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Dem Menschsein auf den Grund gehen – Ein Besuch in der Galerie Tanja Wagner

von Ferial Nadja Karrasch (18.12.2020)
vorher Abb. Dem Menschsein auf den Grund gehen – Ein Besuch in der Galerie Tanja Wagner

Šejla Kamerićs, Refugees Welcome, 2020, Neon, metal, 53 x 100 x 6 cm, Courtesy the artist and Galerie Tanja Wagner, Berlin.

So recht scheint sich das Leuchtschild seiner Botschaft nicht sicher zu sein. Der flüchtige Blick setzt die roten Buchstaben zu einer Aussage zusammen, die man seit ein paar Jahren häufig im Öffentlichen Raum liest: Refugees Welcome. Doch hier steht „Refugees Willcome“, das flackernde „ill“ verleiht dem Ausruf eine Note der Brüchigkeit, Unsicherheit.
„ill“ lässt sich als Adjektiv mit krank, feindlich, schlecht übersetzen, als Substantiv bedeutet es unter anderem „das Böse“. Šejla Kamerićs Arbeit Refugees Welcome, die im Schaufenster der Galerie Tanja Wagner installiert ist, wirft die Frage auf, was übrig geblieben ist von der Aussage „Wir schaffen das“, die Kanzlerin Angela Merkel 2015 im Hinblick auf die ankommenden Schutzsuchenden an ihre Mitbürger*innen richtete.
Gleichzeitig ließe sich „Refugees Willcome“ nicht nur als Anspielung auf die Herausforderungen und Probleme im Zusammenhang mit dem aktuellen Drama geflüchteter Menschen lesen, sondern auch als Ausblick auf die Zukunft: Refugees will come – aufgrund von Kriegen aber auch als Klimaflüchtlinge und somit als Leidtragende unseres – schlechten - Lebensstils. Eine solche Lesart verweist auf zusätzliche Herausforderungen, denen wir uns in nächster Zeit werden stellen müssen.
Mit diesen Fragen und Anspielungen, die Kamerićs Arbeit aufwirft, ist die Betrachterin noch vor Betreten der Galerie mitten in der Thematik der Ausstellung How to human. Die gezeigten Arbeiten und die dahinterstehenden künstlerischen Positionen berühren auf unterschiedlichste Weise Aspekte des menschlichen Miteinanders und beleuchten unser Dasein auf dieser Welt.

Die Fragestellung How to human – wie geht das eigentlich, menschlich zu sein? – fungiert auch als Klammer, die die von Tanja Wagner repräsentierten künstlerischen Positionen verbindet. Und sie zieht sich als roter Faden ebenso durch die letzten 10 Jahre Galeriearbeit wie sie auf das Kommende hinweist.
Tanja Wagner, die ihre Galerie mit nur 30 Jahren eröffnete, geht es seit Anfang an um Kunst, die Missstände aufzeigt, gesellschaftliche Zustände hinterfragt, neue Perspektiven eröffnet und althergebrachte Hierarchien und Narrative aufbricht.
Dabei könnte die Fragestellung gerade nicht aktueller sein, denn vor allem jetzt, wo die Klimakrise, höchst besorgniserregende gesellschaftliche Entwicklungen und die Pandemie mit all ihren unterschiedlichen Auswirkungen auf Mikro- und Makroebene an uns zerren, ist es wichtig, sich hin und wieder auf diese Frage zu besinnen.
Doch es geht der Galeristin in ihrem Programm nicht nur um das Herausfordern, es geht ihr auch um „das Gehaltenwerden von einer Ästhetik, von der Schönheit, die von einer Arbeit ausgehen kann“, so Tanja Wagner in unserem Gespräch vor Ort.
Denn Kunst vermag natürlich auch das: der Betrachterin oder dem Betrachter das Gefühl zu vermitteln, aufgehoben zu sein, verstanden zu werden, oder sich eben einfach für einen Moment in der Schönheit der Arbeit zu verlieren.


Ausstellungsansicht, HOW TO HUMAN, Installation view at Galerie Tanja Wagner, 2020

Und manchmal brauchen auch die Künstler*innen jemanden, der ihnen dieses Gefühl vermittelt. „Als im Frühjahr der erste Lockdown kam, gab es eine große Unsicherheit und das starke Bedürfnis, in Verbindung zu bleiben, sich auszutauschen“, so Tanja Wagner. Als Antwort auf die Situation stellte sie gemeinsam mit den Künstler*innen ein Online-Programm zusammen, für das jede*r einen individuellen Zugang wählen konnte. So führte Annabel Daou beispielsweise die 12-stündige Performance I will worry for you durch, die live auf Instagram Stories gezeigt wurde. Hierfür lud sie Interessierte ein, ihr per Email über ihre persönlichen Sorgen zu schreiben. Die eingesandten Antworten trug sie für jeweils eine Viertelstunde mit einem Rosenkranz durch ihr New Yorker Apartment. Šejla Kamerić entschied sich für ein live Q&A auf Instagram und Kapwani Kiwanga gab ein Audiointerview.

