24:00 | Midnight BABYLON, BIG CINEMA HALL, Rosa-Luxemburg-Straße 30 | 10178 Berlin
Der Raum, abgedunkelt. Ein Klumpen Pech, angestrahlt. iPads und Sitzhocker. Holzboxen, die großformatige Abbildungen von Werkzeugen zum Uranabbau an die Wand projizieren. Fotografien radioaktiver Objekte. Diese Ausstellungsanordnung gleicht einer Versuchsanordnung, die Orientierung in ihr einer Suche nach der künstlerischen Erzählung.
Doch die aktuelle Ausstellung in der Schering Stiftung Susanne Kriemann: Pechblende (Kapitel 1) ist eher die Erforschung und Dokumentation eines nur wenig bekannten Abschnitts der deutschen Geschichte: Von 1946 bis zur Wende 1989 war die DDR der drittgrößte Uranproduzent der Welt und trug mit der volkseigenen Wismut AG/SDAG wesentlich zur atomaren Aufrüstung der ehemaligen UdSSR bei. Wir brauchen also nicht bis nach Fukushima schauen, radioaktive Strahlung ist auch im Erzgebirge zu finden. Die Pechblende – so auch der Titel der Ausstellung - ist ein uranhaltiges Mineral, das im Mittelgebirge großflächig abgebaut wurde.
Die Recherchen der in Berlin und Rotterdam lebenden Künstlerin Susanne Kriemann zum Abbau des radioaktiven Materials und der Renaturierung der Landschaft nach dem Mauerfall, diese soll bis zum Jahr 2045 abgeschlossen sein, verlaufen auf mehreren Ebenen. Sie „untersucht und erzählt die Geschichte wissenschaftlicher und fotografischer Prozesse“, so die Heike Catherina Mertens, Vorstand der Schering Stiftung. Die Künstlerin reflektiere in ihrer Installation die künstlerischen Möglichkeiten, Unsichtbares wie die Strahlung sichtbar zu machen. Seit Jahren recherchiert Susanne Kriemann weltweit zum Thema: in Berlin, Bad Schlema und New York, im Museum für Naturkunde, dem Museum Uranbergbau sowie dem American Museum of Natural History. Die Objekte der Museen, Archivmaterial, Laboruntersuchungen sowie Aufnahmen und Werkzeuge aus dem Bergwerk selbst verwebt die Künstlerin zu einer Collage, einem Versuch, die Unsichtbarkeit der Radioaktivität, ihre realen und ihre politischen Dimensionen für Mensch und Natur sicht- und erfahrbar zu machen.
Kriemann, geboren 1972 in Erlangen, studierte unter Joseph Kosuth und Joan Jonas an der Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart sowie an der Ecole Nationale Superieure des Beaux Arts in Paris. Ihre Arbeiten, in denen sie sich über eigene und gefundene Bilder und Fotografien mit den Verbindungen zwischen Kunst, Literatur und Archäologie auseinandersetzt, waren international auf zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen zu sehen. 2010 erhielt Susanne Kriemann den GASAG Kunstpries mit ihrem Werk Ashes and broken brickwork of a logical theory. Auch hier hatte sie eigene Fotografien und Archivmaterial kombiniert, das Verhältnis von Vergangenheit und Gegenwart befragt.
Ihre Befragungen tätigt die Künstlerin über die von ihr ausgewählten Materialien, sie führen in einen „vielleicht nie abgeschlossenen“ Rechercheprozess. In einem work in progress konzipiert Kriemann Seh- und Denkräume, die in einem virtuellen Künstlerbuch gesammelt werden. Kriemann versteht dieses Buch als Dialog, als Nachdenken über die Geschichte und die Auswirkungen der Radioaktivität. Befragt so im aktuellen Projekt auch unsere Zukunft und die gigantische Zeitdimension, in der der Abbau von Strahlung abläuft.
Die Denkräume der Ausstellung sind vielfältig. So zeigt das Prefix Institute of Contemporary Art in Toronto bis zum 26. März – und somit drei Wochen parallel zur Schau in Berlin, unter dem Titel Pechblende (Prologue) Autoradiogramme der Künstlerin, Fotogramme mit Archivbildern aus unterschiedlichen Quellen, Luftbildaufnahmen und wissenschaftliche Fotografien, auf denen die radioaktive Verseuchung von Tieren, Pflanzen und Menschen deutlich wird. In der Schering Stiftung sind diese Aufnahmen in einer Leseecke auf iPads zu sehen, beispielsweise der radioaktiv verstrahlte Frosch, Werkzeuge aus dem Bergbau, kartografisches Material aus dem Abbaugebiet im Erzgebirge, das die Schichtungen der Natur und so die Geschichtsspuren der Landschaft abbildet.
Kriemann nutzt die fotografische Methode der Autoradiografie, ein Verfahren, bei dem fotosensitives Material durch radioaktive Objekte belichtet wird. Auch das Bergwerk diente der Künstlerin als Dunkelkammer. In der stetig wachsenden Sammlung an Text- und Bildmaterial macht die Künstlerin die unsichtbare radioaktive Strahlung sichtbar, holt sie ins kollektive Gedächtnis zurück. Eine parallel zur Ausstellung entstehende Website wird ab dem 6. Juni unter pechblende.org live geschaltet.
Bereits am 3. Juni 2016 um 14 Uhr präsentiert Susanne Kriemann das Künstlerbuch Pechblende, Bibliothek des radioaktiven Jenseits in der Schering Stiftung. Um Anmeldung zu dieser Veranstaltung wird bis zum 30. Mai unter anmeldung@scheringsstiftung.de gebeten.
Pechblende ist ein räumlich minimales, inhaltlich überaus anspruchsvolles und komplexes konzeptionelles Projekt. Der dunkle Raum und die an- und verstrahlten Objekte lassen erahnen, welche zurückgenommene Position der Mensch in den Dimensionen Zeit und Materie einnimmt. Eine bemerkenswerte Ausstellung, die jedoch detaillierter Erläuterungen bedarf. Jeden Donnerstag um 18 Uhr finden Führungen durch die Ausstellung statt, der Eintritt ist frei.
Susanne Kriemann: Pechblende (Kapitel 1)
Bis 5. Juni 2016
Schering Stiftung
Unter den Linden 32-34
10117 Berlin
Do – Mo 13-19 Uhr
Eintritt frei
scheringstiftung.de
Titel zum Thema Susanne Kriemann:
Strahlende Geschichten. Susanne Kriemann in der Schering Stiftung
Ausstellungsbesprechung: Der Raum, abgedunkelt. Ein Klumpen Pech, angestrahlt. iPads und Sitzhocker. Holzboxen, die großformatige Abbildungen von Werkzeugen zum Uranabbau an die Wand projizieren.
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