18:30 Uhr: Perspektiven auf den 7. Oktober W. Michael Blumenthal Akademie | Fromet-und-Moses-Mendelssohn-Platz 1 | 10969 Berlin
rechts: Bertolt Brecht, etwa 1931, Foto: unbekannt, © Akademie der Künste, Berlin, Bertolt-Brecht-Archiv
Wie spielte der traumwandelnde Walter Benjamin mit einem sich radikal der Aufklärung verschriebenen Dramatiker Schach? Flippte der ungeduldige Berthold Brecht angesichts des vergrübelten Gegenübers regelmäßig aus? Oder griffen die beiden lachend zu Tabak und Alkohol, um das Spiel Spiel sein zu lassen und zukünftige Projekte zu schmieden?
Die erste Ausstellung, die es je zu den beiden Groß-Denkern des 20. Jahrhunderts gab und die noch bis Ende Januar in der Akademie der Künste Berlin besucht werden kann, bietet Antworten. „Benjamin-Brecht – Denken in Extremen“, lautet ihr programmatischer Titel. Originale Handschriften, Texttafeln, Tondokumente, Gegenstände - wie das Schachbrett Brechts, an dem beide im Exil saßen - dokumentieren die Geschichte dieser einzigartigen, ungewöhnlichen und schwer zu begreifenden Freundschaft. Es wird aufgefächert, womit die beiden Intellektuellen sich jeweils beschäftigten, wo und wie sie sich beeinflussten und wie ihr Umfeld diese Beziehung wertete.
Der erste Raum kontextualisiert. Zitate von Zeitgenossen werden vorgestellt. Interessanterweise versammeln die Tondokumente auffallend viele weibliche Stimmen in einem ansonsten ausschließlich männlichen Diskursuniversum. Hannah Arendt ist „live“ zu hören, in ihrem unnachahmlichen Duktus, bei einem Vortrag im Januar 1968 im New Yorker Goethe-Institut: „Die Freundschaft Benjamin-Brecht ist einzigartig, weil in ihr der größte lebende deutsche Dichter mit dem bedeutendsten Kritiker der Zeit zusammenkam. Und es spricht für beide, dass sie es wussten.“ Elisabeth Hauptmann beurteilt die enorme Einwirkung von Benjamin auf Brecht, und Ruth Berlau, Schauspielerin und Brecht Muse, gerät über die Höflichkeit und ruhige Ausstrahlung Benjamins ins Schwärmen.
Die männlichen Weggefährten, deren Äußerungen nachzulesen und nachzuhören sind, standen der Beziehung eher verhalten bzw. ablehnend gegenüber. Adorno stöhnte „unter Brechts Einfluss treibt Benjamin nur dumme Dinge“, Siegfried Kracauer warf Benjamin dessen „sklavisch-masochistische Haltung“ Brecht gegenüber vor. Günther Anders wiederum setzt die Freundschaft diskret in Anführungszeichen und nennt sie „a-symetrisch“. Doch vermutlich war es genau das Gegensätzliche des Denkens, Erlebens und Schreibens, das die beiden Männer aneinander faszinierte und sie produktiv werden ließ.
Die zweite Halle der Ausstellung widmet sich folgerichtig gemeinsamen Projekten, aber auch vorhandenen Dissonanzen und Brüchen. Die zwei Genies planten die Herausgabe einer Zeitschrift „Krise und Kritik“. In den Notizen lassen sich Übereinstimmungen und Differenzen zu diesem Vorhaben nachlesen. Eine Lesegemeinschaft war geplant, um „den Heidegger zu zertrümmern“, und eine Arbeit an einem Kriminalroman mit dem Titel „Mord im Fahrstuhlschacht“. Hierzu gab es bereits zahlreiche Gliederungen und Vorbesprechungen. Benjamin wollte die Detektivgeschichte übrigens dort anfangen lassen, wo sie bei Brecht endet, nämlich mit dem Tod der Hauptfigur. Beim Film würde man das Rückblende nennen. Vielleicht kann dies auch ein kleiner Hinweis sein, wie sehr Benjamin bereits kinematisch dachte. Diese Dokumente machen jedenfalls darauf aufmerksam, dass auf einer unkomplizierteren Beziehungsebene die beiden nicht nur Freude am Schachspiel hatten, - eines der wenigen Fotos, auf denen beide Männer abgelichtet sind, zeigt sie hierbei -, sondern auch an Trivialliteratur. Doch aus diesem Projekt sollte ebenso wenig etwas werden, wie aus dem während eines Aufenthalts in Südfrankreich entwickelten Schema einer Theorie des Wohnens. Auch „das Lesebuch für Städtebewohner“ blieb ein nie vollendeter Gedichtzyklus Brechts. Hier lautet ein Refrain, vorgelesen von Heiner Müller: „verwische die Spuren“. Doppelt nachdenklich macht dieses Zitat, denn von Walter Benjamin existieren keinerlei Ton-Aufzeichnungen, und auch keinerlei Bewegtbilder.
