit zeigt letztlich, dass Geschichte immer ein Palimpsest aus Schreiben, Zensieren, Umschreiben – aber auch Neuschreiben ist. Und zwar eines, das weit über die gewohnten Diskurse der postkolonialen Studien hinausreicht. In fünf Kapiteln wollen die beiden Kuratoren Bonaventure Soh Bejeng Ndikung und Elena Agudio genau jene alternativen Narrative einfangen, die irgendwo im nebulösen „Schatten“ der (offiziellen) Historie hausen.

Alexandre Singh, Assembly Instructions: The Pledge (Donatien Grau), 2012 / Adelita Husni-Bey, (On) Difficult Terms, 2013, Ausstellungsansicht Neuer Berliner Kunstverein, 2014, © Neuer Berliner Kunstverein / Jens Ziehe

Was wird erzählt, was wird nicht erzählt, und mit welchen Bildern, welchen Wörtern? Adelite Husni-Bey (geb. 1985 in Italien) dokumentiert einen Workshop ägyptischer Journalisten, die über die dominierende Narration des „Arabischen Frühlings“ diskutieren („ein durch und durch fremdes Label, das total verniedlichend ist.“, „Arabisch – was ist das? Doch nur eine fiktive Region, die überhaupt keine gemeinsame Geschichte hat“). In der Mitte des Mindmaps liest man: „Tahrir is not a Square“. Sondern? Ein Kreisverkehr. Aber vor allem: ein aufgeladenes Symbol, das für die Komplexität der Bedeutungen und gleichzeitig für die Banalität der Fremdzuschreibungen steht.

Im Erdgeschoss bei SAVVY Contemporary in Neukölln sind Werke zu sehen, die Geschichtsschreibung in die Zukunft verschieben. Wanuri Kanihu (geb. in Nairobi) entwirft mit ihrem Science-Fiction Kurzfilm „Pumzi“ (2009) eine dystopische Zukunft, in der eine magersüchtig aussehende Frau den letzten überlebenden Pflanzentrieb in einer ausgetrockneten Wüstenwelt mit ihren Schweißtropfen tränkt. In Neïl Beloufas (geb. 1985 in Paris) Video „Kempinski“ (2007) erzählen Laiendarsteller von einer Welt, in der Menschen mit Ochsen reden, Telepathie betreiben und in mobilen Häusern leben. Mit Neonröhren in der Hand, auf dreckigen Plastikstühlen unter Bäumen hockend, wirken sie wie Propheten zwischen Futurismus und altmodischer Bauernromantik. All diese Videos sind keine Versuche, sich die Geschichtsschreibung anzueignen, sondern sie zu entlarven. Sie machen deutlich, dass Geschichte letztlich vor allem eins ist: eine Fantasie. Oder wie der Historiker Greg Dening sagt: „Historien sind Fiktionen – etwas aus der Vergangenheit Gemachtes –, aber Fiktionen, deren Formen Metonymien der Gegenwart sind“.

Fiktionen allerdings, die nicht zwangsläufig in Form von Sprache, Schrift oder Bildern daherkommen müssen, sondern auch in Körper eingeschrieben sind. Oder durch Körper zum Leben erweckt werden. So etwa in den Performances von Halida Boughriet (geb. 1980 in Paris), die mit Tänzern im Museum ikonographische Klassiker wie die Darstellung der Heiligen Familie, Pietà oder Kreuzabnahme Christi mit langsamen Bewegungen und barocker Lichtdramatik neu erzählt. Der von den Kuratoren immer wieder betonte performative Geschichtsbegriff kommt aber vor allem in einem umfangreichen Performanceprogramm zum Ausdruck, das im Gorki Theater und in der Gemäldegalerie stattfinden wird.

Emma Wolukau-Wanambwa, Nice Time, 2014, Ausstellungsansicht SAVVY Contemporary, 2014, © Neuer Berliner Kunstverein / SAVVY Contemporary /Jens Ziehe

Eine Performance ist auch dauerhaft im n.b.k. zu sehen, nämlich die stoisch vor sich hin häkelnde Lerato Shadi (geb. 1979 in Südafrika). Neben ihr liegt ein gigantischer Wollknäuel, vor ihr ein immer länger werdender Schal, der sich wie ein roter Teppich erwartungsvoll in den Ausstellungsraum windet. Ein stummes Zeugnis der vergehenden Zeit, das uns einmal mehr daran erinnert, dass Ausstellungen eben auch Geschichte(n) schreiben. In diesem Fall sehr kluge.

Lerato Shadi, Mosaka wa nako, 2014, Performance im Neuen Berliner Kunstverein, 2014, © Neuer Berliner Kunstverein / Jens Ziehe

Laufzeit der beiden Ausstellungen: noch bis 27. Juli

n.b.k., Neuer Berliner Kunstverein
Chausseestraße 128/129, 10115 Berlin, nbk.org
Öffnungszeiten: Di-So 12-18 Uhr, Do 12-20 Uhr

SAVVY Contemporary
Richardstraße 20, 12043 Berlin, savvy-contemporary.com
Öffnungszeiten: Do-So 16-20 Uhr

Performance-Programm:
26.-28.5. (Maxim Gorki Theater)
25.6. (Gemäldegalerie)

Roundtable-Programm:
26.-27.6. (n.b.k., SAVVY Contemporary und Heimathafen Neukölln)

Projekt-Blog unter givingcontours.net

Verena Straub

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Titel zum Thema Giving Contours to Shadows:

History is Mine, History is not Mine...
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