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Berlin Daily 20.04.2024
Künstlerinnengespräch

17 Uhr: im Rahmen der Ausstellung Luise Marchand & Laura Schawelka »All Beauty Must Die« Villa Heike | Freienwalder Str. 17 | 13055 Berlin

Letizia Battaglia im Italienischen Kulturinstitut Berlin

von Urszula Usakowska-Wolff (31.03.2021)
vorher Abb. Letizia Battaglia im Italienischen Kulturinstitut Berlin

Der Ministerpräsident der Region Sizilien, Piersanti Mattarella, soeben von den Killern der Mafia tödlich getroffen, 1980, © Letizia Battaglia

Aufgrund von Corona kann die Ausstellung nicht vor Ort besucht werden. Dafür gibt es eine großartige virtuelle Präsentation.

Unter dem Titel „Palermo und der Kampf gegen die Mafia“ zeigt das Italienische Kulturinstitut Berlin 40 Schwarzweißfotografien von Letizia Battaglia aus den Jahren 1975–1998.

Sie fotografierte Arme in heruntergekommen Vierteln, Reiche bei Festen in prunkvollen Palästen, urinierende Männer am Palazzo Reale, verträumte Mädchen, minderjährige Prostituierte, Liebespaare, alte barfüßige Frauen, die auf Knien zur Heiligen Rosalia pilgern. Sie fotografierte den von Elend, Ungleichheit und Gewalt geprägten Alltag ihrer Heimatstadt Palermo. Obwohl das Œuvre von Letizia Battaglia 600.000 Negative mit einem breiten Themenspektrum umfasst, wird sie vor allem als die erste Antimafia-Fotografin Siziliens wahrgenommen. „Ich habe die Fotografie als Dokumentation, als Interpretation erlebt … Ich habe sie als Rettung und als Wahrheit erlebt“, so die Künstlerin. Es war ein langer Weg, der diese außergewöhnliche Frau zum selbstbestimmten Leben führte, in dem sie sich von der vermeintlichen Tradition und den damit verbundenen familiären und gesellschaftlichen Zwängen befreite.

Rebellisch und pragmatisch

Schon in ihrer Kindheit war die heute 85-Jährige eine rebellische Natur. Um ihrem tyrannischen Vater zu entkommen, der sie nach dem Unterricht in der Klosterschule zu Hause einsperrte, weil es damals den Mädchen in Palermo nicht erlaubt war, draußen zu spielen, heiratete sie bereits mit 16. Das war keine gute Entscheidung. Der Ehemann, Erbe einer reichen sizilianischen Kaffeeröster-Familie, verbot es ihr, die Ausbildung fortzusetzen, damit sie später studieren konnte. 15 Jahre lang fügte sie sich dem Schicksal, eine vorbildliche Gattin und Mutter ihrer drei Töchter zu sein. Dann, nach einem Nervenzusammenbruch, zog sie mit ihnen nach Mailand. 1971 wurde sie geschieden, verzichtete auf Unterhaltszahlungen ihres Exmannes und begann, für die linke Tageszeitung L´Ora zu schreiben. Zur Kamera griff die angehende Journalistin aus pragmatischen Gründen: Bebilderte Artikel wurden einfach besser bezahlt.

Bekannte und namenlose Opfer

1974 ging sie mit ihrem 18 Jahre jüngeren Lebensgefährten Franco Zecchin nach Palermo, wo sie als Cheffotografin der 1990 eingestellten L´Ora arbeitete. Aus dieser Zeit stammen die meisten der im Italienischen Institut Berlin ausgestellten Bilder. In der Dunkelkammer hörten Battaglia und Zecchin den Polizeifunk ab, und fuhren mit den Kameras auf ihren betagten Vespas sofort zu den Tatorten. Es entstanden Fotos prominenter und namenloser Opfer wie der auf dem Bauch liegende Mann (Ermordet beim Gang in die Garage, Palermo, 1980) mit einem Blutfleck auf dem Sakko und ohne Hose, die ihm wohl jemand nach dem gewaltsamen Tod gestohlen hat. Der Dreifachmord an der Piazza Sant´Oliva, Palermo, 1982, zeigt drei hingerichtete Prostituierte in einem schäbigen Zimmer, auf dessen Wänden zwei Kalender hängen: mit einem Pin-up-Girl und mit Heilgenbildern. An Caravaggios berühmtes Gemälde Die Grablegung Christi knüpft offensichtlich die bewegende Fotografie Frauen bei der Totenwache für Christus, Marsala, 1988.


Der Richter Giovanni Falcone beim Begräbnis des Generals Carlo Alberto Dalla Chiesa, 1982, © Letizia Battaglia

Distanziert und empathisch

Doch auch wenn sich Letizia Battaglia religiöser Symbolik und der Kunstgeschichte bedient, will sie das reale Verbrechen nicht sublimieren, sondern den Opfern Respekt zollen und sie vor dem Vergessen bewahren. Ihr Blick auf das Geschehen, das sie mit der Kamera registriert, ist schonungslos, distanziert, empathisch, aber niemals voyeuristisch. Sie ist Chronistin einer von blutigen Gewaltakten, Angst, Unterwerfung und Verrohung gezeichneten Gesellschaft, die sich mit ihrer Lage abgefunden hat. Es gibt Menschen, die die Abwesenheit der mit den Mafia-Verbrechen beschäftigten Polizei nutzen, um tragisch endende Straftaten zu begehen. Beispielhaft ist dafür die Fotografie Ein Mann, tödlich verunglückt durch Stromschlag beim Kupferdiebstahl in Leitungsschächten der ENEL, Palermo, 1976.