Glasvitrinen und Stellwände ordnen in Halle 2 eine Art imaginäre Bibliothek mit den wichtigsten Bezugspunkten, Begriffen und Themen. Baudelaire, Kafka, Laotse, Marx und Freud, aber auch Rundfunk, Faschismus oder der Begriff der „Aura“ lauten die „Stationen“, die Zitate, Schriftstücke oder Objekte in Dialog und Spannung zueinander bringen. Beide Denker beschäftigten sich beispielsweise mit dem damals neu aufkommenden Radio. Beide sahen hier die Chance, dass ein Distributionsapparat zu einem Kommunikationsapparat werden könnte, der die Menschen motiviert politisch zu handeln. Wobei über die Wahl der politischen Mittel häufig gestritten wurde - ebenso wie über ästhetische Kriterien. Baudelaire, für Benjamin enorm wichtig, hielt Brecht für einen unverständlichen, kleinbürgerlichen Dichter, dessen Worte „überstopft“ seien. „Aura“, für Benjamin ein Begriff von zentraler Bedeutung, war für Brecht nur ein mythischer „Spleen“. Auch über Benjamins Kafka Aufsatz kam es zu heftigen Auseinandersetzungen, „er vermehre das Dunkel um diese Figur“, ja Brecht verstieg sich sogar zu dem Vorwurf der Essay leiste „dem jüdischen Faszismus Vorschub“.
Benjamin seinerseits bewunderte an Brecht zweifellos sein einfaches „plumpes Denken“, das nichts mit Tiefe und Tiefgang zu tun hat, denn „mit der Tiefe kommt man nicht vorwärts“. Die von Brecht entwickelte Methode der Verfremdung wiederum gestaltet sich bei Benjamin so, dass er Textstellen, Zitate, Redensarten, Sprichwörter oder alltägliche Beobachtungen aus ihrem Kontext nahm und in neue Zusammenhänge brachte. Wahrnehmung dessen, was für andere unbeachtet bleibt, mit Fragen zu kommen, die keinen interessieren, das war typisch für Benjamin: „Ist Ihnen schon einmal das kränkliche Aussehen von Marzipanfiguren aufgefallen?“ Wie konträr steht dies zu Brechts Praxis, Dinge nach ihrer Nützlichkeit oder Brauchbarkeit zu beurteilen.
Dass bis heute eine kreative Kraft von diesen beiden Großdenkern ausgeht, dass sie längst zu Modellen und Chiffren der Kunst- und Weltbetrachtung geworden sind, hätte nicht eigentlich noch von aktuellen Künstlern beglaubigt werden müssen. So steht man doch einigermaßen erschöpft vor Alexander Kluges „Benjamin-Brecht-Kontainer“ voller Bewegtbilder, vor Steffen Thiemanns Holz-Schnitz-Arbeiten, die den Krimitorso als Graphic Novel aufgreifen, oder vor Zoe Beloffs satirisch kitschigem Historienbild. Des Weiteren sind Arbeiten von u.a. Mark Lammert, Edmund de Waal, Marcus Steinweg oder Felix Martin Furtwängler zu sehen.
Brecht erreichte die Nachricht, dass Benjamin sich im September 1940 aus Angst vor der Auslieferung an die Nazis im spanischen Grenzort Port Bou umgebracht hatte, erst 10 Monate später im kalifornischen Exil. Soviel zu den Kommunikationsverhältnissen der damaligen Zeit. „Dies sei der erste wirkliche Verlust, den Hitler der deutschen Literatur zugefügt hat“ habe der „arme“ B.B. daraufhin gesagt. „Ein“, wie Hannah Arendt trocken bemerkte „nicht sehr freundliches Wort – aber immerhin“. Ein Zettel mit einer kleinen Bleistiftnotiz Brechts, der erst jüngst entdeckt wurde, vermerkt unter der Überschrift „WB“ folgendes: “selbst der wechsel der jahreszeiten/ rechtzeitig erinnert/ hätte ihn zurückhalten müssen/ der anblick neuer gesichter/ und alter auch/ neuer gedanken heraufkunft/ und neuer schwierigkeiten“.
27. Januar 2018, 20 Uhr, € 13 /7, Ausstellung bis Mitternacht geöffnet, Finissage
Krise ist immer. Eine theatralische Versuchsanordnung auf den Spuren von Bertolt Brecht und Walter Benjamin
Mit Friederike Heller (Regie), Peter Thiessen (Musik), Sabine Kohlstedt (Ausstattung), Eva Löbau und Philipp Hochmair (Schauspiel)
Musik: Matthias Bauer (Kontrabass) / Floros Floridis (Klarinetten / Saxofone)
Führungen / Szenische Führungen
Benjamin und Brecht. Denken in Extremen
Ausstellung: noch bis 28. Januar 2018
Di–So 11–19 Uhr
€ 9/6, bis 18 Jahre und dienstags ab 15 Uhr Eintritt frei
Akademie der Künste, Hanseatenweg 10, 10557 Berlin, Tel. 030 200 57-2000
adk.de
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