Elaine Sturtevant: Johns Flag, 1991. © Estate Sturtevant, Paris, Courtesy Galerie Thaddeus
Ropac, Paris/Salzburg
Elaine Sturtevant gilt als eine der einflussreichsten Künstlerinnen in der zeitgenössischen Kunst, auch oder vielleicht gerade weil ihrem umfangreichen und komplexen Werk lange die Anerkennung fehlte. Vor 10 Jahren fand in Frankfurt eine große Überblicksausstellung zum Werk von Sturtevant statt, damals wurde das ganze Museum ausgeräumt und mit Werken der Amerikanerin gefüllt. Das zeichnerische Oeuvre wird nun im Hamburger Bahnhof vorgestellt.
Udo Kittelmann und Mario Kramer, Kurator am MMK, lassen keinen Zweifel aufkommen: Für sie ist die 1924 in Lakewood, Ohio, geborene Elaine Sturtevant eine der interessantesten künstlerischen Figuren der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die im letzten Jahr in ihrer Wahlheimat Paris verstorbene Konzeptkünstlerin hinterließ ein kompromissloses und radikales Werk – Gemälde, Skulpturen, Film- und Videoarbeiten, in denen sie sich mit den künstlerischen Produktionen ihrer Zeitgenossen auseinandersetzt. Das gut 100 Arbeiten umfassende grafische Werk aus fünf Jahrzehnten wird nun bis auf einige wenige Ausnahmen vollständig in Berlin präsentiert.
Während der 1960er Jahre lebte Sturtevant, wie sich selbst nannte, auch, um nicht als weiblich identifiziert zu werden („I have nothing to do with feminism.“), in New York und war Mitglied der dortigen Kunstszene. Hier entstanden die „Composite Drawings“, ihre ersten, von Anfang an konsequenten Wiederholungen von Arbeiten damals bekannter und auch unbekannter Künstlerkollegen. In Working Drawing Warhol Flowers Lichtenstein Pointed Finger von 1966 vereint Sturtevant in einer für sie typischen Collage die beiden Motive, nimmt sie, so Mario Kramer, „wie unter ein Vergrößerungsglas“. Beide, Warhol und Lichtenstein gehören zum persönlichen Umfeld der Künstlerin, sind einverstanden mit ihrem Kommentar zur amerikanischen Pop Art und ihrer Vermarktung. Bereits 1965 hatte die erste Einzelausstellung in der New Yorker Bianchini Gallery stattgefunden, der programmatische Titel: The American Supermarket.
Sturtevants künstlerische Strategie ist eine Erweiterung des Werkes von Marcel Duchamps (dessen Readymades sie im Übrigen auch alle wiederholt hat). Sie nahm bereits existierende Kunstwerke als Modell für ihre Arbeiten und gab ihnen ihre ganz eigene Handschrift. Auch die Titel weisen immer auf die oftmals noch unbekannten Autoren der verwendeten Ideen hin: Study for Oldenburg Hamburger (Aquarell- und Acrylfarbe, Bleistift auf Papier, 1964), Wesselmann Great American Nude Johns Flag (Collage und Bleistift auf Papier, 1965) oder Stella Lake City (Tusche und Aquarellfarbe auf Millimeterpapier, 1969). Diese „Anti-Readymades werden über die Wiederholung zu originalen Sturtevants“, so Mario Kramer. Die Künstlerin schuf den größten Teil ihrer Arbeiten frei aus dem Kopf, nach einem Besuch im Atelier oder einer Ausstellung. In überaus präziser Arbeitsweise näherte sie sich den Werken, nicht als Aneignung, sondern als durchaus auch politischen Kommentar zu Autorenschaft und vermeintlicher Individualität.
Auch die Nationalgalerie besitzt seit 2008 ein Werk, Beuys la revoluzione siamo noi (1988/92), hier fügte die Künstlerin ihr Gesicht dem bekannten Lichtdruck ein, auch das Schuhwerk wurde ausgewechselt. Zum Werk von Josef Beuys bestand eine intensive Beziehung, Sturtevant erkannte schon sehr früh seine Bedeutung. Der, ebenfalls in der Ausstellung laufende Film Study for Various Beuys Actions (1971) zeigt über 30 Minuten die von der Künstlerin neu inszenierten Aktionen und Performances. „Der emotionale und intellektuelle Schock, auf ein bekanntes Objekt zu stoßen, dem dann sein Inhalt abgesprochen wird …, führt“ so Sturtevant, „zu einem Gleichgewichtsverlust, der das Denken immer weiter vorantreibt.“
Elaine Sturtevant: Working Drawing Warhol Flowers Lichtenstein Pointed Finger, 1966. ©
Collection Paul Maenz, Berlin
Nicht immer mit Verständnis, oft begleitet von großer Kritik – die jedoch nie oder selten von den Kollegen selbst kam -, gibt Sturtevant um 1974 ihr künstlerisches Schaffen auf. Ab Mitte der 1980er Jahre setzt sie ihr zeichnerisches Werk fort, knüpft an ihre Composite Drawings an, erweitert den Kanon u.a. um Keith Haring (Haring Subway Drawing Weiße Kreide auf schwarzem Papier auf Leinwand, 1986), nimmt wieder Roy Lichtenstein auf (Lichtenstein Laughing Cat, Buntstift auf Papier, 1987) und Jasper Johns (Johns Flag, Enkaustik und Bleistift auf Papier, 1991). Ihr Alterswerk erweitert die mit einer schier unermüdlichen Energie ausgestattete Künstlerin um filmische Projekte.
Biografische Daten sind nur wenig bekannt, eine Tochter wird geboren, ab 1992 lebt sie in Paris. Die Künstlerin gab nicht viel Privates preis, nannte beispielsweise verschiedene Geburtsjahre, auch dies ein Spiel mit der AutorInnenschaft. Ihr außergewöhnliches Lebenswerk, für das sie 2011 den Goldenen Löwen auf der Biennale in Venedig erhielt, thematisiert die Ästhetik der Wiederholung: The Beauty of repetition. Sturtevant stellte den Kunst-Produktionen ihrer Zeitgenossen ein dupliziertes Original zur Seite, begab sich immer wieder auf die Suche nach der Beziehung von Original und sogenannter Originalität.
Zur Ausstellung ist im JRP Ringier Verlag Zürich der Katalog SURTEVANT. DRAWING DOUBLE REVERSAL erschienen. Er gibt einen Überblick über das zeichnerische Werk und ist für 29 Euro im Museumsladen erhältlich. Ein Vermittlungsprogramm mit Gesprächen und Angeboten für Schulen begleitet die Ausstellung.
Sturtevant
Drawing Double Reversal
bis 23. August 2015
Nationalgalerie – Staatliche Museen zu Berlin
Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart – Berlin
Invalidenstraße 50-51
10557 Berlin
Di, Mi, Fr 10-18
Do 10-20
Sa, So 11-18
smb.museum
Titel zum Thema Elaine Sturtevant:
Original und Originalität - Elaine Sturtevant im Hamburger Bahnhof
Ausstellungsbesprechung: Elaine Sturtevant gilt als eine der einflussreichsten Künstlerinnen in der zeitgenössischen Kunst, auch oder vielleicht gerade weil ihrem umfangreichen und komplexen Werk lange die Anerkennung fehlte.
Kommunale Galerie Berlin
Galerie im Tempelhof Museum
Alfred Ehrhardt Stiftung
Freundeskreis Willy-Brandt-Haus e.V.
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