18 Uhr: Dialogische Bildbetrachtung mit Friederike Proksch und Claudia Wasow-Kania. Museum Reinickendorf | Hannah Höch Raum | Alt-Hermsdorf 35, 13467 Berlin
Copyright / Courtesy diegaertnerei.berlin
„Mit“ - Es ist ein Wort von nur drei Buchstaben. Doch es macht den entscheidenden Unterschied. Etwa bei der „gärtnerei“ – einem Projekt „für und mit Geflüchteten“. Die Initiative wurde im Sommer gemeinsam vom Internationalen JugendKunst- und Kulturhaus Schlesische 27 und dem Architektennetzwerk raumlabor ins Leben gerufen.
Auf einer vom Friedhofsverband Berlin Mitte zur Verfügung gestellten ca. 1.600 qm großen Brache des Jerusalem-Kirchhofs in Neukölln ist im Sommer ein blühender Garten entstanden. Auf einem historisch belasteten Gelände … “Es ist ein äußerst sensibler Ort“, erklärt der Projektkoordinator Nils Steinkrauss.
Dort, wo derzeit die ca. 20 Geflüchteten – die meisten aus afrikanischen Ländern - eine neue Aufgabe ausüben, befand sich während der NS-Diktatur ein Arbeitslager der Evangelischen Kirche. Nach heutigem Stand war es das einzige im Auftrag der Kirche betriebene Lager. Überwiegend minderjährige Männer aus der Ukraine wurden hier zwangsbeschäftigt.
Bereits der Weg zu den Beeten führt vorbei an den surreal anmutenden, inzwischen historischen Relikten: den Leuchtfeuern des ehemaligen Flughafens Tempelhof. Und vorbei an Grabfeldern und an der Friedhofskapelle der bulgarisch orthodoxen Gemeinde, die 1839 als „Leichen- und Rettungsgebäude für Scheintote“ errichtet worden war.
„Schwierige städtische Orte ziehen uns an“, erklärt Anne-Laure Gestering. Sie ist Architektin bei raumlabor, einem Netzwerk, das 1999 von acht Architekten gegründet wurde. An der Schnittstelle zwischen Architektur, Stadtplanung, Kunst und Intervention sucht raumlabor nach neuen Möglichkeiten, um die Stadt der Zukunft zu erproben. Immer im direkten Austausch mit den lokalen „Experten“, den Anwohnern. Im Dialog sammelt raumlabor Informationen über die Geschichten, Ängste, Wünsche, existentiellen Bedürfnisse sowie die Defizite, die im Zusammenhang mit dem zu entwickelnden Areal stehen.
Junipark, 2014, Copyright raumlabor
„Forschungsbasiertes Gestalten“ nennt raumlabor diese Recherche. So etwa beim Projekt Junipark, das im Sommer 2013 – ebenfalls in Kooperation mit der Schlesischen 27 - stattfand und sich mit der Metropole im Umbruch auseinandersetzte. Dem Projekt voraus ging eine Befragung zur Wohnsituation der Menschen, ihren Sichtweisen und Forderungen, Wünschen und Träumen. „Was ist die bessere Stadt?“, wollten die Initiatoren wissen. Auf dem Gelände des Neuköllner St. Thomas-Kirchhofs - zwischen Tempelhofer Feld und Hermannstraße – gelegen baute raumlabor ein vierstöckiges Gerüst, auf dem gemeinsam mit den Bewohnern der umliegenden Viertel ein Kunst- und Aktionsprogramm stattfand, wo gefeiert, diskutiert, gegessen, gegärtnert wurde. Ein Junipark, der entstand und wieder verschwand.
Ebenfalls provisorisch die poetische Blase, bestehend aus einer pneumatischen Raumhülle, die über den Hof der 2014 Berlinischen Galerie zu schweben schien. Die Traglufthalle war Ort einer sozialen Skulptur – nach dem bewährten Konzept des „Küchenmonuments“: Menschen fertigten einfache Sperrholzmöbel, kochten gemeinsam, um dann ein diskursives Dinner zu begehen.