Den Lockdown habe sie auch als etwas Positives empfunden, so Wagner. Er habe einen Raum eröffnet, in dem es plötzlich möglich wurde, mit bestehenden Regeln und Normen zu brechen und spielerisch Neues auszuprobieren. „Künstlerinnen und Künstler sind hierfür natürlich perfekte Partner*innen“, fügt sie lachend hinzu. So entwickelten sie in Zusammenarbeit die Idee zu einer Editionen-Reihe, die alle das gleiche Maß, die gleiche Auflage und den gleichen Preis haben. Die Editionen sind auf der Homepage tanjawagner-editions.com einsehbar – inklusive des Preises. „Das ist normalerweise ein No-Go in der Galerienwelt. Aber ich dachte mir, wenn nicht jetzt ausprobieren, wann dann?“
Die Editionen, ebenso wie das Online-Programm und der Viewing Room, bei dem die aktuelle Ausstellung online besucht werden kann, kommen gut an: „Wir erhalten jede Menge positives Feedback und uns wird viel Dankbarkeit entgegengebracht.“
Doch allem Optimismus, den Tanja Wagner ausstrahlt, zum Trotz, wünscht sie sich von der Politik Unterstützung für Kunst und Kultur, die auch über die aktuelle Pandemie-Situation hinausgeht: „Der Arbeitsraum für Kunstschaffende muss unbedingt erhalten und bezahlbar bleiben. Gerade auch mit Blick auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist es für Künstler*innen wichtig, nicht allzu lange Arbeitswege zu haben. Es muss also weiterhin möglich sein, in der Nähe des Wohnortes arbeiten zu können.“


Ausstellungsansicht, HOW TO HUMAN, Installation view at Galerie Tanja Wagner, 2020

Und auch für die Galerien müsse bezahlbarer Raum gesichert werden. Ein Programm wie ihres wäre von Anfang an nicht möglich gewesen ohne erschwingliche Miete. „Manche Positionen brauchen Zeit, um zu wachsen. Einige meiner Künstlerinnen standen noch ganz am Anfang ihrer professionellen Karriere als unsere Zusammenarbeit begann, sie kamen zum Teil gerade frisch aus der Akademie. Ich denke als Galeristin langfristig: Auch wenn eine Künstler*in zu Beginn der Zusammenarbeit noch nicht etabliert ist, sehe ich ihre oder seine Position als bedeutend an. Bei so einer Einstellung ist es notwendig, dass man es finanziell verkraften kann, wenn nicht jede Ausstellung der große Wurf ist. Das geht aber nur, wenn die Miete für die Galerieräume nicht zu hoch ist.“
Galerien sind nicht nur eine maßgebliche Einkommensquelle für die Kunstproduktion, sie sind auch Orte, in denen künstlerische Positionen reifen können, sie sind die Schnittstelle zwischen Künstler*in und Publikum und ihre Rolle, die sie für Kunstinteressierte haben, wird gerade besonders deutlich. Aber auch für die Wirtschaft der Stadt sind sie ein wichtiger Faktor: „Wenn Kunst und Kultur – und dazu gehören eben auch die Galerien – keinen Platz mehr in der Stadt haben, werden auch die Touristen weniger werden“, so Wagner.
Um die Bedeutung der Galerien für den Kunststandort Berlin hervorzuheben, entschied sich der Verein Berliner Kaufleute und Industrieller (VBKI) den VBKI-Preis BERLINER GALERIEN dieses Jahr auszuweiten. Erstmals wurden alle Nominierten ausgezeichnet und erhielten ein Preisgeld, darunter die Galerie Tanja Wagner.
Man muss nicht die aktuellste, vom Bundesverband Deutscher Galerien und Kunsthändler in Auftrag gegebene und vom Institut für Strategieentwicklung durchgeführte Galerienstudie kennen, um zu wissen, dass der Kunstmarkt noch weit davon entfernt ist, geschlechtergerecht genannt werden zu können. (Von allen 14.000 Künstler*innen, die von einer deutschen Galerie vertreten werden, sind nur 35% Frauen). Allein mit Blick auf Berlin genügt es, sich www.indexberlin.com die Liste der aktuell ausgestellten Künstlerinnen und Künstler anzusehen.
Die Galerie Tanja Wagner ist in dieser Hinsicht eine Vorreiterin: Nur eine der insgesamt zehn Positionen ist die eines Mannes. Von Anfang an dabei waren Angelika J. Trojnarski und Šejla Kamerić, hinzu kamen Ulf Aminde, Annabel Daou, Nilbar Güreş, Kapwani Kiwanga – die kürzlich mit dem Duchamp-Preis ausgezeichnet wurde -, Laurel Nakadate, Grit Richter, Lina Scheynius und Anna Witt.


