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Déjà-vu: Gesellschaft im Umbruch. Last Sighting in der daad Galerie

von Inge Pett (24.11.2015)
vorher Abb. Déjà-vu: Gesellschaft im Umbruch. Last Sighting in der daad Galerie

Vlassis Caniaris "Zeuge", Courtesy Galerie Kadel Willborn Düsseldorf


Von einen Vorsprung hoch oben an der Seitenwand der daad-Galerie lässt ein Mann in gebeugter Haltung seine Beine herabbaumeln. Er scheint das Geschehen im Raum zu beobachten - obwohl ihm der Kopf fehlt. Seine Hose ist unförmig, sein Jackett ausgebeult, seine Schuhe abgewetzt. Zwei weitere männliche Figuren ergänzen den Sitzenden. Sie tragen immerhin ein Haupt aus Drahtgestell auf den Schultern.

Ist es die Haltung oder die schlecht sitzende Kleidung? Denn unweigerlich drängt sich das Klischee von Arbeitsmigranten auf, die ab Mitte der 50er-Jahre zahlreich nach Westdeutschland gekommen waren. Rund 2, 6 Millionen Menschen aus Italien, Spanien, Griechenland, der Türkei u.a. waren es, die bis zum Anwerbestopp im Jahr 1973 hier Arbeit fanden und so ihren Teil zum deutschen Wirtschaftswunder beitrugen. Und sie veränderten das Erscheinungsbild der Städte grundlegend. Deutschland wurde vielfältiger.

Mit der Situation der Gastarbeiter in Deutschland hatte sich der 2011 verstorbene griechische Künstler Vlassis Caniaris intensiv auseinandergesetzt. Seine Skulpturen sind Bestandteil der Gruppenausstellung „Last Sighting“, die es sich als Ziel gesetzt hat, „eine Umbruchsituation, einen Augenblick in einer prekären Transitzone zu zeigen, die weder Sicherheit noch politische Eindeutigkeit bietet“, so die Kuratorin Bettina Klein. Zugleich ist der Titel doppeldeutig; er verweist sowohl auf kürzlich Gesehenes wie letztmalig Gesichtetes.

In diesen Tagen, in denen der Begriff „Gastarbeiter“ kaum noch Verwendung findet, scheint Caniaris Arbeit frappierend aktuell. Auch heute ist es eine Gesellschaft, die sich in einem Transformationsprozess befindet, in die es Menschen aus anderen Teilen der Welt zu integrieren gilt. Oder auch nicht. Denn die „Wirtschaftsflüchtlinge“ aus Osteuropa, die in Deutschland auf eine bessere Zukunft hoffen, werden in der Regel keine Aufenthaltsgenehmigung mehr erwarten dürfen.

Dort, wo viele dieser Migranten herkommen – etwa aus Rumänien – haben sich die Bukarester Architekten Alex Axinte und Cristi Borcan (studioBASAR) umgesehen. Sie stießen auf provisorische Behausungen auf den Bürgersteinen, in denen Menschen, deren Wohnung zwangsgeräumt worden war, ihren Hausrat unter Planen bewahrten und dort auch „wohnten“.


EG 95: studioBASAR "Evicting the Ghost", courtesy of the artists

Fünf Fotografien zeigen – blau markiert - diese menschenunwürdigen Provisorien inmitten einer europäischen Hauptstadt. In dem Projekt Evacuarea Fantomei / Evicting the Ghost (2006-10) präsentierten Axinte und Borcan die Behausungen und typologisierten sie. Doch sie beließen es nicht bei der Analyse, sondern bereicherten den Stadtraum durch Interventionen, wie etwa die langestreckte gelbe „Letter Bank“ auf Zeit, die zwischen einem Park und der angrenzen Straße „vermittelte“ und Menschen die Gelegenheit bot, in Kontakt zu treten.

In der Lüneburger Heide wurde Otobong Nkangas „Waiting to Migrate“ aufgenommen. Die Künstlerin selber hat sich auf einen Stapel gefällter Bäume gelegt und scheint gleichwie mit der Landschaft zu verschmelzen. „Ver- und Entwurzelung“ sind die Themen, die die Nigerianerin, die 2013 als daad-Stipendiatin nach Berlin kam, bewegen.

Ein – wenn auch freiwillig - Reisender ist der Berliner Künstler Wolf von Kries. In der Arbeit Quilt II haben er und seine Freunde in stundenlanger Kleinarbeit einen Teppich aus Umzugsdecken genäht, dessen sternförmiges Muster angelehnt ist an traditionelle amerikanische Patchwork-Quilts. Die Decken, die oft von Obdachlosen als Kälteschutz genutzt werden, stammen u.a. aus Frankreich, Südkorea, Brasilien, Deutschland – Stationen im Leben des Künstlers.

Zusammengesetzt aus billigstem Material, das bereits hergestellt wurde aus recycelten Textilien - und in schier endloser Handarbeit produziert - entsteht etwas Neues, etwas Wertiges. Es sind an sich dynamische, nach innen und außen strebende Formen, die jedoch - gebannt in dem textilen Ganzen - eine eigenwillige Harmonie entwickeln. Vor allem für die amerikanische Gesellschaft wurde anstelle des „Schmelztiegels“ auch öfters die Metapher eines „Flickenteppichs“ genutzt. Die Arbeit Quilt II korrespondiert mit einer anrührenden Arbeit von Vlassis Caniaris, in der dieser ein kleines Heizgerät mit einem schäbigen Stofffetzen umwickelt hat.


Sofia Hultén "Auflösung", Courtesy of the artist, Galerie Nordenhake Berlin/Stockholm, RaebervonStenglin, Zurich and Daniel Marzona, Berlin

Die Arbeit „Auflösung“ der ebenfalls in Berlin lebenden Künstlerin Sofia Hultén entstand 2008 auf dem Gelände des Skulpturenparks BerlinZentrum im Rahmen des Projekts Spekulationen #3. Anwohner hatten die Brachfläche genutzt, um ihren Sperrmüll zu entsorgen: eine Matratze, einen Weihnachtsbaum, einen Sessel…

Hultén schredderte alle diese Gegenstände, um sie an exakt der gleichen Stelle wieder abzulegen. „Es handelt sich quasi um einen beschleunigten Zerfallsprozess, der die Dinge gewissermaßen als archäologische Spur in ihre Umgebung einsinken lässt“, erklärt Klein. Inzwischen stehen Luxuswohnungen auf dem Gelände. Nur die Fotos dokumentieren das zuletzt und zum letzten Mal Gesehene.

Ausstellungsdauer: 21.11.2015 – 09.01.2016
Öffnungszeiten: Mo-Sa 11-18 Uhr

daadgalerie
Zimmerstr. 90
10117 Berlin
daadgalerie.de/

Inge Pett

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Déjà-vu: Gesellschaft im Umbruch. Last Sighting in der daad Galerie
Ausstellungsbesprechung: Von einen Vorsprung hoch oben an der Seitenwand der daad-Galerie lässt ein Mann in gebeugter Haltung seine Beine herabbaumeln. Er scheint das Geschehen im Raum zu beobachten - obwohl ihm der Kopf fehlt.

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