15 Uhr: mit Regine Hengge & Laurence Douny im Rahmen des inter- und transdisziplinäres Forschungs- und Ausstellungsprojektes "Fermenting Textiles" bei Art Laboratory Berlin | Prinzenallee 34 | 13359 Berlin
Die Gegend um die Hackeschen Höfe zählt zu Berlins touristischen Hotspots. Hier reihen sich noble Geschäfte und gepflegte Cafés an Sehenswürdigkeiten und Souvenirkitsch. Anders wirkt der langgestreckte Hinterhof von Haus Schwarzenberg, direkt neben den Hackeschen Höfen: Trash, unverputzte Fassaden, einfache Holzbänke und Tische mit Bierflaschen erinnern an die Aufbruchstimmung der frühen neunziger Jahre. Ein "kleines gallisches Dorf" ist es nicht, denn längst preisen Reiseführer diesen Hinterhof mit dem Anne Frank Zentrum, der Blindenwerkstatt Otto Weidt, dem Kino Central und der Galerie Neurotitan als Geheimtipp der Berliner Subkultur. Dennoch hat Haus Schwarzenberg seinen Status als kulturelle Oase lebendig gehalten, ohne in nostalgische Verklärung zu verfallen. Einen wesentlichen Beitrag dazu leistet die Galerie Neurotitan, die anlässlich des dreißigjährigen Bestehens von Haus Schwarzenberg in diesem Jahr vier Jubiläumsausstellungen zeigt.
Aktuell läuft die Ausstellung B-SIDE - Hidden Tracks from treasured Artists mit Werken von neun Künstler:innen. Die Galerie befindet sich im Hinterhaus. Nach dem Durchqueren des mit Graffiti und Plakaten ausgeschmückten Treppenhauses öffnet sich im zweiten Stock zunächst ein großer Shop, dahinter liegt der weitläufige Ausstellungsraum. Die räumliche Aufteilung gehört zum Konzept: Im Shop werden nicht die üblichen Souvenirs verkauft, sondern Editionen, Multiples, Plakate, Bücher oder Karten der Ausstellenden. Kunst lässt sich hier niedrigschwellig und preisgünstig erwerben.
Der Shop ist ebenso wie die Ausstellung gut besucht. Im Ausstellungsraum verteilen sich großzügig Installationen, Objekte, Grafiken, Malerei oder Keramiken. So unterschiedlich wie die mediale Umsetzung der Werke sind ihre Themen. So zeigt beispielsweise Adeline Meilliez figürliche und abstrakte Siebdrucke. Besonders die Farbfeldcollagen ziehen durch ihre extreme Leuchtkraft, die weit über das eigentliche Motiv hinaus auf die Wand abstrahlt, den Blick auf sich.
Betont figürlich sind hingegen in den Arbeiten von Xueh Magrini Troll aka Xuehka oder Michael Zander. In naiver Malmanier auf die Leinwand gebracht, tummeln sich bei Zander Pferde auf einer Koppel, darunter eine Bäuerin, die Pferdemist entsorgt. Vor den Bildern steht die Schubkarre mit dem Pferdemist und durchbricht mit ihrer organischen Präsenz die Ästhetik des Ausstellungsraums. Mit der Gegenwart von Natur spielt auch Susann Pönisch. Sie widmet sich der Bromelie (einem Ananasgewächs) und transformiert die Entstehungsgeschichte der Pflanze in Siebdrucke und Malerei. Zusätzlich baut sie verschiedene Pflanzen täuschend echt nach, um sie in ein Regal aus einem Gartencenter in Blumentöpfe zu verbannen und als beliebte Zimmerpflanzen zu domestizieren.
Wesentlich traumorientierter kommunizieren auf dem Bild La Candela Viva von Xuehka bunte, vorwiegend weibliche Mischwesen aus Horrorkomödie und Märchenwelt. Xuehka, die sich als als Feministin, Verteidigerin von Gleichstellung, Diversität und Freiheit versteht, hat einige der Figuren als Keramiken umgesetzt. Sie sind an der Wand und in einer Vitrine platziert und scheinen vereinsamt den Kontakt zueinander verloren zu haben.
Mit einen feministischen Subtext ist auch die Installation post. perfekt von Olivia Pils unterlegt. Körperfragmente, teils durch Schläuche verbunden, erinnern an ein Versuchslabor, dessen experimenteller Charakter Unbehagen auslöst.
Da stellt sich die Frage: Wie passt das alles zusammen und wie lässt sich das kuratorische Konzept auf den Punkt bringen? Die meisten Ausstellenden waren schon öfter in der Galerie zu sehen. Ein Beispiel ist Chantal Kirch, die mit floral bestickten Kissen auf hohen Sockeln präsent ist. Auch Fehmi Baumbach war bereits mehrfach bei Neurotitan dabei und zeigt aktuell die komplexe Arbeit Die Rückseite des Schicksals. Eine Installation aus collagierten Papierarbeiten und ausgeschnittenen Frauenfiguren. Poetisch-surreal anmutende, kosmische Elemente, die auf das Individuum heruntergebrochen werden und dessen Vielschichtigkeit in ungeahnte Bahnen lenken.
Dass die Galerie Neurotitan auch keine Berührungsangst in Bezug auf Comics hat - letztes Jahr fand hier zum Beispiel zum 10. Mal das Underground Comix Festival statt - zeigen die auf Holz gedruckten Linolschnitte von Julienne Jattiot oder die Grafiken von Jens Harder. Letzterer präsentiert große Lithografien aus seiner Comicserie Alpha, die fantasievoll durch die Geschichte des Universums lenkt. Jattiot betont hingegen das Karikaturhafte, das entfernt an Grafiken von Werner Heldt erinnert.
Es gibt also viel Unterschiedliches zu sehen, manches ist mehr, manches weniger komplex. Was jedoch sämtliche Werke dieser Ausstellung eint, ist jenes Wesensmerkmal, das der Kunst im idealen Sinne inhärent sein sollte: eine ausgeprägte geistige Autonomie.
Künstler:innen:
Adeline Meilliez | Chantal Kirch | Fehmi Baumbach | Jens Harder | Julienne Jattiot | Michael Zander | Olivia Pils | Susann Pönisch | Xueh Magrini Troll aka Xuehka
Öffnungszeiten: Mo-Sa 12-20 Uhr
Neurotitan
Rosenthaler Str. 39
10178 Berlin
neurotitan.de
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