Die „Shabbyshabby Apartments“ wiederum mischten im Sommer 2015 den Münchner Stadtraum auf. In der Metropole, in der Wohnraum knapp und teuer ist, starteten 120 junge Menschen auf Einladung der Kammerspiele hin einen Versuchsaufbau zum gerechteren Wohnen und entwickelten smarte Lösungen, um bezahlbaren Wohnraum zu schaffen.
„Jeder Ort ist anders und stellt eine andere Herausforderung dar“, so Gestering. Und auf die muss man unterschiedlich antworten. Im Fall des Neuköllner Jerusalem-Kirchhofs mit einem Steg sein, auch wenn kein Gewässer weit und breit in Sicht ist.
Den quer über den Garten führenden Holzsteg auf Betonpfeilern errichteten die jungen Geflüchteten der gärtnerei in Kooperation mit raumlabor. Dieser dient als Ort für Performances, als lange Tafel sowie als Möglichkeit, auch bei Matschwetter trockenen Fußes in den Garten zu gelangen.
Und vor allem bot der Bau des Stegs den Menschen, die zur Passivität verdammt auf die Bearbeitung ihres Asylantrages warten, die Möglichkeit, handwerkliche Kenntnisse zu erlernen bzw. einzubringen. Ebenso wie das Gärtnern in Gemeinschaft dazu dient, Wissen und Können umzusetzen – viele Geflüchtete hatten in ihren Heimatsländern bereits ein Stück Land kultiviert. Nun können sie in Neukölln ein Stück Heimat entstehen lassen, das ihnen emotionalen Halt gibt.
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Unter Anleitung des künstlerischen Leiters Sven Seeger, einem erfahrenen Hobbygärtner, florierte der Garten bereits in kürzester Zeit. Mit beachtlichem Ertrag: Tomaten, Beeren, Salate, Bohnen, Kräuter – in dem selbst organisierten „Café Nana“ konnten die Geflüchteten das Geerntete dann verarbeiten, etwa indem sie Gerichte aus der Heimat zubereiteten. Kartoffeln und Curry, Kochtomaten und Kokosnussmilch, Steckrüben und Harissa – Fusionküche vom Feinsten…
In einem ehemaligen Steinmetzhaus erhalten die Geflüchteten zudem täglich, außer Mittwoch, Deutsch-Unterricht. Nach den vormittäglichen Kursen wird gemeinsam gekocht und gegessen, ein Ritual, das auch die freien Mitarbeiter nicht missen möchten.
Für das künstlerische Programm der gärtnerei ist Seeger zuständig. „Es muss dampfen“, betont der Tänzer und Choreograph, der bevorzugt Gruppen aus verschiedenen Communities zusammenbringt. So fand ein Herbstfest mit Tanz, Performances und Lesungen statt, zu dem Seeger auch Gruppen aus dem Kiez eingeladen hatte. Großen Beifall fanden etwa die „Schilleria-Girls“, eine Gruppe muslimischer Teenager aus dem angrenzenden Schiller-Kiez, mit ihrer Rap-Einlage.
„Unser Programm ist keine Beschäftigungstherapie“, betont Nils Steinkrauss. „Wir versuchen – vor allem auch mithilfe künstlerischer Mittel - Themen zu übersetzen und Perspektiven aufzuzeigen“. In der gärtnerei sollten Möglichkeiten der Gestaltung, Toleranz und Zusammenleben erprobt werden.
Wie es mit dem Projekt weitergeht? „Wir sind auf Fördermittel angewiesen“, erklärt Anne-Laure Gestering. „Und dann werden wir sehen.“ Schließlich gehe es raumlabor vor allem um den Prozess, um das Experimentieren. Oder wie es in der Selbstdarstellung auf der Website heißt: „Architektur ist weniger als Objekt zu verstehen, als als Geschichte, die Teil der Geschichte des Ortes wird. Die Architektur ist das Werkzeug, auf der Suche nach einer Stadt der Möglichkeiten, der Stadt von Morgen!“
Titel zum Thema raumlabor:
raumlabor: „Schwierige städtische Orte ziehen uns an“
Besprechung: „Mit“ - Es ist ein Wort von nur drei Buchstaben. Doch es macht den entscheidenden Unterschied. Etwa bei der „gärtnerei“ – einem Projekt „für und mit Geflüchteten“.
Kommunale Galerie Berlin
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Kommunale Galerie Berlin