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Klangarchive. „[laut] Die Welt hören“ in der Humboldt-Box

von Anna Wegenschimmel (15.09.2018)
vorher Abb. Klangarchive. „[laut] Die Welt hören“ in der Humboldt-Box

Walzendosen, © Ethnologisches Museum / Staatliche Museen zu Berlin. Foto: Martin Franken

Im Jahr 1904 gründeten der Psychologe Carl Stumpf und sein Schüler Erich M. von Hornbostel das Berliner Phonogramm-Archiv, um außereuropäische Musikkulturen – wie sie selbst meinten – vor dem Verschwinden zu retten. Sechzehn Jahre später entstand das Lautarchiv des Berliner Englischlehrers Wilhelm Doegen. Er wollte Stimmen berühmter deutscher Persönlichkeiten konservieren sowie Sprachen und Mundarten aus verschiedensten Teilen der Welt festhalten. Ziel war es, sie u.a. für den Fremdsprachenunterricht zu verwenden.
Beide Archive nutzten Thomas Alva Edisons bahnbrechende Erfindung des Phonographen aus dem Jahr 1877 im Dienst der Wissenschaft, beide sahen in den Gefangenenlagern des Ersten Weltkriegs die Gelegenheit, an Sprecher*innen und Musizierende aus den unterschiedlichsten Kulturkreisen der Welt zu gelangen.

Mit dem etwa 7.500 Tonaufnahmen umfassenden Lautarchiv (Humboldt-Universität zu Berlin) und dem Berliner Phonogramm-Archiv (Ethnologisches Museum) mit seinen rund 16.000 Wachswalzen und anderen Tonträgern kommen zwei der bedeutendsten Klangarchive im Humboldt Forum zusammen. Die soeben eröffnete Ausstellung „[laut] Die Welt hören“ in der Humboldt-Box liefert nun einen Vorgeschmack auf das, was die Besucher*innen ab Ende 2019 im Humboldt Forum im Berliner Schloss erwarten wird.


Carl Stumpf und der Musikwissenschafter Georg Schünemann, nehmen die Musik von drei tatarischen Musikern in einem Kriegsgefangenenlager auf, © Stiftung Humboldt Forum im Berliner Schloss / David von Becker

Im Zentrum der äußerst spannenden Schau stehen nach eigenen Angaben Fragen wie: Wem gehören Klänge? Unter welchen Umständen wurden die Aufnahmen gemacht? Wie verbreiten sich Klänge weltweit und wie beeinflussen sie unsere Wahrnehmung von Kulturen? Und wie lässt sich Ton als immaterielles Gut eigentlich ausstellen? Im zweiten Obergeschoss des temporären Baus von 2011 zeigt das Kurator*innenteam (rund um den künftigen Direktor des Ethnologischen Museums und des Museums für Asiatische Kunst der SMB im Humboldt-Forum Lars-Christian Koch) eine Ansammlung von beinahe allen erdenklichen Aspekten, die einem bei Archivierung von Klang, Sprache, Musik und Geräuschen aus historischer und aktueller Perspektive in den Sinn kommen: In einer archivähnlichen Architektur aus Aluminiumregalen finden sich in Vitrinen zahlreiche Texttafeln und verschiedenste Exponate zu den beiden Berliner Lautarchiven und deren Sammlungen, der technischen Entwicklung von Aufnahme- und Speichermedien, der Visualisierung von Klang, dem Vertrieb, der Frage nach dem Urheberrecht, der heutigen Verwendung von Tonaufnahmen in der Dialektforschung und vieles mehr. Sogar zeitgenössische Arbeiten von Yuri Suzuki, Dennis P. Paul oder KP Brehmer wurden in die Ausstellung integriert. Während die zusammengetragenen Informationen in ihrer Dichte beeindrucken, fällt es allerdings schwer, sich auf die akustischen Komponenten der Schau zu konzentrieren. Letztere treten in diesem ersten Raum etwas in den Hintergrund, auch wenn die Präsentation mit zahlreichen Klangduschen vor den jeweiligen Vitrinen technisch äußerst elegant gelöst wurde.


© AMAR Foundation for Arab Music Archiving & Research

Das dritte Obergeschoss versammelt großteils musikalische Dokumente der Foundation for Arab Music Archiving and Research (AMAR), die seit 2009 klassische arabische Musik aus dem frühen 20. Jahrhundert sowie zeitgenössische musikalische Traditionen von Minderheiten dokumentiert und archiviert. Mit 3D-Kopfhörern ausgestattet, wandeln die Besucher*innen von Installation zu Installation und erleben auf immersive Weise die frühesten Tondokumente des ägyptischen Sängers Yusuf al-Mayalawi, Aufnahmen von Sufi-Gesängen oder Videodokumentationen der im Irak verfolgten Kawliyah und der Flüchtlingsgemeinschaft der Djezrawi. Dieser Teil der Ausstellung, der von den AMAR-Mitgliedern Kamal Kassar und Fadi Yeni Turk kuratiert wurde, entspricht dem Anspruch des Humboldt Forums, „die Deutungshoheit den Kollegen aus den Herkunftsländern zu überlassen“, wie Neil MacGregor bei der Pressekonferenz erläutert. „Wir werden nicht die Geschichten von anderen erzählen.“ Wenn die Integration dieser Passage auch zweifellos faszinierende Exponate liefert, so ist sie doch im Rahmen der ohnehin schon übervollen Schau, die als Auftaktausstellung vor allem die beiden Archive vorstellen möchte, beinahe schon zu viel des Guten. Generell hätte die Ausstellung davon profitiert, sich auf weniger Aspekte zu konzentrieren und diese genauer auszuführen. Einer der gelungensten Teile von „[laut] Die Welt hören“ ist demnach auch der Abschnitt „Was erzählen gefangene Klänge?“, der – als eine Art Ausstellung in der Ausstellung architektonisch abgetrennt – von den Sprachaufnahmen in den Gefangenenlagern Wünsdorf und Zossen aus dem Ersten Weltkrieg berichtet. Neben Interviews mit Wissenschafter*innen werden in Vitrinen Fotografien und Reproduktionen einiger Personalbögen gezeigt, mit deren Hilfe detaillierte Informationen über die Sprechenden dokumentiert wurden.

Auch wenn in der Schau ein Vorgeschmack darauf gezeigt wird, wie die beiden Lautarchive im Humboldt Forum künftig präsentiert werden, bleibt die konkrete Umsetzung mit Spannung zu erwarten. Auf die Frage, wie Klang als immaterielles Gut ausgestellt werden kann, wurde aus technischer Sicht jedenfalls schon eine beeindruckende Antwort gefunden. Einen Besuch (lobenswerter Weise bei freiem Eintritt) ist die Ausstellung aufgrund der außergewöhnlichen Tondokumente unbedingt Wert – vorausgesetzt Sie bringen genug Zeit, Stehvermögen und Lesefreudigkeit mit.

[laut] Die Welt hören
22.03.2018 bis 16.09.2018
Humboldt-Box, 2. und 3. OG
Schlossplatz 5, 10178 Berlin
humboldtforum.com/

Öffnungszeiten: täglich 10–19 Uhr
Eintritt frei

Informationen zum umfangreichen Begleitprogramm: humboldtforum.com/de/veranstaltungsreihen/laut

Anna Wegenschimmel

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