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Berlin Daily 19.04.2024
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21 Uhr: im Rahmen der Ausstellung »in mir draußen« mit Rike Scheffler | Nail Do?an Bärenzwinger | Im Köllnischen Park | Rungestr. 30 | 10179 Berlin

Online flirten, ohne Augenkontakt

von Maximilian Wahlich (19.02.2021)
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Spyros Rennt, Hanging out at Ludo´s, 2020, Fotografie 40 x 60 cm, © Spyros Rennt

Momentan findet im Schwulen Museum Berlin die Ausstellung Intimacy: New Queer Art From Berlin And Beyond statt, online lässt sie sich mit Kurator Peter Rehberg in einem einstündigen Rundgang ansehen. Inhalt der Ausstellung, die bereits zwei Jahre vor Covid-19 geplant war und heute ungeahnt aktuell ist, ist die Intimität queerer Menschen. Mit über 30 künstlerischen Positionen wird die Frage gestellt, wie Intimität mit öffentlicher Sichtbarkeit, Schutzräumen und Privatheit zusammengeht. Manche Bilder zeugen von der Nähe, die verletzen und sogar tödlich enden kann, andere von Vertrautheit – freundschaftlich, sexuell oder auch erotisch.

Anlässlich dieser Ausstellung lädt das Schwule Museum in Kooperation mit ICI Berlin (Kulturlabor – institute for cultural inquiry) zu drei Vorträgen ein. ICI, am Prenzlauer Berg ansässig, fördert Recherche, Vorträge und Publikationen zu kulturellen Phänomenen der Gegenwart.
Susanna Paasonen, Professorin an der Finnischen Universität in Turku hielt letzte Woche den ersten Vortrag Infrastructures of Intimacy and the Deplatforming of Sex.
Paasonen ergänzt den Ausstellungsinhalt Intimität um den Aspekt des Digitalen während der jetzigen Pandemie: Wie ist Intimität unter Covid-19 lebbar, wenn schon eine schlichte Umarmung zur heiklen Aushandlung mit dem Gegenüber führt? Wie funktionieren sexuelle Erfahrungen zu Zeiten von Kontaktbeschränkungen? Was machen die strukturellen Veränderungen mit uns? Können digitale Plattformen einen (temporären) Ersatz darstellen? Wie über Skype flirten, wenn wir dort nur gesehen, uns aber nie wirklich anschauen können?
Paasonen gibt keine Antworten auf diese Fragen, vielmehr beobachtet sie Phänomene in den sozialen Medien aus wissenschaftlicher Distanz. Dabei kristallisiert sich mit ihrer Kritik an hegemonialen Medienkonzernen wie Facebook oder Instagram eine Haltung heraus: Jene Konzerne vertreten eine prüde, a-sexuelle Moral, paradoxerweise aber mit sexistischer Wirkung. Diese Plattformen nutzen Filter und Algorithmen, die bestimmte Bilder verbannen – sprich „deplatforming“ betreiben: Darunter fallen das sogenannte „dick-pic“ (Foto eines (erigierten) Penis), die nackte Frau auf dem Autodeck oder das Kind in sexueller Pose. So weit, so gut. Das ist natürlich berechtigt! Eliminiert werden allerdings auch Fotos, die unter Einwilligung aller beteiligten Personen entstanden und versendet wurden. Für Menschen also, die keine illegalen, menschenverachtenden Inhalte teilen, aber gesehen und angesehen werden wollen, sind das triste Aussichten. Ausnüchterung wird befürchtet – der Flirt bleibt aus.
Einst waren die Plattformen mit sexualisierten Inhalten übersät. Da sich diese Realitäten jedoch schlecht verkaufen lassen und bestimmte Werbeanzeigen neben nackten Frauen schlicht weniger erzielen, lenkten die Plattformen ein. Seitdem werden Inhalte mit Stichworten wie „Nippel“, „dick“ oder „Sex“ rausgeworfen. Problematisch und implizit sexistisch ist dabei allerdings, dass der nackte Oberkörper eines Jungen als „sexy“ durchgeht, während die Kriterien für Frauen jedes Jahr neu ausgelotet werden – anhand von Werbefotos der Unterwäschemarke Victoria`s Secret. Für weiblich gelesene Körper orientiert sich „das“ Silicon Valley damit an Dessouswerbung, um zu entscheiden, was als anstößig zensiert oder als „sexy“ akzeptiert wird.
Generell wollen die Plattformen vermeiden, dass sie mit schmuddeligen Bildern umgehen und sich mit Inhalten befassen müssen, die justiziable Folgen und moralische Streitfragen auslösen. Am liebsten löschen sie alles vermeintlich Negative und scheinbar Anrüchige. Ihre Absicht ist es jedoch nicht, eine gewaltfreie Welt zu schaffen. Sie gehorchen allein dem Zweck der Vermarktung. Wenn sexualisierte Inhalte unter Beobachtung stehen, teils verboten werden, beeinflusst das auch die Sichtbarkeit von menschlicher Sexualität.


Irma Joanna, Souled in Stardust, 2017, Fotografie, © Irma Joanna

Zurück im Schwulen Museum, wo die Visibilität und Repräsentation von Menschen, ihrer Sexualität und ihrer sexuellen Identität wesentlich ist. Die Schlagworte Intimität und Pandemie fallen hier nur im Kontext mit HIV zusammen. Zweifelsfrei lassen sich die beiden Viren nicht vergleichen.
Unabhängig von HIV, verknüpft Paasonen in ihrem Vortrag Covid-19 mit queerer Intimität. Diese ist nun auf die sozialen Plattformen geworfen. Dort eröffnen queere Menschen zwar neue Schutzräume, doch nur solange bis sie ein Algorithmus identifiziert und sperrt. Bis dahin können wir uns dort „begegnen“, jedoch niemals in die Augen sehen, unsere Blicke verfehlen sich immerfort. Flirten, zwinkern und lächeln kann ich vor meinem Bildschirm doch nur mit mir selbst.

Beteiligte Künstler*innen bei Intimacy: New Queer Art From Berlin And Beyond: Sholem Krishtalka, Rafael Medina, Del LaGrace Volcano, Elijah Burgher, Abel Burger, Simon Fujiwara, Slava Mogutin, AA Bronson, John Paul Ricco, Eva Giannakopoulou, Marlon Riggs, Michaela Melián, Vika Kirchenbauer, Doron Langberg, Kerstin Drechsel, Paul Mpagi Sepuya, Clifford Prince King, Derrick Woods-Morrow, Emerson Ricard, Victor Luque, Spyros Rennt, Irma Joanne, Lucas Foletto Celinski, Florian Hetz, Zanele Muholi, Tejal Shah, Roey Victoria Heifetz, Annie Leibovitz, Donna Huanca, Cibelle Cavalli Bastos, Studio P-P, George Le Nonce, Josch Hoenes und Tomka Weiß.

ICI-Programm zu der Ausstellung: www.ici-berlin.org
weitere Vorträge:
Jean-Luc Nancy: Touche-touche, am 24. März 2021, 19:00
Tim Dean: How to Have Intimacy in an Epidemic, am 26. April 2021,19:00

Maximilian Wahlich

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Titel zum Thema ICI:

Online flirten, ohne Augenkontakt
Wie ist Intimität unter Covid-19 lebbar, wenn schon eine schlichte Umarmung zur heiklen Aushandlung mit dem Gegenüber führt? Über einen Vortrag und die Ausstellung Intimacy: New Queer Art From Berlin And Beyond im Schwulen Museum.

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