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Wohn-Sinn: „Das Thema kehrt mit Wucht zurück“

von Inge Pett (12.12.2015)
vorher Abb. Wohn-Sinn: „Das Thema kehrt mit Wucht zurück“

Ausstellungsansicht / Eröffnung 22.10.2015, Detail, Atelier Bow-Wow, Urban Forest, 2015

„Wollen die Jungen das Rad etwa neu erfinden?“ wundert sich eine Besucherin der Ausstellung „Wohnungsfrage“ im Haus der Kulturen der Welt. Wohngemeinschaften seien doch eine Errungenschaft ihrer Generation. Doch seit den 60er-Jahren, als sich Studenten großzügig geschnittene Altbauwohnungen im Westteil der Stadt für eine kleine Miete teilten, hat sich die Stadt grundlegend verändert.

Inzwischen heißen gewöhnliche Bürgerhäuser „Palais“ und die luxussanierten Wohnungen werden zu astronomischen Preisen vermarktet. In vielen Gegenden der wiedervereinten Hauptstadt droht Wohnraum auch für normalverdienende Menschen unbezahlbar zu werden. Oft werden gerade auch diejenigen verdrängt, deren kreativer Lebensweise die nachgefragten Quartiere erst ihre Attraktivität verdanken. Die Gentrifizierung schreitet voran.

„20 Jahre lang war der Wohnungsbau für die Politik kein Thema“ erklärt der Architekt Nikolaus Hirsch, „nun kehrt das Thema mit voller Wucht zurück“. Gemeinsam mit Jesko Fezer, Wilfried Kuehn und Hila Peleg hat er die Ausstellung kuratiert. Während er und seine Kollegen sich im Studium noch an den „Heroen der Moderne“ orientiert hätten, interessiere sie Architektur nun zunehmend als soziokulturelle Praxis. Nicht zuletzt durch die aktuelle Flüchtlingssituation habe sich die Lage in Berlin extrem zugespitzt. Aber auch den Sozialschwachen, Rentnern und Studenten biete der Wohnungsmarkt kaum noch akzeptable Möglichkeiten.


Ausstellungsansicht / Eröffnung 22.10.2015

Doch was tun, wenn sich der Staat zurückgezogen hat? Wie kann man noch selbstbestimmt und zu bezahlbaren Preisen in der Stadt wohnen, wenn immer mehr Wohnraum und Baugrund vorrangig unter Rendite-, Abschreibungs- oder Spekulationsgesichtspunkten gehandelt wird? Wie lässt sich der Gap zwischen Architektur und Wohnen, zwischen Architekten und Wohnenden schließen? Und wie kann man heute noch Bauherr werden, wenn man nicht über ebensolche Mittel verfügt wie die größeren Finanzinvestoren?

Hirsch, Fezer, Kuehn und Peleg haben sich – unter der Heranziehung internationaler Experten - nach partizipativen, basisdemokratischen Modellen umgesehen, immer „nah dran an den Akteuren.“ Die oft überraschenden, unkonventionellen architektonischen und künstlerischen Antworten auf die Wohnungsfrage sind bis zum 14. Dezember im Rahmen des Großprojektes „100 Jahre Gegenwart“ im HKW zu besichtigen.

Einst wie heute bietet vor allem die Wohngemeinschaft eine Möglichkeit, Kosten für den Wohnenden zu reduzieren. Nur dass es heute die Architekten sind, die diese Wohngemeinschaften eigens konzipieren. Raumsparend, günstig, nachhaltig sollen die Räumlichkeiten sein. So wie der „Urban Forest“, den das japanische Atelier Bow Wow gemeinsam mit der Kooperative Labor Studierender realisierte. In Originalgröße ist der „Städtische Wald“ nun im Haus der Kulturen der Welt“ zu besichtigen – und zu erklettern.

