19 Uhr: mit Professorin für Medienkunst an der HGB Leipzig, Christin Lahr und den Künstler*innen der Ausstellung "Crimes of Carelessness (the deep and the foamy)" (engl.). VILLA HEIKE | Freienwalder Str. 17 | 13055 Berlin
Mit der Reihe spot on stellte das Institut für Auslandsbeziehungen in den letzten Jahren verschiedene Biennalen vor, die durch das ifa gefördert wurden und bisher in der Kunstwelt wenig bekannt sind. Aktuell geht der Blick nach Marokko, zur Marrakesch Biennale 2014. Zuvor in Stuttgart gezeigt, ist nun die Ausstellung „Carrefour/Treffpunkt. Die Marrakesch Biennale und darüber hinaus“ in der ifa-Galerie Berlin zu sehen: ein spannendes Angebot zum Dialog mit allen Sinnen.
Alya Sebti (geboren 1983 in Casablanca, freie Kuratorin in Berlin) lud Kunstschaffende ein, die an vergangenen Marrakesch-Biennalen beteiligt waren. Mit carrefour entsteht so eine Begegnung zwischen Süd und Nord, Ost und West, eine Bilanz aus 10 Jahren Biennale. Carrefour/Treffpunkt habe jedoch nicht die Absicht, die Bezeichnung „Globaler Süden“ infrage zu stellen, so Sebti. „Es ist vielmehr die Einladung, eine Landkarte im Mikro-Maßstab auf einer individuellen Ebene zu zeichnen – eine Landkarte auf der jede Perspektive einzigartig ist, weil jedes Zentrum subjektiv ist.“
In seiner Performance Grosse Tête (Großkopf, 2014) fordert Yassine Balbzioui die Zuschauer heraus, ihre eigenen Fixpunkte loszulassen. Mit Farbfotografien dokumentiert der 1972 in Marroko geborene und in Frankreich lebende Künstler seine gleichnamige Performance. Aus verschiedenen Materialien fügte er Schicht um Schicht maskenartige Konstrukte zusammen, Verflechtungen ähnlich unserer Beziehungen, die sich bald über den ganzen Körper ziehen, immer umfangreicher werden. Schließlich verliert er die Balance und reist sich den überdimensionalen Kopf herunter.
Auch der französisch-marokkanische Bildhauer Max Boufathal, 1983 in Paris geboren, thematisiert Begegnungen, das Ausbalancieren der „eigenen Deckung“ und das „sich Öffnen für andere“. Seine beiden in der Ausstellung gezeigten Masken nutzt er als „Waffen des Gesellschaftssystems“. Während Serment de Démocrite (Der Eid des Demokrit, 2012, Linoleum) als hermetisches Schild Schutz gibt, fragt Serment d´Aristote (Der Eid des Aristoteles, 2010, galvanisierte Draht und Plastikgarn) nach fragilen Möglichkeiten von Kommunikation. Wie viel Offenheit ist notwendig, wie viel Preisgabe verletzend?
Der algerisch-französischer Objekt- und Installationskünstler Saâdane Afif (geboren 1970 in Frankreich), führt mit seiner Arbeit Souvenir (Erinnerung, Plakat, dreifarbiger Druck auf Papier sowie Souvenir: La leçon de géométrie, Erinnerung: Der Geometrie-Unterricht, Installation, 2014/15) Teile einer komplexen Erzählung nach Berlin. Während der Marrakech Biennale 5 lud er einen Geometrielehrer dazu ein, jeden Abend auf dem zentralen Platz eine Unterrichtstunde abzuhalten. Während der Ort gleich blieb, veränderte sich die Dynamik durch die verschiedenen Teilnehmer und Besucher. Afif nutzte beispielsweise eine der Zeichnungen des Lehrers (Souvenir: La leçon de géométrie C3p002, Erinnerung: Der Geometrie-Unterricht, Dokument, Pigmentdruck auf Archivpapier) als Vorlage für die Produktion eines Teppichs in traditioneller Berbertechnik (Souvenir: La leçon de géométrie, Erinnerung: Der Geometrie-Unterricht, Teppich, Prototyp) und verwebte so im wortwörtlichen Sinne Gegenwart und Zukunft, Sprache und Handwerk.
Leila Alaoui untersucht in Crossings (Übergänge, 2013, Video 6:20 min.) die Erfahrungen von Migranten aus subsaharischen Ländern. Die 1982 geborene, französische-marokkanische Künstlerin lebt und arbeitet abwechselnd in Marrakesch und Beirut. In ihrer großformatigen Videoinstallation, aus über 100 Stunden Interviews mit 20 Migrantinnen und Migranten zusammengeschnitten, gibt sie den Flüchtlingen eine Stimme. Sie lässt die vergessene Minderheit ihre Geschichten erzählen, zeigt Nahaufnahmen der Gesichter, Meer, Wüstenlandschaften. Alaoui fordert die Besucher eindrücklich auf, sich Zeit zu nehmen und aufmerksam zuzuhören.
In Zusammenarbeit mit S.T.I.F.F. entwickelte die Berliner Kuratorin Clara Meister das Performance Projekt Singende Karten und geborgene Gesänge (2014, CD). Im Rahmen der Marrakech Biennale 5 entstand eine alternative Kartierung der Stadt. An sieben Punkten der historischen Altstadt schuf Meister mit Till-Moritz Ganssauge (S.T.I.F.F.) eine Skulptur- und Soundinstallation, die auf musikalische Performances während der Biennale zurückgreift und der vielsprachigen Stadt eine weitere hinzufügte: die universelle Sprache der Musik. Aufgeführt wurden Werke aus ganz unterschiedlichen Richtungen von traditionell bis experimentell, die zum Verirren in der Stadt und zum Verweilen einluden.
Die japanische Künstlerin und Architektin Megumi Matsubara (geboren 1977 in Tokio, lebt seit 2012 in Fes, Marokko) verbindet mit ihrer Rauminstallation Udress (Ausziehen, 2015) alle beschriebenen Werke, in dem sie die Grenzen unserer Wahrnehmung verschiebt und aufhebt. Im Ausstellungsraum hängen hauchdünne Stoffbahnen, von denen Duftkompositionen ausgehen. Es sind „Übersetzungen“ ihrer Gedichte von Aromatherapeuten und Parfümeuren, acht Umsetzungen in zarte Düfte, die sich je nach Standort vermischen und neu entwickeln. Gemeinsam aus ihnen entsteht der neunte Duft – La Japonaise. Er umgibt die ausgestellten Objekten sowie die Besucher, ein gemeinsamer Wahrnehmungsraum entsteht.
Die Ausstellung wird durch ein umfangreiches Rahmenprogramm begleitet, ein Katalog ist zum Preis von 7,- Euro erhältlich. Er enthält Beiträge der Beteiligten sowie weiterer Autorinnen und Autoren, die zu Carrefour beigetragen haben: Nico Anklam, Bonaventure Soh Bejeng Ndikung, Stacy Hardy und Angelika Stepken.
Carrefour/Treffpunkt
Die Marrakech Biennale und darüber hinaus
Ifa-Galerie Berlin
bis 4. Oktober 2015
Linienstraße 139/140
10115 Berlin
Di – So 14 – 18 Uhr
Sonderöffnungszeiten während der Berlin Art Week 15. – 20. September 2015, 12 – 20 Uhr
ifa.de
Titel zum Thema Marrakesch Biennale:
Kreuzpunkte - Ein Blick nach Marrakesch in der ifa-Galerie Berlin
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