19 Uhr: mit Professorin für Medienkunst an der HGB Leipzig, Christin Lahr und den Künstler*innen der Ausstellung "Crimes of Carelessness (the deep and the foamy)" (engl.). VILLA HEIKE | Freienwalder Str. 17 | 13055 Berlin
Rainer Werner Fassbinder, 1970, © Deutsches Filminstitut, Frankfurt am Main, Foto: Peter Gauhe
Der Meister begrüßt seine Gäste persönlich: Im ersten Raum der Ausstellung Fassbinder – JETZT im Martin-Gropius-Bau zeigen neun Monitore Ausschnitte aus Fernsehinterviews mit dem Regisseur und Produzenten, dem Autor und Schriftsteller, die Nahaufnahmen stimmen ein auf eine dichte und eindrückliche Präsentation. Auch das Werk Fassbinder Fragmente (2012) von Olaf Metzel (geb. 1952 in Berlin) hängt hier, es gibt dieser Dichte und Eindrücklichkeit eine raumbezogene Form. Die beidseitig bedruckte Aluminiumplatte wirkt in ihrer Verformung und Faltung wie ein großes, zerknülltes Papier, lässt einen Blickausschnitt in das Gesicht Fassbinders zu und deutet mit Linien und Zahlen ein Arbeitsdokument an.
Vielleicht verbindet der erste Raum auch die beiden Hauptakteure der gerade eröffneten Ausstellung anlässlich des 70. Geburtstags, die das Deutsche Filmmuseum in Kooperation mit der Rainer Werner Fassbinder Foundation in Berlin über den Sommer präsentiert: Der lange Zeit sehr umstrittene und nun mit Kultcharakter ausgestattete Fassbinder als Person und sein filmisches Werk, das intensiv, provokativ und bis heute inspirierend ist. Insgesamt 44 Filme sind in nur 16 Jahren entstanden, Ausschnitte aus 23 Werken wie Angst essen Seele auf (1974 mit Brigitte Mira) oder Die Ehe der Maria Braun (1978 mit Hanna Schygulla) werden gezeigt. Sie zeugen einmal mehr von dem beindruckenden Arbeitspensum. Fassbinder „dreht Filme wie andere Leute Zigaretten“, schrieb schon der Spiegel 1975. Und die „schlugen damals wie Meteoriten in eine vermuffte Gesellschaft ein“, ergänzt Gereon Sievernich.
Rainer Werner Fassbinder und Michael Ballhaus am Set von WARNUNG VOR EINER HEILIGEN NUTTE, 1970/71, © Deutsches Filminstitut, Frankfurt am Main, Foto: Peter Gauhe
Für Claudia Dillmann, Direktorin des Deutschen Filmmuseum, liegt auch der Fokus auf den Filmen des im Alter von nur 37 Jahren verstorbenen Künstlers. Es gäbe diese „Langzeitwirkung“ seines Oeuvres, das eine schonungslose Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen und privaten Strukturen West-Deutschlands und ihrer Verflechtung sei. Seine Überzeugung: auch das Private ist politisch. Fassbinder entlässt uns bis heute nicht in die bequeme Unschuld und analysierte schonungslos private und persönliche Machtstrukturen.
In der Ausstellung greifen Arbeiten zeitgenössischer Künstlerinnen und Künstler Fassbinders Themen und ästhetische Verfahren auf. So bedient sich die in Bangladesch geborene Runa Islam (geb. 1970) der berühmten kreisenden Kamerafahrten, die Fassbinder mit Michael Ballhaus entwickelte, schwindelerregenden 360 Grad Einstellungen. Zwischen drei Leinwänden bewegen sich die Besucher in ihrer Installation, erhalten Einblicke hinter die Kulissen. Fotografien des Kanadiers Jeff Wall (geb. 1946) wie The Thinker (1986) oder The Woman and Her Doctor (1980/81) überführen seine ästhetischen Strategien auf großformatige Bilder.
