18:30 Uhr: Perspektiven auf den 7. Oktober W. Michael Blumenthal Akademie | Fromet-und-Moses-Mendelssohn-Platz 1 | 10969 Berlin
Kürzlich bei einem interessanten Gesprächsabend in der St. Matthäus-Kirche mit dem Maler Michael Müller, der Kunsthistorikerin Anne-Marie Bonnet, Joachim Jäger von der Neuen Nationalgalerie und dem Pfarrer Hannes Langbein als Moderator stellten sich grundsätzliche Fragen: Was ist Kunst? Was kann Kunst? Was wollen wir?
Der Anlass war Michael Müllers Ausstellung «Am Abgrund der Bilder», in der der Künstler die Kunst nach der Darstellbarkeit des Undarstellbaren in der Auseinandersetzung mit dem Holocaust befragt, ein Thema, was ihn seit langem beschäftigt. Zugleich bezieht er sich mit seinem 16-teiligen Werkkomplex aus Malerei, Installation, Fotografie und Text kritisch auf den in unmittelbarer Nachbarschaft in der Neuen Nationalgalerie hängenden "Birkenau" - Zyklus” (2014) von Gerhard Richter.
Aus der Empörung heraus, “in den Bildern Gerhard Richters kein Birkenau zu sehen” und über die künstlerische Darstellbarkeit des Holocausts, entstand ein laborartiger Prozess: Müller dekonstruierte die Malerei Richters, indem er Richters malerische Schichten freilegte. Die Fotografien - aus Auschwitz-Birkenau von später ermordeten Häftlingen eines Sonderkommandos aufgenommen und aus dem Konzentrationslager heraus geschmuggelt -, die Richter zunächst auf die Leinwand übertrug und dann überrakelte, tauchen bei Müller auf.
Natürlich geht es auch bei beiden Künstlern angesichts des Themas nicht, wie Anne-Marie Bonnet betonte, um das Präsentieren, sondern analog zu Claude Lanzmanns Film Shoah, um eine Möglichkeit der Repräsentation. Für Müller überwiegt allerdings bei Richter die Frage “Was ist ein Bild ?" und nicht die Frage nach dem Motiv. Joachim Jäger betonte hingegen, dass Richter die Motive schlichtweg, seiner Ansicht nach, nicht angemessen darstellen konnte und so die Abstraktion wählte.
Es geht jedoch darüber hinaus auch um Museumspolitik: Müller möchte der ins Kultische reichenden Verehrung Richters etwas entgegensetzen, da Richter mit seiner Dauerleihgabe (ein Instrument des Kunstmarktes) von 100 Werken an die Nationalgalerie als “Kultfigur” mit “Kultwerken” die Interpretationshoheit über den Holocaust für die nächsten Jahrzehnte vereinnahmt.
Joachim Jäger rechtfertigte, dass die Annahme der Dauerleihgabe aus Verantwortung für den Standort Berlin entspringt, denn auch andere Städte waren mit der Gerhard Richter Kunststiftung im Gespräch.
Es tauchte gegen Ende der Veranstaltung dann noch die Frage auf, ob Michael Müller sich eventuell mehr an Gerhard Richter als am Holocaust abarbeite. Was aber angesichts der Gesamtsituation in den Hintergrund rückt, da durch Müllers Arbeit die notwendige Diskussion belebt wird.
Titel zum Thema Michael Müller:
Am Abgrund der Bilder
Was ist Kunst? Was kann Kunst? Was wollen wir?
Schloss Biesdorf
Haus am Lützowplatz / Studiogalerie
Akademie der Künste
Kunstbrücke am Wildenbruch
a.i.p. project - artists in progress