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Berlin Daily 15.09.2024
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19:30 + 21:00 Uhr: Doppelkonzert: Ever Present Orchestra & Gäste. Kunstquartier Bethanien, Studio 1 | Mariannenplatz 2 in 10997 Berlin

Dit is Berlin: Über die Freiheit der Anonymität und die Kunst des Nicht-Zuschreibens

von Lisa Rocke (22.02.2024)
vorher Abb. Dit is Berlin: Über die Freiheit der Anonymität und die Kunst des Nicht-Zuschreibens

Cecilie, © Florian Reischauer

Berlin brummt. Die Rosenthaler Straße ist gegen 18 Uhr an einem Samstag überfüllt mit Menschen, das Treiben hektisch und lebendig. Im letzten Jahr waren 3,87 Millionen Menschen mit Hauptwohnsitz in der Hauptstadt gemeldet, und die Zahl wächst stetig. Menschen auf der Suche nach ihrer Identität, dem Puls der Zeit oder dem elektrisierenden kulturellen Treiben zieht es nach Berlin. Mitten in diesem Trubel, versteckt in einem von Streetart überquellenden Hinterhof im ersten Obergeschoss, liegt die Galerie neurotitan. Sie verspricht mit ihrer aktuellen Ausstellung "Pieces of Berlin, 19-23" noch bis zum 2. März 2024 einen Einblick in den Alltag von Berliner*innen. Der Fotograf Florian Reischauer, seit 2007 in Berlin lebend, präsentiert rund 50 Porträtfotografien, die er zwischen 2019 und 2023 aufgenommen hat. Sie sind geprägt von zufällige Begegnungen auf den Straßen Berlins, festgehalten mit einer analogen Kamera. Das Projekt begann Reischauer bereits im Jahr 2009 mit seinem Blog Pieces of Berlin.

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berlin – der franky und der acke, © Florian Reischauer

Die Ausstellung findet im großen Hauptraum der Galerie statt. Zwischen weißen Säulen und abblätterndem Putz hängen von der Decke weiße Bahnen, die beidseitig mit Fotos bedruckt sind. Insgesamt wirkt die Ausstellung durch die kahlen Wände, die offenen Verkabelungen an der Decke und den verschmutzt wirkenden Boden eher kühl. Die einzige Farbe im Raum stammt von den Fotos selbst: Sie zeigen Einzelpersonen, gelegentlich begleitet von einem Hund oder einer weiteren Person. Durch kleine Unschärfen und die natürliche Bewegung der Porträtierten wirken die Bilder angenehm uninszeniert. Jenseits der typischen Berliner Hipster spiegeln diese Menschen unaufgeregt und vielfältig das alltägliche Leben der Stadt wider.

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Achille, © Florian Reischauer

Vielfalt, das ist so ein Schlagwort, das mittlerweile inflationär gebraucht wird. Berlin ist bunt und stellt sich als diskriminierungssensibel dar. Doch wie repräsentativ sind die Fotos in dieser Ausstellung tatsächlich. Sind von allen hier Lebenden genug vertreten? Und schon werden die Fotos gezählt, auf denen Frauen zu sehen sind. Sind sie etwa unterrepräsentiert? Gibt es denn eigentlich genug Fotos von unterschiedlichen Körpern, Hautfarben und überhaupt - ist nirgendwo eine Regenbogenflagge zu sehen? Die Ausstellung vermittelt den Eindruck einer zufälligen Auswahl der Porträtierten und eines Querschnitts der Berliner*innen. Schnell geraten wir in den Strudel von Zuschreibungen und Annahmen. Viele Merkmale bleiben unsichtbar. Anhand der Fotos kann die Geschlechtsidentität der Abgebildeten nicht identifiziert werden; sie kann nur angenommen oder interpretiert werden. Chronische Krankheiten, sexuelle Orientierung, Herkunft oder soziale Zugehörigkeit bleiben unsichtbar. Die Bilder von Reischauer sind in dieser Hinsicht wohltuend wertfrei. Es besteht wenig Gefahr, falsche Annahmen zu machen, auch wenn es uns scheinbar schwerfällt, das Schubladendenken zu überwinden. Letztendlich bleiben die Menschen auf den Fotos ein Stück weit anonym, auch wenn wir uns vielleicht danach sehnen, sie zu kennen.

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Frank, © Florian Reischauer

Ist das die Vielfalt, von der immer gesprochen wird? Das Aushalten von Unterschiedlichkeit, der Kontrollverlust beim Nicht-Zuschreiben können, weil wir es nicht wissen? Die einzige Gewissheit, die wir haben: Wir sind alle radikal unterschiedlich und das ist gut so und gerade in diesen Zeiten eine wichtige Erinnerung. Pieces of Berlin bietet eine von vielen Perspektiven auf diese Stadt.

Falls trotzdem der Drang besteht, mehr über die Porträtierten zu erfahren: Auf dem erwähnten Blog Pieces of Berlin und in drei Publikationen finden sich weitere Informationen zu den Personen. Ich würde jedoch dazu einladen, die Vielfalt in ihrer Anonymität zu schätzen.

Florian Reischauer
Pieces of Berlin, 19-23
10. Februar 2024 - 2. Marz 2024

Galerie neurotitan
c/o Schwarzenberg e.V.
Rosenthaler Straße 39
D-10178 Berlin

Lisa Rocke

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Titel zum Thema Galerie Neurotitan:

Dit is Berlin: Über die Freiheit der Anonymität und die Kunst des Nicht-Zuschreibens
Besprechung: Die Fotografien von Florian Reischauer sind geprägt von zufällige Begegnungen auf den Straßen Berlins, festgehalten mit einer analogen Kamera. Aktuell in der Galerie neurotitan ...

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