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Zeitwerk - The Long Now im me Collectors Room Berlin

von Barbara Borek (14.07.2018)
vorher Abb. Zeitwerk - The Long Now im me Collectors Room Berlin

Lukas Grundman, Jetzt, 2014, Schallplattenspieler, Dubplates, Sockel, Lautsprecher / record player, dubplates, socle, loud speaker © the artist

Die Zeit, sie ist eine klar definierte, physikalische Größe: eine Abfolge, sie wird gemessen in Sekunden, Minuten, Stunden, Tagen ... . Und zugleich ist sie subjektiv erlebbar durch den Augenblick, die Vergänglichkeit, ihre Be- und Entschleunigung oder durch Ruhe und Unruhe. Die Ausstellung The Long Now im me Collectors Room nähert sich dem Phänomen ZEIT mit 20 aktuellen künstlerischen Positionen.

„Erst wenn die Uhr stehenbleibt, erwacht die Zeit zum Leben“, zitiert Reinhard Buskies, Leiter des Kunstvereins Bochums und Kurator der Ausstellung, den US-amerikanischen Autor William Faulkner aus seinem Werk Schall und Wahn (1929). „Zeit ist etwas, das uns auf elementare Weise betrifft“, schreibt Buskies weiter im Vorwort zum Katalog, erschienen anlässlich der Präsentation in Bochum und dem Museum Goch. Für Berlin wurde die Ausstellung neu gestaltet, zeigt nun mit auf der Empore des me Collectors Room vor allem Kunst der jüngeren und mittleren Generation, von Vertreter_innen, „die bisher gefehlt haben.“

So inszeniert der Berliner Künstler Lukas Grundmann (*1987), in seiner Klanginstallation Jetzt (2014, Plattenspieler, Dubplates, Lautsprecher) Zeiterfahrung mithilfe zweier Schallplatten. Immer wieder erklingt das Wort JETZT, langsam und schnell gesprochen, betont und laut, leiser, wiederholt, einzeln, gleichzeitig oder abwechselnd. Die stetigen Variationen werden im Laufe der Zeit zunehmend von Rauschen und Störgeräuschen begleitet. Die Zeit selbst arbeitet auf und mit dem Medium, das Jetzt ist im Moment des Hörens bereits wieder Vergangenheit.


Hans-Christian Schink, Flores, from the series 1 h, Silbergelatineabzug / silver gelatine print, 2010 © the artist

Hans-Christian Schink (*1961) dokumentiert mit seiner Serie 1h (2010), aus der zwei Arbeiten in der Ausstellung zu sehen sind, die Strahlen der Sonne (Serie 1h: 2/21/2010, 7:00 pm – 8:00 pm, S 38°49.042‘ E 174°34.976‘; 3/28/2010, 6:43 am – 7:43 am, S 08°27.131‘ E 119°52.396‘, beide Silbergelantineabzug). Die Belichtungszeit von jeweils exakt einer Stunde lässt die ansonsten für unser menschliches Auge nicht fassbare Erdumdrehung erkennen. So entsteht auf der Fotografie eine schwarze Sonnenlinie, die im sichtbaren Landschaftsraum zwei unterschiedliche Zeitebenen fixiert. Gleichzeitig werden durch die lange Belichtung die Elemente Luft (Wolken) und Wasser (Wellen) unbeweglich. Schink verfolgt sein Raum-Zeit-Projekt bereits über acht Jahre, die Arbeiten entstehen überall auf der Welt, er verzichtet jedoch auf die Angabe der Orte.

Auch Daniel Burkhardt (*1977), führt mit seinem Video Zwirn (2005, 1-Kanal-Video, Farbe, Ton, 1:10 min, Loop, Musik: Alexander Peterhaensel) in einen Raum, diesmal allerdings in einen kleinen, geschlossenen. Eine Tür, eine Küchenzeile, ein Sofa, ein Hochbett. Drei Männer bewegen sich in dieser überschaubaren Kulisse. Sie betreten das Zimmer, trinken ein Glas Wasser, sitzen auf dem Sofa, steigen auf das Bett, entkleiden sich. Doch der Bewegungsablauf, der sich permanent wiederholt, zeigt immer denselben Mann. Man sieht ihn dreifach, simultan und mit sich selbst agierend: Der Mann auf dem Sofa wirft eine Mütze zur Person auf dem Hochbett, diese einen Schlüssel zurück. Und während der Mann aus der Tür geht, winkt er sich selbst vom Sofa aus zu. Die feste Blick-Einstellung lässt eine Geschichte entstehen, die Zuschauer_innen Teil dieser werden.

Bei Zhenia Couso Martel (*1978 in Havanna) spielt sich die Geschichte zwischen Mutter und Tochter ab. Ihre beiden Videos DER DIE DAS (1, 2009 sowie 2, 2018, beide 1-Kanal-Video, Farbe, Ton, je 1: 56 min) zeigen sie selbst und ihre Tochter im Abstand von neun Jahren. Die Tochter ist in Deutschland geboren, fragt ihre Mutter nach den Artikeln deutscher Substantive: Haar, Hand, Fliege. Im Laufe der Jahre verändern sich die Begriffe, die Jugendliche fragt nach Begriffen wie Macht, Korruption, Welt. Ihre Mutter sucht weiter nach den richtigen Artikeln. Die Vergangenheit scheint sich in der Gegenwart zu wiederholen und dennoch offenbaren sich gänzlich verschiedene Dimensionen.


Malte Bartsch, Time Machine, 2013 - 2016, 31 x 25 x 13 cm, Drucker, Knopf, Person, Zeit / printer, button, person, time © VG Bild-Kunst, Bonn 2018, Courtesy Dittrich & Schlechtriem, Photo Edward Greiner

Auf die Sekunde genau dagegen wird die Zeit mit der Time Maschine (2013-1016, Thermodrucker, Knopf) von Malte Bartsch (*1984) registriert. Der kleine Kasten hängt ganz unauffällig an der Treppe, die auf die Empore zur Ausstellung hin- bzw. aus ihr hinausführt. PRESS fordert ein roter Knopf die Besucher_innen auf und spuckt dann, je nachdem, wie lange gedrückt wurde, einen Zettel mit der entsprechenden Zeitangabe aus. „Thanks for your visit!“, auch so vergeht Zeit.

Beteiligte Künstler_innen: Malte Bartsch, Christiane Baumgartner, Roland Boden, Maurits Boettger, Daniel Burkhardt, Mark Formanek, Nikolaus Gansterer, Dafna Gazit, Christoph Girardet, Lukas Grundmann, Timo Klos, Simona Koch, Vera Lossau, Zhenia Couso Martell, Lilla von Puttkamer, Otto Reitsperger, Johanna Reich, Hans-Christian Schink, Katrin Wegemann, Michael John Whelan.

Jeden Mittwoch um 9 sowie um 18 Uhr findet ART & MEDIATION – Achtsame Wege des Kunst-Erlebens statt (9 Euro incl. einer Tasse Tee). Der zur Ausstellung erschienene Katalog, herausgegeben von Reinhard Buskies und Stephan Mann, ist für 10 Euro an der Kasse erhältlich.

me Collectors Room Berlin
Stiftung Olbricht
The Long Now
Reflexionen von Zeit und Vergänglichkeit
bis 27. August 2018
Auguststraße 68
10117 Berlin
Mi – Mo 12 – 18 Uhr
me-berlin.com

Barbara Borek

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