Anna Witt, Hautfront, 2020, 4K video, color, sound, 16:11 min., 3 + 1 AP (1/3), In collaboration with Karola Sakotnik, Daniela Adler, Barbara Siegl, Sonja Skalnik, Ilse Wieser, Katharina Rungaldier, Barbara Kasper, Zuzanna Szula, Helga Kirchengast and Sadia Hammonti, Courtesy the artist and Galerie Tanja Wagner, Berlin.

Auf die Frage, was sie von einer Frauen-Quote in der Kunstwelt halte, antwortet die Galeristin schnell: „Davon halte ich sehr viel. Es muss unbedingt eine solche Quote für öffentliche Sammlungen geben. Was ist das für eine Repräsentation, wenn hauptsächlich männliche Künstler angekauft und gezeigt werden? Ich denke, eine Quote ist die einzige Möglichkeit, zügig zu einer geschlechtergerechten Repräsentation zu kommen. Wenn wir sie nicht bräuchten, hätten wir ja schon Parität. Sicher, das wird zu Diskussion führen, aber die kann man ja führen. Es ist immer schwierig und mühsam, alte, lang etablierte Strukturen aufzubrechen. Aber es würde uns allen gesamtgesellschaftlich guttun, wenn wir Parität schaffen, die bestehende Vielfalt abbilden und alle Stimmen, seien sie noch so divers, anhören. Davon würden wir alle profitieren.“
Ob sie neben den öffentlichen Sammlungen hier auch ihre Kolleg*innen in die Pflicht nehmen will? „Jeder und jede geht hier natürlich den eigenen Weg, aber ich finde es wichtig, dass man sich als Galerist oder Galeristin bewusst macht, warum man bestimmte Entscheidungen trifft, warum man sich für diese oder jene künstlerische Position interessiert.“
Für Tanja Wagner selbst spielt bei der Entscheidung für eine Künstlerin oder einen Künstler nicht das Geschlecht die entscheidende Rolle, sondern die gewählten Themen und die Art und Weise wie diese behandelt werden. In einem Interview mit dem artist-Kunstmagazin sagte sie kürzlich: „Um unsere gesellschaftlichen Ungleichheiten und Machtstrukturen zu verändern brauchen wir Qualitäten, die traditionell Frauen zugeschrieben werden. Wir brauchen ein klareres Aufzeigen der Missstände, einen offenen Dialog darüber, Inklusivität, Kollaborationen mit einem Bewusstsein für Menschlichkeit. Viele Künstlerinnen legen den Finger in diese Wunde und zeigen auch Alternativen auf.“

Ein solcher Fingerzeig findet in der aktuellen Ausstellung beispielsweise in Anna Witts Arbeit Hautfront statt. In dem Video, entstanden als Reaktion auf den ersten Lockdown im Frühjahr, fragt die Künstlerin nach den Auswirkungen, die die Pandemie vor allem für Frauen hat. „Ist es ein Vorwärtsgehen durch diese Krise? Oder ein Rückwärtsgehen? Oder ein Auf der Stelle-Treten?“, heißt es hier an einer Stelle.
Unterhält man sich mit Tanja Wagner in ihrer Ausstellung „How to human“ lässt sich die Frage ganz eindeutig beantworten: Es ist ein Vorwärtsgehen.

HOW TO HUMAN
10 years of Galerie Tanja Wagner
A group exhibition with works by Ulf Aminde, Annabel Daou, Šejla Kamerić, Kapwani Kiwanga, Laurel Nakadate, Grit Richter, Lina Scheynius, Angelika J. Trojnarski and Anna Witt.

Bis: 13. Februar 2021

Tanja Wagner / Galerie Tanja Wagner
Pohlstrasse 64
10785 Berlin
tanjawagner.com

Ferial Nadja Karrasch

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Titel zum Thema Galerie Tanja Wagner:

Dem Menschsein auf den Grund gehen – Ein Besuch in der Galerie Tanja Wagner
Besprechung: Die Fragestellung „How to human“ – wie geht das eigentlich, menschlich zu sein? – fungiert als Klammer, die die von Tanja Wagner repräsentierten künstlerischen Positionen verbindet.

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