Olaf Metzel: Fassbinder Fragmente, 2012, © Leonie Felle, München
Doch auch Briefe, Manuskripte, Drehbücher, Storyboards und Teile seiner privaten Videosammlung, die Schreibmaschine, an der Fassbinders Mutter Lilo Pempeit seine in der Nacht diktierten Texte abtippte, Fahrrad und Flipper-Automat sowie das große, braune Ledersofa führen in die Fassbinder-Welt. Ein Ausstellungsraum widmet sich dem Werk der Kostümbildnerin Barbara Baum, zeigt Kleider, Vorzeichnungen und Stoffmuster. Die seit Anfang der 1970er bis zu seinem Tod für Fassbinder tätige Baum erhält in diesem Jahr den Ehrenpreis für herausragende Verdienste um den Deutschen Film.
Fassbinders komplexes Werk, seine stilistischen Mittel wie beispielsweise das komplizierte Blickgefüge der Protagonisten in seinen Filmen, auch einem jüngeren Publikum nahe zu bringen, ist ein Anspruch der Ausstellung. Den von ihm geführten Blick auf die Nachkriegsjahrzehnte der Bundesrepublik in die Gegenwart zu holen, ein anderer. Juliane Maria Lorenz, Cutterin, Lebensgefährtin des Künstlers, von Fassbinders Mutter als Alleinerbin eingesetzt und seit 1991 Präsidentin der Rainer Werner Fassbinder Foundation, erinnert an das weltweite Aufsehen, das die Filme seinerzeit erregten. Auch in Ostdeutschland waren und seien sie bis heute präsent. Nur die Fernsehsender verweigerten sich, weder im öffentlich-rechtlichen noch auf privaten Sendern liefen Fassbinder-Filme, so Lorenz´ Kritik. Mit der Ausstellung soll sein Werk aus einer aktuellen Perspektive gezeigt werden, ein Anspruch der durchaus erfolgreich umgesetzt wurde. Lediglich der Personenkult um Fassbinder scheint mehr im Mittelpunkt zu stehen als vorgegeben, sein früher Tod ist durchaus mit seinem exzessiven Lebensstil zu verbinden, seine Kreativität hatte nicht nur für ihn ausbeuterische Aspekte.
Der Aussage seiner Erbin Juliane Maria Lorenz, Rainer Werner Fassbinder mache „immer noch glücklich und viel Arbeit" wäre hinzuzufügen: Auch die Besucherinnen und Besucher der Ausstellung stehen vor der Aufgabe, die von Fassbinder aufgenommen privaten und gesellschaftlichen Diskussionen über eine spannende und anregende Dokumentation hinaus kritisch und als eigene Fragestellungen mit in ihren Alltag zu nehmen.
Anlässlich des 52. Theatertreffens der Berliner Festspiele findet am Dienstag, den 12. Mai 2015 ab 18 Uhr im Delphi Filmpalast die Fassbinder-Filmnacht statt. Die Ausstellung wird von einer Serie von Theateraufführungen im Rahmen des Theatertreffens der Berliner Festspiele begleitet, im Kino Arsenal läuft eine Filmreihe und der Martin-Gropius-Bau feiert am 31. Mai 2015 den 70. Geburtstag Rainer Werner Fassbinder mit einer Veranstaltung bei freiem Eintritt.
Fassbinder – JETZT
bis 23. August 2015
Martin-Gropius-Bau
Niederkirchnerstraße 7
10963 Berlin
Mi – Mo 10-19 Uhr, an den Feiertagen geöffnet
gropiusbau.de
Titel zum Thema Rainer Werner Fassbinder:
Aktuelles aus der Geschichte. Rainer Werner Fassbinder im Martin-Gropius-Bau
Nur noch dieses Wochenende zu sehen ... und hier Ausstellungsbesprechung.
Galerie im Körnerpark
Haus am Lützowplatz / Studiogalerie
Kunsthochschule Berlin-Weißensee
Schloss Biesdorf
GalerieETAGE im Museum Reinickendorf