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On Illness, Resistance and Modes of Collective (Health) Care: Gesellschaft macht krank

von Maximilian Wahlich (27.11.2021)
vorher Abb. On Illness, Resistance and Modes of Collective (Health) Care: Gesellschaft macht krank

Kallia Kefala: Intimate Talk zu Müde, Installationsansicht On Illness, Resistance and Modes of Collective (Health) Care, Districit*Schule ohne Zentrum, 2021, Foto: Chiara Faggionato.

District Berlin arbeitet seit 2009 mit einem dezidiert queer-feministischen Fokus zusammen mit Künstler*innen und Aktivist*innen. Der Themenbereich ist klar umrissen, offen hingegen ist die Auswahl und Ausrichtung der Ausstellung. Kunstwerke werden ebenso gezeigt wie Rechercheergebnisse oder die Dokumentationen verschiedener Kollektive.

Die derzeitige Ausstellung On Illness, Resistance and Modes of Collective (Health) Care widmet sich dem Thema Krankheit und ihrer sozialen und vor allem ihrer strukturellen Entstehung. Im Zentrum des Interesses steht nicht das Individuum in seiner Befindlichkeit, sondern die Gesellschaft, die entscheidet, welche Symptome als atypisch, krank oder delinquent gelten.
Wenn die Gesellschaft mit ihren Diskursen jene Strukturen zu erzeugen vermag, die Krankheit erst macht, dann ist „die“ Krankheit auch keine objektiv-sachliche Erscheinung mehr. Sie ist ein Konstrukt, das sich mit anderen Narrativen verwebt, beispielsweise der sogenannten „Normalität“, der Arbeitsmoral oder einer bestimmten Sexualität. Prominentes Beispiel wäre die meist angenommene und problematische Kausalverbindung von schwulem Sex und HIV. Ein zweites Beispiel wäre das irreführende Klischee von Depressionen und der selbstverschuldeten Unfähigkeit, „richtig“ arbeiten zu können.


Inga Zimprich (Feminist Health Care Research Group), A Special Issue in Power, Installationsansicht On Illness, Resistance and Modes of Collective (Health) Care, Districit*Schule ohne Zentrum, 2021, Foto: Chiara Faggionato.

Über all diesen Einzelfällen schwebt stets auch eine Grundsatzdebatte zur erkrankten Gesellschaft. Schon im 18.Jahrhundert etablierte sich die Gesellschaftsdiagnostik, die den schlechten Stand der Gegenwart betrachtete. Wir beobachten das auch heute, wenn wir den Kopf schütteln und von einer verrückten, sprich atypischen, Gegenwart murren. Aber ich schweife ab, zurück zu District.

Zu sehen ist in den zwei Räumen und im Flur der aktuelle Stand mehrerer Rechercheprojekte rund um die 4 Themenfelder (Schlechte) Gefühle, Kollektive Zugehörigkeit/Fürsorge, Solidarische und selbstorganisierte (Gesundheits)versorgung sowie Erinnerungs- und Care-Aktivismus. Die Ergebnisse werden gesammelt und in einem Archiv gebündelt, während und nach der Ausstellung weiter wachsen, so das Vorhaben. Immer wieder referieren einzelne Projekte auf andere ikonische Kunstwerke. Doch wird kein künstlerischer Anspruch im Sinne eines hochästhetischen l’art pour l’art hochgehalten. Kunst versteht sich vielmehr als Mittel zum Zweck, beispielsweise als künstlerische oder als performative Intervention. Ein Eingriff, der irritieren soll und auf Missstände hinweist oder verschiedene Ebenen miteinander verbindet.
Wie viel ästhetische Qualität in einem Werk steckt und wie viel gesamtgesellschaftliche oder individuelle Reflexion variiert bei allen ausgestellten Projekten. In der Ausstellung spannen manche Projekte einen ganzen Schirm von Querverweisen und fordern zum eingehenden Studium auf. So spürt Inga Zimprich (Feministische Gesundheitsrecherchegruppe) der Geschichte einer therapeutischen Schule nach. Die meisten Projekte agieren jedoch unmittelbarer und stellen eine Person mit ihrer persönlichen Lebenssituation vor: Clara Moenchswalds eigene Verarbeitung einer Depression und Kallia Kefalas Reflexionen zu Müdigkeit und Rassismus. Andere Arbeiten laden wiederum zur Interaktion ein. Da können wir beispielsweise an einem Audio-Rundgang mit Eugen Januschke (denkmal PositHIV e.V.) über den Alten St. Matthäus Friedhof teilnehmen oder bei Todd Lanier Lester (Luv til‘ it hurts) Gedanken auf Zettel mit der Überschrift „recado de amor“ (dt.: Liebesbrief) notieren, die uns zu HIV einfallen. Uns obliegt die Entscheidung, ob wir den Zettel offen für alle einsehbar mit anderen Besuchenden teilen oder eher umdrehen und verbergen.


Clara Moenchswald, On Illness, Resistance and Modes of Collective (Health) Care, Districit*Schule ohne Zentrum, 2021, Foto: Chiara Faggionato.

Tatsächlich krankt auch die Zukunft auf dem Gelände – District Berlin läuft Gefahr, seine Räume zu verlieren. Einmal mehr nimmt ein gesellschaftliches Konstrukt Einfluss, namentlich der Kapitalismus, der an diesen Orten das große Geld wittert. Dabei wird verbannt, was Berlin eigentlich charmant und für viele Menschen so reizvoll macht. Dem Kapitalismus als solchem kann ich keine gute Besserung wünschen. Aber ich wünsche District, dass sie einen sicheren Ort für weitere Projekte finden! In solchen Institutionen steckt oftmals jene Arznei, die von den Diagnostikern und der „kranken“ Gesellschaft ersehnt wurden. Glück auf, District!

On Illness, Resistance and Modes of Collective (Health) Care
14. Oktober bis 27. November 2021

Öffnungszeiten:
dienstags, 12-16 h
donnerstags, 15-19 h
freitags, 15-19 h
samstags, 11-15 h sowie zu den Veranstaltungen

District Berlin
Bessemerstraße 2-14, 12103 Berlin

Der Zugang zu Ausstellung und Programm ist kostenfrei.

Künstler*innen und Beteiligte: Johanna Ackva, Nuray Demir, Discoteca Flaming Star (CGB, Sara Pereira, Sofia Lomba, WM), Eugen Januschke (denkmal PositHIV e.V.), Queer Indonesia Archive, Rully Malay (Waria Crisis Center), Karin Michalski & Ann Cvetkovich, Clara Moenchswald, Kallia Kefala, Todd Lanier Lester (Luv til‘ it hurts), Christa Joo Hyun D’Angelo, Ferdiansyah Thajib, Sophie Utikal, Inga Zimprich (Feministische Gesundheitsrecherchegruppe), u. a.
Kuratiert von Andrea Caroline Keppler in Zusammenarbeit mit Ferdiansyah Thajib, Nino Halka, Johanna Ekenhorst und Nuray Demir

www.district-berlin.com

Maximilian Wahlich

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On Illness, Resistance and Modes of Collective (Health) Care: Gesellschaft macht krank
Last Chance: District Berlin arbeitet seit 2009 mit einem dezidiert queer-feministischen Fokus zusammen mit Künstler*innen und Aktivist*innen. Der Themenbereich ist klar umrissen, offen hingegen ist die Auswahl und Ausrichtung der Ausstellung.

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