18:30 Uhr: Perspektiven auf den 7. Oktober W. Michael Blumenthal Akademie | Fromet-und-Moses-Mendelssohn-Platz 1 | 10969 Berlin
Ein Buchstaben-Objekt erleuchtet die Fenster der Morgenstern-Galerie in der Budapester Straße. Das großformatige B (2005, Lichtinstallation aus dem Zyklus Glagolitische Buchstaben, Mischtechnik) gehört zum glagolitischen Alphabet, dessen grafische Elemente in der Symbolsprache der Bogumilen eingeflossen sind. Die Glagoliza ist das erste slawische Alphabet, welches Mitte des 9. Jahrhunderts von Konstantin Kyrill - Philosoph aus Thesaloniki - geschaffen wurde, um einen christlichen Gottesdienst in altslawischer Sprache zu ermöglichen und wurde in Mähren, Pannonien, Böhmen, Bulgarien, Mazedonien, Dalmatien, Istrien und Serbien verwendet.
Antonia Duende und Ralitza M. Vladimirova verbinden in ihren Arbeiten die spirituellen Impulse dieser sozialen Bewegung des Mittelalters mit aktuellen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen.
Die Symbolsprache des Bogumilientums, einer christlichen Bewegung, die sich im byzantinischen Kaiserreich von Bulgarien aus, in Bosnien, Italien und Frankreich entwickelte und deren Mitglieder später als Ketzer verfolgt wurden, ist geprägt von den Werten Gleichheit, Brüderlichkeit und Freiheit. Die Ausstellung führt zurück in eine Welt vergangener Mystik, gleichzeitig erweitern die Künstlerinnen mit ihren Werken den Dialog in die heutige Zeit. Sie verstehen ihre Arbeiten als „kreativen Beitrag zur Auseinandersetzung für Pluralität und Diversität“.
Antonia Duende, in Sofia geboren und in Malerei ausgebildet, lebt seit Jahrzehnten in Deutschland. In den 1990er Jahren absolvierte sie die Künstlerweiterbildung an der HdK, übernahm dort später einen Lehrauftrag. Zahlreiche Einzel- und Gruppenausstellungen dokumentieren ihre Auseinandersetzung mit der slawischen Kultur. Auch Ralitza Manolova Vladimirova, ebenfalls in Bulgarien geborenen und seit über 20 Jahren in den USA als Künstlerin, Performerin und Kunsttherapeutin tätig, setzt sich mit der Glaubensgemeinschaft der Bogumilien und ihren Schriftzeichen auseinander. Das erste gemeinsame Projekt der beiden Künstlerinnen war die Ausstellung Into the Sacred 2016 in der ARC Galerie in Chicago. Für Berlin entwickelten sie ihren Zyklus zur Symbolsprache der Bogumilien weiter, sind mit ihren unterschiedlichen Techniken - Installationen, Malerei, Zeichnungen und Fotoarbeiten - dem gemeinsamen Thema verbunden.
Der Lebensbaum (2013, Mischtechnik auf Chinapapier, mit Frottagen von einem Bogumiliendenkmal aus Bosnien und von der Tafel von Baška aus Kroatien mit Glagolitischen Schriftzeichen) von Antoina Duende leuchtet in pastelligen Farben. Die Ur-Formen Kreis, Spirale und Rechteck sind in Rot-, Gelb- und Blautönen über das Blatt gezogen. Zwei menschliche Gestalten suchen Schutz unter einem stilisierten Baum, Lichtkörper verbinden die Bildelemente. „Das Licht lebt im Menschen“, so die Künstlerin, „es ist in unsere Seelen integriert.“ Im Tanz der Eingeweihten (2013/17, Mischtechnik auf Chinapapier, mit Frottagen von einem Bogumiliendenkmal aus Bosnien und von einem Labyrinth-Relief) tanzen Figuren über einem Labyrinth in Kreisform. Je ein Ein- und Ausgang sind vorhanden, führen in die „innere Mitte“ und zeigen: „Es gibt kein Verirren, nur einen Weg, auch wenn er mit Umwegen verbunden ist.“
Auch die großformatige Installation von Ralitza M. Vladimirova (2016, Harmonisierung der Gesamtheit) symbolisiert zwei menschliche Gestalten, deren Körper verschmelzen. Die Künstlerin experimentiert mit verschiedenen Techniken, setzt auch Patiniermittel als Gestaltungsmittel ein. Die Arbeiten aus der Reihe Glagolitische Orisia (I, II, III, 2017, Mischtechnik auf Transparentpapier) versteht Vladimirova als meditative Forschungen. Wieder ausgehend vom Alphabet der Glagoliza zieht sie einzelne Symbole heraus, legt sie im wortwörtlichen Sinne mit mehreren Schichten Kleber auf das Papier. Buchstaben und Texte werden so Bildelemente. Ihre Fotografien von in Kroatien, Bosnien und Herzegowina existierenden Steindenkmälern mit Reliefs, sogenannten Stećci, bilden die Grundlage der Werke. Wenn Antoina Duende diese Skulpturen über Frottagen in ihre Arbeiten einbindet, transformiert Ralitza M. Vladimirova die Zeichen in weitere Medien.
Beide Künstlerinnen besuchten unabhängig voneinander die spirituellen Orte, die seit einigen Jahren an touristischem Interesse gewinnen. Die universelle Fragestellung: Wer ist der Mensch? beantworten Antonia Duende und Ralitza M. Vladimirova über ihre künstlerischen Positionen mit der Aussage: Im Irdischen verhaftet, zum Licht strebend.
Die Ausstellung führt in ein wenig bekanntes kulturgeschichtliches Thema, das sich allein über die Exponate nur teilweise erschließen lässt. Informationen über das Bogumilentum, das Glagolitische Alphabet sowie die vielfältige Symbolik wären ein guter und auch wichtiger Begleiter. Hier kann der in Kürze vorliegende Katalog sowie das Begleitprogramm Aufschlüsse bieten. Im Januar finden zwei Vorträge statt: Steinerne Symbole. Zu den Stećci der Bogumilen von Karlo Lindauer am 12. Januar um 19 Uhr sowie Frühes Christentum, Bogumilentum und Katharertum von Damjan Popchristov mit anschließender Diskussion am 19. Januar, ebenfalls um 19 Uhr.
Kunst, Liebe und Wahrheit: Die Symbolsprache im Bogumilientum
Antonia Duende und Ralitza M. Vladimirova
bis 26. Januar 2018
Morgenstern-Galerie
Budapester Straße 14
10787 Berlin
Do + Fr 16-19 Uhr (geschlossen vom 30.12. bis einschließlich 03.01.18)
morgen-stern.com
Titel zum Thema Morgenstern-Galerie:
Licht und Schatten. Yves Guhl in der Morgenstern-Galerie
Ausstellungsbesprechung: Problemlos passiert ein kleiner Junge auf seinem roten Spielzeugauto vermummte Soldaten, die ihm sogar den Weg weisen. Er befindet sich auf einem US-Flugzeugträger. Eine absurde Vorstellung?
Transformationen. Antonia Duende und Ralitza M. Vladimirova in der Morgenstern-Galerie
Ausstellungsbesprechung: Antonia Duende und Ralitza M. Vladimirova verbinden in ihren Arbeiten die spirituellen Impulse dieser sozialen Bewegung des Mittelalters mit aktuellen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen.
Verein Berliner Künstler
Galerie im Saalbau
Schloss Biesdorf
Alfred Ehrhardt Stiftung
Galerie Johannisthal