19h: mit Ann-Christine Jansson & Harald Hauswald im Rahmen der Ausstellung "ZEITREISE. Fotografien von Ann-Christine Jansson". Alte Feuerwache | Marchlewskistr. 6 | 10243 Berlin
Crush ist ein Wort, das zwei gegensätzliche Bedeutungen hat. Einerseits erklärt die Redewendung „einen crush haben“ verknallt zu sein; also eine rosa Brille tragen, Schmetterlinge im Bauch haben etc. pp.
Gleichzeitig bezeichnet das Verb to crush etwas vernichten, zerkleinern, zerstoßen – und zwar mit Gewalt.
Wir wissen, dass viele Menschen, die einen crush haben, Gewalt, Ausgrenzung und Missachtung erfahren: wenn sie homosexuell, queer oder nicht-binär begehren.
Nun schreibe ich im Wir. Wir kennen diese Erfahrung: Bestenfalls bohren fremdelnde Blicke, manches Mal wurden wir in der U-Bahn angepöbelt, weil wir der vermeintlich „falschen“ Person die Hand hielten. Das ist unsere Realität.
Diese Ambivalenz war für die Künstlerin und Kuratorin Alana Lake Anlass der Ausstellung CRUSH. Eine Ausstellung über Verlangen und queere soziale Ausgrenzung im Projektraum FELD+HAUS Projects. Lake fertigt selbst die beiden Schlüsselwerke für die Schau: Mit HITS (You are the crack like haze in my brain) schuf sie eine Art Bong mit Tentakel, die sich um das gläserne Objekt schlingen. Hinter der mundgeblasenen Apparatur ist ein Stück Himmel auf eine Leinwand projiziert. Der Ausschnitt scheint wie ein Fluchtpunkt, ein Fernblick, eine halluzinogene Liebeserklärung. Die Installation versinnbildlicht das Gefühl eines crush, wie auf Drogen sein und in den Wolken schweben, eingelullt vom dichten Dunst.
Im nächsten Raum lässt der Dunst, die Wolke ihre Nässe ab. Mit Sad Day for Cloud skizziert Lake eine weinende Wolke. Es regnet nicht, sie weint. Dabei zieht Lake den Pinsel in groben Furchen durch die krümelige, fette Ölfarbe. Ausdruck für Trauer, tiefen Schmerz, der eine unaussprechliche Leere hinterlässt.
rechts: AKI TURUNEN, The Victorian Yellow, oil on canvas, 95 x 85 cm, 2020
Umgeben sind diese zwei Werke unter anderem von Porträts des Künstlers Atis Jākobsons. Sie spielen mit der Exotisierung androgyner Charaktere: Die Personen schauen verträumt aus der Leinwand, scheinen aus dem Dunkeln der Leinwand zu kommen. Einem blutet die Nase. Ein Indiz für eine Gewalttat oder ein Zitat aus den Mangas, wo Nasenbluten für sexuelle Erregung steht? Deutlich konkreter halten es wiederum Keramikarbeiten von Witalij Frese, eine beängstigend schwarze Puppe von Mariana Ignataki oder die feinen Gemälde von Aki Turunen oder Janne Räisänen: Sie zeigen ohne Umschweife Geschlechtsmerkmale, sexuelle Praktiken und bedienen sich mehr oder minder einer eindeutigen Bildsprache. Ich bin verknallt.
Stopp. Er vernichtet – wer? Die Gesellschaft, deren Vorstellungen ich nicht entspreche. Da geht es um Gewalt – to crush. Bereits der Besuch einer Ausstellung mit queerem Fokus kann als Outing gelesen werden. Sollte ein solcher Ort daher ein safespace sein? Geografisch befindet sich der Projektraum FELD+HAUS Projects auf einer Weddinger Insel am Beginn der Westhafen-Containertristesse und Berliner Stadtautobahn. Diese Enklave entstand aus einem Netzwerk zwischen dem Unternehmen blueplanet, das dieses Stück Land mitsamt Immobilie besitzt, und der Partnerin des CEO. Sie ist wiederum die Initiatorin dieses Projektraums, der immer wieder Kurator*innen, Künstler*innen oder Einrichtungen für Kooperationen einlädt, in diesem Fall das Finnland-Institut in Deutschland.
Besagte Immobilie ist ein Glaskasten, die Sonne bricht ein. Die Räume sind von zwei Seiten vollständig einsehbar. Diese begehbare Vitrine ist Exhibitionismus. Können wir an einem derart transparenten Ort wirklich offen sexualisierte Gewalt und Gewalt wegen sexuellen Identitäten zeigen?
Egal, wie die Antwort ausfällt: Die Ausstellung konnte sich offenbar selbst nicht entscheiden. Es ist gut, dass diese Seiten unserer Gesellschaft sichtbar gemacht werden.
Andererseits läuft die Ausstellung nur drei Wochen. Besonders viele Menschen werden den etwas versteckten Ort vermutlich nicht aufsuchen.
Und so hoffe ich für die schönen und teils empfindlichen Werke, dass die gleißend hellen Räume während der Schließzeit abgedunkelt werden.
Künstler*innen: Witalij Frese, Marianna Ignataki, Atis Jākobsons, Artor Jesus Inkerö, Laura Könönen, Alana Lake, Barbara Lüdde, Janne Räisänen, Anne Tompuri und Aki Turunen
CRUSH. Eine Ausstellung über Verlangen und queere soziale Ausgrenzung
11. März - 2. April 2022
Öffnungszeiten: Di-Sa 11-18 Uhr
FELD+HAUS Projects
Seestraße 131, 13353 Berlin
S-Bahn Beusselstraße, Bus Sylter Straße, Tram Virchow-Klinikum
Es gelten die aktuellen Zugangsbestimmungen!
Weitere Informationen:
www.finnland-institut.de
feld-haus.com
Titel zum Thema Finnland-Institut in Deutschland:
CRUSH – Ich bin verknallt. Es vernichtet
CRUSH. Eine Ausstellung über Verlangen und queere soziale Ausgrenzung im Projektraum FELD+HAUS Projects. Heute (2.4.22) letzter Ausstellungstag.
Freundeskreis Willy-Brandt-Haus e.V.
Kunstbrücke am Wildenbruch
Kommunale Galerie Berlin
Japanisch-Deutsches Zentrum Berlin
Galerie Beyond.Reality.