Das was aussieht wie ein real gewordener Kindertraum – mit Kletterlandschaften, Hochbetten und Rückzugskojen - ist ein ausgeklügeltes System auf Pfählen. Auf das Minium reduzierte Schlafkapseln sind, losgelöst vom zentralen Gemeinschaftsbereich, über Treppen zu erreichen. Als Inspiration diente Italo Calvinos Roman „Der Baron auf den Bäumen“, in dem sich ein junger Baron im 18. Jahrhundert entscheidet, auf Bäumen zu leben. Damit möchte er sich von den Zwängen einer hierarchischen Gesellschaft lösen, die maßgeblich bestimmt wird durch den Besitz von Land.

Doch auch vor der traditionellen bürgerlichen Villa, der „symbolträchtigsten Verkörperung häuslicher Ideologie“ hat die junge Architektengeneration keine Berührungsängste. Gemeinsam mit dem Brüsseler Büro Dogma entwickelte die Realism Working Group, die 2007 als selbstorganisierte Freie Klasse an der Frankfurter HfBK Städelschule gegründet wurde, die „Communal Villa“. Das Team wandelte den üblicherweise privaten Familiensitz in kollektiven Wohnraum um. Individuelle Zellen sind um einen Raum mit doppelter Deckenhöhe arrangiert, der auf vielfältige Weise kollektiv nutzbar ist.

Während der „Urban Forest“ und die „Communal Villa“ in die Zukunft weisen, führt die Multimediainstallation „Communal by Commune“ zum Vorläufer des gemeinsamen Wohnens schlechthin: dem Kibbuz. Vor allem die Sitzungsprotokolle dokumentieren die – bisweilen durchaus mühsame, zeitraubende – Praxis des demokratischen Entscheidens und Teilens.

Als geradezu visionär erweist sich die Arbeit Martha Roslers „If You Lived Here“, die 1989 in der New Yorker Dia Art Foundation erstmals ausgestellt wurde. Rosler thematisierte damals den Zusammenhang von Gentrifizierung, Obdachlosigkeit und Immobilienspekulation. Ein Thema, das sie bis heute beschäftigt, wie auch die Arbeit „Greenpoint Projekts“ (2011) belegt. Über 26 Jahre dokumentierte sie die Veränderung ihres einst von polnischen Einwanderern bewohnten Brooklyner „Kiezes“ in ein angesagtes Szeneviertel.


Ausstellungsansicht / Eröffnung 22.10.2015

Mit einer bitteren Berliner Realität konfrontiert die Filminstallation „Miete essen Seele auf“ von Angelika Levi. Auf drei Screens präsentiert die Künstlerin u.a. Material aus ihrem aktuellen Dokumentarfilm über „Kotti & Co.“ „Kotti & Co.“ ist eine Ad hoc-Initiative von Bürgern rund um das Kottbusser Tor in Kreuzberg, die gegen die jährlich erhobenen Mieterhöhungen und die damit verbundene Gefahr der Zwangsräumung protestiert. Die Initiative fordert Mietobergrenzen sowie die Rückführungen der Sozialwohnungen in städtisches Eigentum. Levi verknüpft in ihrer Arbeit die Wohnungsfrage mit der Geschichte der Migration und betont eine Verbindung von Rassismus und urbaner Verdrängung.

Mit ihren facettenreichen Anregungen, Protesten, Visionen und Beispielen aus den Praxis zeigt die Ausstellung, die durch eine zwölfteilige Publikationsreihe erweitert wird, vor allem eines deutlich: Das Rad muss keineswegs neu erfunden werden. Hauptsache, es rollt und die Richtung stimmt.

Wohnungsfrage
Ausstellung, Publikationsreihe, Akademie
23. Oktober 2015 - 14. Dezember 2015

Öffnungszeiten
Täglich 10 – 19 Uhr
Ausstellungen Mi – Mo 11 – 19 Uhr

Haus der Kulturen der Welt
John-Foster-Dulles-Allee 10
10557 Berlin
https://hkw.de

Inge Pett

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Titel zum Thema Wohnungsfrage:

Wohn-Sinn: „Das Thema kehrt mit Wucht zurück“
Nur noch bis Montag zu sehen: Ausstellungsbesprechung zu „Wohnungsfrage“ im Haus der Kulturen der Welt.

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