Tote, Täter, Tatorte

Die Titel der kleinen Fotoarbeiten von Letizia Battaglia sind sachlich und beziehen sich direkt auf das Gezeigte: Der Ministerpräsident der Region Sizilien, Piersanti Mattarella, soeben von den Killern der Mafia tödlich getroffen, Palermo, 1980; Der Richter Giovanni Falcone beim Begräbnis des Generals Carlo Alberto Dalla Chiesa, 1982; Prozess gegen die 114 Angeklagten. Im Vordergrund der Mafiachef Gaetano Fidanzati, 1978 und so weiter. Sizilien und der Kampf gegen die Mafia ist, wie Battaglia es 1977 auf ihrem wie eine Parabel anmutenden Foto Katz und Maus, sattgefressen am Müll zeigt, häufig nur für die Galerie: Eine wohlgenährte schwarzweiße Katze geht gemächlich einer dicken Ratte auf der Straße hinterher. So sieht eine Fahndung oder Verfolgung wahrlich nicht aus.


Stadtviertel Albergheria. Palermo, 1977, © Letizia Battaglia

Offene Armut, verborgene Botschaften

Von einer erschütternden Sachlichkeit sind die Fotografien, die Letizia Battaglia in Palermos Armenvierteln aufgenommen hat. Da presst eine Frau, umgeben von zwei kleinen nackten Knaben, ein Baby, das eine bandagierter Hand hat, an ihre Brust. Die Bildunterschrift lautet: Während die Mutter erschöpft schlief, hatte eine Ratte dem Neugeborenen am Finger genagt, Palermo, 1978. Es sind Details, welche die auf den ersten Blick verborgenen Botschaften dieser Bilder offenlegen: katastrophale Zustände, in denen die Menschen fast wie im Mittelalter ihr Dasein fristen müssen, auf sich selbst gestellt in einer Gegend, wo die Kirchen mit barocker Pracht protzen. Rauchende Teenager lungern vor einer Jukebox (Stadtviertel Albergheria, 1977); auf einem dreckigen Hinterhof zündet ein kleiner Junge Papier an (Das Kind spielt mit dem Feuer, Palermo, Quartier Altstadt, 1986).

Das Leid und seine Gesichter

Es sind lakonische und schnörkellose Bilder einer Gesellschaft, in der Anstand und Moral nichts mehr gelten. Der Weg nach oben, an die Spitze der Cosa Nostra und anderer „Familien“, also zu Reichtum und Macht, ist mit Leichen gepflastert. Das Leid der Hinterbliebenen hat viele Gesichter, eines davon prägt sich besonders tief ins Gedächtnis ein. Es ist das Porträt von Rosaria Schifani, Witwe des Leibwächters Vito Schifani, der zusammen mit dem Richter Giovanni Falcone, Francesca Morvillo sowie seinen Kollegen Antonio Montinaro und Rocco Dicillo ermordet wurde, Palermo, 1992. Das Gesicht der jungen Frau ist zur Hälfte im Schatten. Ihre Augen sind geschlossen. Sie ist erstarrt, verloren in einer Welt, in der ein derart monströses Verbrechen offensichtlich nicht verhindert werden konnte oder sollte.


Rosaria Schifani, Witwe des Leibwächters Vito Schifani, der zusammen mit dem Richter Giovanni Falcone, Francesca Morvillo sowie seinen Kollegen Antonio Montinaro und Rocco Dicillo ermordet wurde, Palermo, 1992, © Letizia Battaglia

Dokumentarisch und künstlerisch

Nach diesem Attentat auf ihre Freunde und Mitstreiter hörte Letizia Battaglia auf, die Ermordeten zu fotografieren. Sie widmet sich seitdem einem Thema, das sie auch früher beschäftigte: Mädchenporträts, die sie als ihr Alter Ego betrachtet. Dazu gehören zwei Freundinnen, Cefalù, 1981, die, trotz der schäbigen Umgebung, wie Raffaels Engel der Sixtina wirken. Aus dem Jahr 1995 stammt das zarte Konterfei Das Mädchen und die Rose. Battaglias kontrastreiche, raffiniert ausgeleuchtete Fotografien sind kleine Meisterwerke dokumentarsicher Kunst. Die am 24. September im Italienischen Kulturinstitut eröffnete Ausstellung zeigt, dass die Autodidaktin Letizia Battaglia eine unverkennbare Bildsprache entwickelt hat. Viele ihrer Fotografien schrieben Geschichte – und sind als Ikonen des Kampfes um eine gerechte, humane Welt ins kollektive Gedächtnis eingegangen.

LETIZIA BATTAGLIA
Palermo und der Kampf gegen die Mafia
Eine Fotoausstellung des Italienischen Kulturinstituts Berlin. Im Rahmen von EMOP – European Month of Photography Berlin 2020
bis zum 31.03.2021

Italienisches Kulturinstitut
Hildebrandstraße 2, 10785 Berlin
Öffnungszeiten: Mo, Di, Fr 10–14 Uhr; Mi, Do 10–16 Uhr
iicberlino-extra.de
Eintritt frei


Urszula Usakowska-Wolff

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Offline wäre heute der letzte Ausstellungstag. Die virtuelle Präsentation ermöglicht jedoch einen ebenso beeindruckenden Blick in die Ausstellung.

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