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Nachricht aus der Zukunft. Das Kunstprojekt „Walhalla 2“ in der Alten Münze

von Rabea Kaczor (23.10.2018)
vorher Abb. Nachricht aus der Zukunft. Das Kunstprojekt „Walhalla 2“ in der Alten Münze

Walhalla Ausgrabung, Foto: Jonas Fischer, Courtesy Dokumentationszentrum Zukunft

Wer am vergangenen Wochenende am Molkenmarkt vor dem alten Rathaus entlang spazierte, konnte Zeug*in einer archäologischen Ausgrabung werden. Doch statt Objekte aus der Vergangenheit wurden Funde aus der Zukunft ausgegraben, beziehungsweise aus einer Zukunft, wie sie gewesen sein könnte. Das Dokumentationszentrum Zukunft und die Explorationsgruppe Para International führten 72 Stunden lang minimalinvasive Grabungen durch, die Relikte des möglichen Nationaldenkmals „Walhalla 2“ zu Tage förderten. Präsentiert wurden die Ergebnisse jetzt in einer begleitenden Ausstellung in der Alten Münze.

Mit einem Lageplan und diversen Gerätschaften ausgestattet sowie in Schutzanzüge gekleidet untersuchte die Gruppe den Boden nach Überresten des spekulativen Denkmals, das sich auf die gegenwärtig existierende Walhalla in Regensburg bezieht. In der bayrischen Gedenkstätte, deren Name laut nordischer Mythologie soviel wie „Halle der Gefallenen“ bedeutet, werden Persönlichkeiten „teutscher Zunge“ geehrt. Ludwig der I. hatte den Bau im 19. Jahrhundert veranlasst, um eine deutsche nationale Identität zu stärken. Denkmäler in diesem Stil wünscht sich vielleicht auch der AfD Vertreter Björn Höcke, dem bekanntlich Mahnmäler der deutschen Geschichte eher weniger zusagen. Dieser Gedanke gab dem Team den Anstoß, nach den Resten eines Nationaldenkmals der Zukunft zu suchen: Anstatt sich durch Angst vor der Zukunft angesichts des aktuellen Rechtsrucks lähmen zu lassen, will das Kunstprojekt kritisch über mögliche Varianten der Zukunft reflektieren. Dabei gilt die Gegenwart als ebenso kritisch zu beleuchtender Bezugspunkt, zum Beispiel durch die Frage „Kann die spekulative Archäologie in ein störendes Verhältnis zur Wirklichkeit treten?“ Bei den Ausgrabungen ist immer ein Teammitglied ansprechbar, so dass ein Dialog über die politische Gegenwart und Zukunft sowie die Zukunft von Denkmälern entstehen kann, passenderweise inmitten repräsentativer Bauten wie dem Alten Stadthaus und dem Fernsehturm. Die Performer*innen greifen im Gespräch auf ihre Rolle der Archäolog*innen zurück und erklären in überzeugendem Ton ihre Methode der Zukunftsforschung.


Raumansicht, Detail Samantha Bohatsch, Foto: Rabea Kaczor

Wie Walhalla 2 ausgesehen haben wird, bleibt unklar, allein die Zerstörung ist auf einer Postkarte dokumentiert. Die im temporären Dokumentationszentrum Zukunft in der Alten Münze präsentierten Funde geben jedoch Hinweise auf die kulturellen Bedingungen von Walhalla 2. Die Relikte wurden zum Teil von diversen eingeladenen Künstler*innen in Reaktion auf das Konzept kreiert, weitere Exponate entwickelte das Team von Para International. Die Namen der Künstler*innen werden im Begleitheft genannt, den einzelnen Kunstwerken aber nicht zugeordnet. Der „Fund“ wird dabei nicht künstlerisch, sondern archäologisch eingeordnet. Die Mitarbeiter*innen des Dokumentationszentrum Zukunft geben aber gern Auskunft. Spannend sind die „Reliquien des Unrechts“ von Samantha Bohatsch. Der Beschreibung zufolge handelt es sich um 4 kleine „Noli me Tangere Keramikgemische“ (wohl ein Material aus der Zukunft), von denen 3 in Leinentücher eingepackt sind und auf Drehscheiben kreisen. Weiter heißt es, vermutlich wären diese Keramiken in einem Trauerkult zur Beweinung vergangenen Unrechts zum Einsatz gekommen. Mit der Verhüllung der „Reliquien“ zitiert die Form den Inhalt: Es gibt dort etwas, das uns noch oder mittlerweile verborgen und zugleich bekannt ist, wie die vergangene Zukunft des Walhalla 2. Auch fragt man sich, wem hier Unrecht angetan worden ist – und weshalb. Und schon ist man mitten in der spekulativen Archäologie des Kunstprojekts. Durch Zeitungen, Filme, in denen zukünftige Zeitzeug*innen zu Wort kommen und diverse weitere Objekte aus der Zukunft fügen sich immer neue Bilder über Walhalla 2 zusammen. Am Samstag Abend wurde gar ein Mensch (lebendig !) aus der Zukunft ausgegraben, welche Hinweise er auf Walhalla 2 geben wird, ist noch unklar.


Raumansicht, Foto: Rabea Kaczor

Deutlich wird, dass die Gesellschaft wohl in zwei Gruppen unterteilt ist, denen verschiedene Rechte zugestanden werden, wobei nicht hervorgeht, wonach die Gruppen unterschieden werden, dass eine Gestalt namens Quirlin die Herrschaft übernommen hat und eine gleichnamige Sprache die Kommunikation dominiert. Zudem weisen viele der Gegenstände Reste ansteckender „psychotroper Pigmente“ auf, die kollektive Emotionen bewirken und manipulieren können. Dies erklärt die erwähnten Schutzanzüge, die das Team bei den Ausgrabungen trägt. Weshalb diese Substanz so relevant für diese Imagination von Zukunft ist, bleibt unklar, ist doch das bedenkenswerte Moment, dass sich Leute bewusst für "rechts" entscheiden - auch ohne eine chemische Substanz.


Ausgrabung, Detail, Foto: Rabea Kaczor

Durch die vielen Verweise sowie die zeitlichen Ebenen stellt sich rasch Verwirrung ein, oder wie das Projekt formuliert: „The future was might be confusing“. Wenn man nicht zu beschäftigt damit ist, die Zukunft zu entschlüsseln, können verschiedene Objekte spannende Referenzen zur Gegenwart eröffnen und Gedanken über die kommende politische Lage anstoßen. Eher gelingt es aber über die Performance der Ausgrabung und das Angebot eines Dialogs, Tendenzen (zwischen) der Gegenwart und Zukunft auszuloten. Die Kunstaktion setzt dabei in interessanter Weise mehr auf Diskurs denn auf moralisierenden Schock.

Wenngleich die Zukunft noch ungeschrieben ist, fest steht, dass sich beeilen muss, wer die Ausstellung sehen möchte, die noch bis zum 27. Oktober läuft. Hingewiesen sei noch auf das Künstler*innengespräch am gleichen Tag um 19:30.

Konzeption, Kuration: Peter Behrbohm, Julienne Bendt, Josephine Hans, Anselm Schenkluhn, Bastian Sistig, Kolja Vennewald Text und Dokument: Holger Fröhlich, Julia Lauter, Philipp Röding

Künstler*innen der Artefakte: Lena Marie Emrich, Samantha Bohatsch, Karoline Schneider, Øystein Aasan, Marie Köhler, Zuza Golinska, Gregor Rozanski

11.10. bis 28.10. 2018
Ausstellung WALHALLA 2 - Berlin
Dokumentationszentrum Zukunft, Am Molkenmarkt 2, 10179 Berlin
www.dokumentationszentrum.info

Rabea Kaczor

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